INTERVIEW MIT MICHAEL SCHWESSINGER

wbh: Magst du unseren Leser*innen kurz von deiner Arbeit und deinem Leben erzählen.

Ich arbeite als Schriftsteller und Bäcker, bin irgendwann mal vor knapp 20 Jahren aus der Fränkischen nach Leipzig gezogen und ich hatte mich damals in die Stadt verliebt. In ihre Ambivalenz, ihre Widersprüche, Bruchstellen, und es war eben die Stadt der Gothic-Culture und damals war das der Platz, wo ein Romantiker gut und gerne leben wollte. Hab dann in Leipzig und Halle Afrikanistik und Ethnologie studiert und nach einigen schönen Jahren der Studiererei, war ich dann doch irgendwann froh, dass ich was konnte, mit dem man einfacher über die Runden kam als mit Sozialwissenschaften. Außerdem sind Arbeit und Schreiben bei mir auch kein Widerspruch, also im Gegenteil. Ich bin immer wahnsinnig gerne gereist und hatte diese Neugier, immer hinter die nächste Kurve dieser Welt zu schauen, die Straße noch einigen Kilometern zu folgen, diesen Feldweg zu gehen, um zu schauen, was es da zu sehen gäbe. Das war auch der Grund für meine Fächerwahl. Neugier auf die Welt. Ich kann heute sagen, dass es dafür auch keinen besseren Beruf gibt als Bäcker, denn als Bäcker kannst du überall auf der Welt arbeiten, und du lernst die Menschen nicht auf einem Traumschiff oder im Urlaub kennen, sondern arbeitest mit ihnen zusammen. Das erzeugt eine ganz andere Atmosphäre, Nähe und Vertrautheit. Daraus speisen sich dann auch meine Geschichten. Die Erfahrung der Welt sozusagen. So reiht sich ein Land an das nächste und nach Süd- und Osteuropa bin ich nun gerade in Norwegen gelandet. Life goes on.

wbh: Wo bist du aktiv, wofür engagierst du dich und trittst du ein?

Nach fünf Jahren quer durch Europa bin ich natürlich sehr dankbar, dass dies überhaupt möglich ist. Mich interessiert dabei auch gar nicht die Diskussion über irgendwelche Bananennormen oder blablabla. Das mag alles sein, aber Europa ist eine wunderbare Möglichkeit. Ich fuhr 2016 von Tarifa in Andalusien bis nach Leipzig ohne eine einzige Kontrolle. Ich habe in einem halben dutzend Ländern gearbeitet und dabei soviele Menschen aus allen Teilen der Welt und ihre Gesichten kennengelernt. Das ist einfach wunderbar. Ich muss da immer an meinen Vater denken und eine Situation aus meiner Kindheit, die sich mir eingebrannt hat. Mein Vater war Jahrgang 1937, Bäcker, Jahrzehnte Bürgermeister und politisch für die CSU im Kreistag Bayreuth. Er war von dieser Kohl-Generation, für die die deutsche Einheit ein Lebenstraum war. Es muss irgendwann in der zweiten Hälfte der 80er Jahre gewesen sein, als wir in den Frankenwald fuhren und mein Vater einfach ne halbe Stunde schweigend vor diesem Grenzzaun stand. Wir konnten das als Kinder nicht deuten, waren eher an den Wachtürmen interessiert, aber diese Momente, die sich mir dann erst viel später erschlossen, haben sich mir eingebrannt. Mein Vater schweigend vor diesem Grenzzaun. Das war eine große Wunde für diese Generation und ich finde mich auch in der Verantwortung daran zu arbeiten, dass es diese Grenzen nicht mehr gibt. Das vergisst man heute recht schnell.

wbh: Wie fühlt es sich an, in Sachsen Politik aktiv mitzugestalten?

Also ich denke, dass der Mensch ein zoon politikon, ein politisches Wesen ist, dass er eben den Austausch braucht mit anderen Menschen, ansonsten erstarrt er und vereinsamt. Es mag einige Gurus geben, die sagen, sie lieben die Einsamkeit, das sind spezielle Fälle. Wenn man jahrelang im Ausland war, weiß man, wie sich Einsamkeit anfühlen kann, diesen Deal muss man eingehen, wenn man sich auf die Reise begibt. Wenn ich zwischen meinen Auslandsaufenthalten kurz nach Leipzig zurückkehrte, schätzte ich es immer ungemein, Anteil zu nehmen an verschiedenen Diskussionen, Lesungen zu veranstalten und einfach mit unterschiedlichen Menschen ins Gespräch zu kommen. Ich muss sagen und ich spüre das vielleicht durch meine Abwesenheit deutlicher, dass es dieses Klima des offenen Austausches nicht mehr gibt. Das hat für mich immer den Reiz von Leipzig ausgemacht, dieses weltoffene, undogmatische. Als Ethnologe würde ich sagen, wir haben in vielen Bereichen der Gesellschaft sowas wie eine Re-Ethnisierung. Jeder zieht sich mit seiner feststehenden Meinung in seine Clans und Gruppen zurück. Ich habe das dieses Jahr sehr deutlich bei zwei Lesungen gespürt, wo Menschen nach einer Geschichte von mir den Saal verlassen haben, nachdem sie bei der Gesichte davor noch hoch erfreut waren. Mein Sohn wurde 2017 geboren, und in dieser Geschichte stelle ich diese einfachen Fragen aus der Perspektive eines Kindes. Warum lassen wir Menschen im Mittelmeer ertrinken? Warum sperren wir Menschen in Lager? Ich hatte das Gefühl, dass irgendwann diese Fragen aus seinem Mund kommen würden. Kinderfragen eben, ungeeignet für einen Kontinent, der über sein Altern die Würde verloren hat. Diese Fragen halten viele anscheinend nicht mehr aus und natürlich kann man mir da auch widersprechen, aus diesem Austausch verschiedener Meinungen ensteht ja auch ein Zugewinn an Wissen. Ein andermal wurde mir in einer Lindenauer Kneipe visueller Sexismus vorgeworfen, weil ich mich an einer Diskussion über Sexismus beteiligen wollte. Ich hatte jahrelang dort gelebt und plötzlich merkst du eben, dass du für die Jungen eben ein Alter Weißer Mann bist. Das sind nur Splitter, aber sie zeigen mir deutlich, dass dieser gemeinsame Grund, auf dem Politik gedeiht, also diese Orte ohne feste Codierung, im Schwinden sind. 

wbh: Warum ist es wichtig, dass sich jede*r mit Politik beschäftigt und diese aktiv mitgestaltet und wie?

Ich mag diesen Aktionismus, dass jeder sich mit allem beschäftigen muss, eigentlich nicht. Wie oben schon angedeutet, glaube ich, dass jeder Mensch im Austausch zum politischen Wesen wird, das ist für mich Aktivität, mit Menschen zu sprechen, an ihnen Anteil zu nehmen. Ansonsten haben wir eine parlamentarische Demokratie – also es muss auch nicht jeder Brot backen können, dafür gibt es Menschen, die sich damit auskennen. Ich hab gar nicht die Expertise, mich in diese ganzen Themen einzulesen, und will das auch nicht. Das Leben ist endlich. Das Problem ist eben, dass viele Politiker sich dieser Bürgschaft nicht mehr bewusst sind, sondern eben Karriereabsichten im Sinn haben. Das führt zu Vertrauensverlust, man fühlt sich nicht mehr vertreten. Ich glaube aber daran, dass man durch sein Verhalten etwas ändern kann. Vielleicht nicht immer gleich die ganze Welt retten, sondern seinen Umgang mit den Anderen, seinen Umgang mit der Natur, mit den Ressourcen ändern. Damit gestalte ich schon sehr viel mit. Ob das dann mehr aktiv oder passiv ist. Ich bin kein Freund von Missionierungsbewegungen.

wbh: Wie kann man die Themen Politik, Beschäftigung mit Demokratie und unseren Grundwerten stärker ins Bewusstsein der Öffentlichkeit bringen?

Indem man sie lebt, unterschiedlichen Meinungen zuhört, auch mal zugeben kann, dass man falsch liegt, nicht immer zum Absoluten tendiert. Eben verletzlich bleiben oder berührbar, wie es Hartmut Rosa in seinen Büchern so schön beschreibt, und es gilt auch für die Demokraten, was Nietzsche über die Philosophen sagte: Ich mache mir aus einem Philosophen gerade so viel, als er imstande ist ein Beispiel zu geben. Das bedeutet für mich, dass man manche Dinge, die mir nicht gefallen, einfach auch aushalten muss, man kann die Freiheit nicht durch Dogmatismus verteidigen.

wbh: Was wünschst du dir für ein besseres menschliches Miteinander?

Dass alle mal einen Schritt zurücktreten und vielleicht mal durchatmen, oder um es mit Bukowski zu sagen: „Wir werden alle sterben, jeder von uns, was für ein Zirkus! Das alleine sollte uns dazu bringen, uns zu lieben, aber das tut es nicht. Wir werden terrorisiert von Kleinigkeiten, zerfressen von gar nichts.“

wbh: Was bedeuten für dich Freiheit, Schutz der Menschenwürde und Gleichberechtigung?

Damit ist meine ethische Grundkonstante ziemlich gut erfasst.

wbh: Wie wichtig sind Kunst und Kultur, Bildung, Medienkompetenz, Soziales, Jugendhäuser und psychologische Betreuung für unser Zusammenleben?

Sehr wichtig natürlich. Ohne Kunst und Kultur wäre das hier doch eine ziemlich öde Angelegenheit, und dass immer mehr Menschen darunter leiden, dass diese geistigen Quellen zusammengestrichen werden, sieht man ja überall, von der Zunahme psychischer Erkrankungen ganz zu schwiegen. Sozialer und kultureller Kahlschlag macht sich ja nicht gleich bemerkbar, das ist keine lineare Angelegenheit, auf A folgt nicht direkt B, sondern es kommt erst C und D, und dann merkst du, dass es ein Fehler war, bei A zu sparen. Dann ist es aber meistens schon zu spät.

wbh: Im Hinblick auf die Landtagswahl im Sep 2019: Was kann jede*r Bürger*in aktiv tun, um dem Rechtsruck mit demokratischen Mitteln entgegenzuwirken?

Sein Wahlrecht einfach aktiv in Anspruch nehmen.

wbh: Was sind deines Erachtens in Sachsen und Brandenburg die Gründe für den Aufstieg der AfD bei der Europa- und Kommunalwahl?

Ich glaube, das sind sehr vielschichtige Gründe, zu großen Teilen irrational, denn durch die AfD bessert sich ja nichts für die meisten Menschen. Das ist ein neoliberaler Verein mit völkischem Programm. Als ich in Leipzig studiert hatte, musste ich mich immer mit den unterschiedlichsten Jobs rumschlagen. Damals war Leipzig keine Boomtown, sondern so eher sechs Euro die Stunde und, wenn du was dagegen hast, stehen noch drei Leute in der Schlange. Ich habe Steine geschleppt für Häuser in Schleußig, in der Sternburg-Brauerei gearbeitet, bei der LVB etc. Das waren alles fürchterliche Jobs und natürlich hat man da auch mitbekommen, wie scheiße das ist, wenn du vorher bei Wismut ein angesehener Arbeiter warst und nun war die Hälfte deines Lebens einfach nichts wert und du arbeitest für eine Zeitarbeitsklitsche. Das konnte ich alles verstehen. Was ich nie verstanden habe, war dieses devote Verhalten nach oben. Das war etwas, was sich irgendwie fast vererbt hat. Ich hatte zu der Zeit wieder angefangen in Leipzig in einer Bäckerei zu arbeiten und das war ein junges Team, aber mal zu sagen, wir backen morgen nicht, weil ich einfach nicht für 7,50 Euro aufstehe nachts, da war ne riesige Angst, obwohl es schon damals kaum Bäcker gab. Im Gegenteil, als ich das angesprochen hatte und der Chef kam, warste alleine auf weiter Flur und alle wunderbar glücklich in der Ausbeutung. Und ich glaube, dass dieses mangelnde Selbstbewusstsein eine große Rolle spielt. Die Leute sind tiefenfrustiert, aber bekommen das Maul nicht auf. Ich hatte ein ähnliches Erlebnis in diesem Jahr, als ich kurz daran dachte, mal für eine Zeit in Leizig zu arbeiten. Ich meinte dann, Schichten von 01:00 Uhr bis 09:00 Uhr und 09:00 Uhr bis 17:00 Uhr sind nicht drin, ich hab ein Kind und das muss auch mal zur KiTa oder hat sonstwas. Ja, da müssen sie halt ihr Leben an den Job anpasssen, war die Antwort. Wenn ich nicht wüsste, dass es in den meisten Ländern eben nicht so ist, würde ich vielleicht auch sagen: Oki, sorry, hast halt kein Leben mehr. Ist halt so. Aber in Andalusien, Rumänien oder speziell hier in Norwegen hat sich dann eben die Arbeit anzupassen, da sagen die Leute einfach: Nee, ist nicht, such dir jemanden anderen und da klappt das wunderbar, dass Bäcker um 06:00 Uhr morgens anfangen und es eben erst ab 09:00 Uhr Brötchen gibt. Was ist das Problem? Also denke ich, dass das zusammenhängt, diese Unfähigkeit die Grenzen seines Glücks abzustecken und der folgende Frust. Da ist es natürlich dann gut, wenn es eine Gruppe gibt, die noch weiter unten steht, da kann man dann schön draufhauen. Ich denke, so eine Art Übersprungshandlung, die eigentlich nicht logisch zu erklären ist. Vielleicht auch so eine Art Identitätsfindung, die nicht vom Westen diktiert wurde, obwohl das Führungspersonal aus dem Westen kommt. Eben irrational, aber ich halte mich auch nicht so häufig in Deutschland auf, um mir da ne profunde Meinung bilden zu können. Manche Dynamiken verstehe ich einfach nicht.

wbh: Angenommen, die AfD zieht in Sachsen zur Landtagswahl mit den gleichen Ergebnissen wie nach der Europa- und Kommunalwahl in den Sächsischen Landtag ein, welche Auswirkungen kann das für die Gesellschaft, Politik, Kunst und Kultur, Bildung und Soziales haben?

Fürchterlich natürlich. Das wird einen Kahlschlag geben, da muss man sich keiner großen Illusionen hingeben. Dass die AfD nicht an einer heterogenen Gesellschaft interessiert ist, dürfte außer Frage stehen.

wbh: Wie kann man Demokratie-Initiativen und Protagonist*innen vor Ort aktiv unterstützen und ihr Engagement stärken?

Indem man die Menschen unterstützt, ihre Veranstaltungen besucht, auf jeden Fall nicht durch Facebook-Solidarität.

wbh: Wie kann man Nichtwähler*innen erreichen, damit sie wählen gehen?

Im Artikel 38 des Grundgesetzes heißt es: Die Volksvertretungen werden in allgemeinen, unmittelbaren, freien, gleichen und geheimen Wahlen gewählt. Wenn jemand sein Wahlrecht nicht in Anspruch nehmen will, ist das legitim. Ich frage mich da immer, was wäre die Alternative dazu? Eine Wahlpflicht, nee will ich nicht. Wenn jemand nicht wählen will, wird er seine Gründe haben und es ist ja auch eine Form des demokratischen Protestes, zu sagen, ich fühle mich nicht vertreten. Euer Angebot gefällt mir nicht. Man sollte diesen Raum nicht verengen. 

wbh: Wie kann man Menschen, die sich benachteiligt und abgehängt fühlen, bspw. Menschen, die nach dem Mauerfall viel verloren haben, Angst um ihre Existenz und vor Überfremdung haben, erreichen und in die Gesellschaft zurückholen?

Sie sind ja Teil der Gesellschaft, oder definiert sich Gesellschaft nur durch die, die keine Angst haben? Also würde ich erstmal ihre Ängste ernstnehmen. Sie sind ja da, ob sie rational sind, steht auf einem anderen Blatt. Also miteinander reden, soweit das geht und ansonsten einfach akzeptieren, dass es eben am Ende nicht immer eine Synthese gibt.

wbh: Warum haben deines Erachtens Menschen Angst vor „dem bösen schwarzen Mann“, vor Migrant*innen und Muslimen?

Also ethnologisch gesehen, ist das gar nicht so untypisch. Menschen haben gewöhnlich Angst vor den Unbekannten. Dieses Misstrauen findet man in vielen Kulturen. Interessanter für mich sind die nächsten Schritte. Wie kann ich Misstrauen abbauen? Ein Beispiel aus Norwegen. Als ich hier letzte Woche ankam, lud die Gemeinde alle Saisonarbeiter zu einer Rafting-Tour ein. Da waren ein Kroate mit Kriegserfahrung in seiner Jugend, eine Französin mit Hjab, eine Norwegerin, eine Jamaikanerin, ein anderer Franzose und ich in diesem Boot. Und wenn du mal so ein Rafting bei Schneeschmelze zusammen gemacht hast, dann verbindet das. Also ich zum Beispiel hab auch eine Unsicherheit bei verschleierten Frauen. Ich denke immer, was darfst du jetzt, was nicht, bekommt sie jetzt Probleme, wenn du sie zu lange ansiehst, etc. Dann sitzt du da im Boot und fällst übereinander, springst von irgendwelchen Felsen, merkst, dass du gar nicht so verschieden bist und kommst ins Gespräch danach. Also fragte ich sie dann, was ich schon immer mal wissen wollte, und sie war total relaxt und offen und erzählt mir dann eben ihre Sicht der Dinge drauf. Es war ein enormer Zugewinn. Also denke ich, man muss eben diese Orte schaffen zur Begegnung. Irgendwelche Sammelstellen sorgen für das Gegenteil. Warum man sich dieser Möglichkeit der Begegnung beraubt, weiß ich aber auch nicht.

wbh: Meinst du, viele Menschen fühlen sich von Politiker*innen nicht entsprechend ihrer Meinung vertreten und abgeholt? Herrscht eine große Kluft zwischen Politiker*innen und Bürger*innen?

Ja, das Gefühl habe ich, wobei ich auch glaube, dass der Einzelne sich da mal nicht so wichtig nehmen soll und vielleicht auch mal mehr als seine Wehwehchen im Blick haben sollte.

wbh: In den sozialen Medien war zu lesen, dass man weniger auf die „Bedürfnisse“ der besorgten und Wutbürger*innen eingehen soll, sondern eher auf die unserer Jugend. Wie siehst du das?

Naja, ich kann da nur aus eigener Erfahrung sprechen. Mit 16 hatte ich ne Mao-Bibel auf dem Nachttisch und eine Che Guevarra-Flagge im Zimmer. Da bin ich schon ganz dankbar, dass man da damals nicht gesagt hat: Erzähl uns mehr von deinen Erfahrungen. Du rettest damit ja gerade die Welt. Die Jugend hat immer einen leichteren Zugang zum Ideal. Natürlich waren das politische Fragen und heute haben wir es mit anderen Fragen zu tun, die die nächste Generation weitaus stärker treffen. Man kann aber nicht alles immer easy going lösen, wenn die Jugend an ihre Ideale glaubt, wird sie sich durchsetzen. Diese merkwürdige Verbrüderung der Generationen finde ich etwas strange. Etwas mehr Oppositon gegen die Älteren könnte dieser Prozess schon gebrauchen. Vielleicht bin ich da auch zu dialektisch. Dieses Friede, Freude, Eierkuchen, halte ich nicht für förderlich. Wir tragen die Verantwortung für den status quo der Welt, also wenn es die jüngere Generation ernst meint, wird das kaum ohne Blessuren abgehen. Get in the ring! Und zertrümmert den SUV von Papa.

wbh: Wie wichtig sind Zivilgesellschaft und Zivilcourage?

Sehr wichtig, wobei das auch immer leicht gesagt ist. Vor zwei Wochen bin ich mit der Regionalbahn durch Thüringen gefahren und da waren nette Kampfmaschinen mit Nazi-Tattoos in der Bahn. Also in der Situation, wie man da dann handelt, wenn der Raum nicht mehr save ist, ist sehr schwierig, weil eben mittlerweile bei den Wahlergebnissen auch das Vertrauen fehlt, dass dir da jemand beisteht. Aber das sind theoretische Annahmen, ungefähr so wie würde man jemanden erschießen oder sich erschießen lassen. Ich bin dankbar, dass ich das in der Praxis noch nicht verifizieren musste.

wbh: Wie können wir unsere Demokratie schützen und stärken?

Schwierige Sache, Freiheit kann man nicht beschützen, ohne Gefahr zu laufen, sie zu verlieren. Ich schreibe Geschichten darüber, wie ich unterschiedlichen Menschen begegne, wie mich das bereichtert, dass es diesen Raum gibt. Vielleicht hilft es jemanden, auch zu sagen, ich schau mir die Welt erstmal an, bevor ich die Schotten dicht mache und meine Freiheit abgebe, ich weiß es nicht.

wbh: Was verbindest du mit: Wir sind mehr!

Gar nichts, weder sagt mir dieses „Wir“ was noch glaube ich gerade an das „mehr“. Und selbst, wenn es so wäre, würde es etwas ändern? Es geht doch hier nicht um einfache Mehrheiten, sondern darum, dass auch eine Minderheit dieses Land mit Hass überschütten und das Klima vergiften kann oder den Diskurs bestimmen. Es ist ein Erbauungssatz, vielleicht hilft er, einigen Mut zu machen und sich selbst zu vergewissern. Meine humanistischen Werte und Ideale sind aber so hoch, dass sie immer eine Minderheit darstellen. Mihai Sebastian, ein rumänischer Schriftsteller der Zwischenkriegszeit hat mal den Ausspruch geprägt: „Ich bin kein Anhänger irgendeiner Idee oder irgendeines Anführers, ich bin immer Dissident. Vertrauen habe ich nur in das jeweilige Individuum, aber in dieses habe ich ein großes Maß an Vertrauen.“ Dem würde ich zustimmen.

wbh: Was bedeutet für dich: Wir bleiben hier!

Ebenso wenig, meine Niebelungentreue zu Orten hält sich in Grenzen. Ich habe an so vielen verschiedenen Orten gelebt, dass es ab einem gewissen Punkt bei mir auch nen Schalter gibt, der sagt: Willste jetzt wirklich, dass sich dein Leben ständig um diese politische Sphäre und Diskussionen um AfD dreht. Dass du, um Brecht zu zitieren, dir sagst: „Was sind das für Zeiten, wo ein Gespräch über Bäume fast ein Verbrechen ist, weil es ein Schweigen über so viele Untaten einschließt!“ Willst du wirklich, dass dein Sohn in so einer Umgebung des Hasses aufwächst. Also ich lebe definitiv in keinem Bundesland, in dem die AfD an der Macht ist und mein halber Bekanntenkreis kommt mittlerweile nicht aus Deutschland, ich möchte nicht, dass ich jedesmal Angst haben muss, dass sie halb totgeschlagen werden, wenn sie mich besuchen. Ich glaube mittlerweile nicht mehr an Protestwähler, das sind einfach Menschen, die das so wollen. Die sich der Tatsache bewusst sind, was das bedeutet. Okay, meine Sprache reist mit mir, aber es lebt sich auch jenseits von Sachsen ganz gut.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert