INTERVIEW MIT FRANZISKA REIF

wbh: Magst du unseren Leser*innen kurz von deiner Arbeit und deinem Leben erzählen.

Ich bin Autorin, Lektorin, Übersetzerin, außerdem Redakteurin beim kreuzer. Zum Beispiel habe ich vor einigen Jahren zusammen mit Tobias Prüwer ein Buch über Hartz IV geschrieben („A wie Asozial – So demontiert Hartz IV den Sozialstaat“), später das „Wörterbuch des besorgten Bürgers“ über die neue rechte Sprache mitherausgegeben (zusammen mit Robert Feustel, Nancy Grochol und Tobias Prüwer).

wbh: Warum ist es wichtig, dass sich jede*r mit Politik beschäftigt und diese aktiv mitgestaltet und wie?

Politik geht alle an, immer und in jedem Lebensbereich. Und nur so kann Demokratie funktionieren.

wbh: Was ist unser Erbe, was ist unsere Zukunft?

Unser Erbe: Wir leben in Freiheit, Frieden und Demokratie. Unsere Zukunft: Das Erbe erhalten und verbessern, indem etwa Ungerechtigkeiten beseitigt werden.

wbh: Was wünschst du dir für ein besseres menschliches Miteinander?

Respektvolle Umgangsformen und mehr Gelassenheit.

wbh: Was bedeuten für dich Freiheit, Schutz der Menschenwürde und Gleichberechtigung?

Ohne sie geht es nicht, wenn eine Gesellschaft funktionieren soll. Außerdem braucht es Solidarität und Rechtsstaatlichkeit.

wbh: Wie wichtig sind Kunst und Kultur, Bildung, Medienkompetenz, Soziales, Jugendhäuser und psychologische Betreuung für unser Zusammenleben?

Enorm wichtig. Weshalb es wichtig ist, all dies zu finanzieren.

wbh: Im Hinblick auf die Landtagswahl im Sep 2019: Was kann jede*r Bürger*in aktiv tun, um dem Rechtsruck mit demokratischen Mitteln entgegenzuwirken?

Keine Partei wählen, die vom völkischen Systemsturz träumt. Und über die Wahl hinaus gibt es neben Parteien auch Initiativen oder Vereine, die sich über Unterstützung freuen.

wbh: Was sind deines Erachtens in Sachsen und Brandenburg die Gründe für den Aufstieg von Rechtspopulisten bei der Europa- und Kommunalwahl?

Dafür gibt es eine ganze Reihe von Gründen, die im Einzelnen mal mehr, mal weniger zutreffen mögen. Ohne Anspruch auf Vollständigkeit: Mangelndes Vertrauen in demokratische Prozesse. Das Gefühl, jetzt auch mal dran zu sein (nicht nur immer Wessis, Ausländer*innen oder Homosexuelle). Ein autoritäres Menschenbild und die Kontinuität autoritärer Regierungen, in Sachsen auch nach der Wende. Jahrzehntelange Verniedlichung von Nazis bei gleichzeitigem Misstrauen gegenüber allem, was emanzipatorisch und/oder gegen rechts ist; bis hin zur Diskreditierung und Kriminalisierung. Das eine Missverständnis, dass Politik und Bürger*innen zwei parallele Systeme sind. Das andere Missverständnis, dass die Politik den Bürger*innen individuell zu liefern hat, was diese sich jeweils wünschen. Es denen da oben mal zeigen wollen. Rachegelüste für die Erfahrung mangelnder Wertschätzung, nachdem das Kombinat geschlossen hatte und Westdeutsche mit bunten Krawatten das große Geld rochen. Die Behaglichkeit der Opferrolle. Die Fehlannahme, dass es mit der AfD mehr Rente gibt. Hang zu Verschwörungstheorien. Rassismus und der Glaube an die Überlegenheit der weißen sogenannten Rasse. Träume vom völkischen Umsturz.

wbh: Angenommen, Rechtspopulisten ziehen in Sachsen zur Landtagswahl mit den gleichen Ergebnissen wie nach der Europa- und Kommunalwahl in den Sächsischen Landtag ein, welche Auswirkungen kann das für die Gesellschaft, Politik, Kunst und Kultur, Bildung und Soziales haben?

Wenn die AfD das Sagen hat, wird es zappenduster, vor allem da, wo es bereits an Infrastruktur fehlt. In der Vergangenheit haben AfD-Vertreter*innen immer wieder gesagt, dass sie Kunst, Kultur, Bildung und politischen wie Sozialprojekten vorschreiben möchten, was genau dort jeweils betrieben wird; alles andere hat keine Daseinsberechtigung, wird entsprechend bekämpft und außerdem nicht finanziert. Außerdem werden weder der Rechtsstaat noch das gesellschaftliche Miteinander profitieren.

wbh: Wie kann man Demokratie-Initiativen und Protagonist*innen vor Ort aktiv unterstützen und ihr Engagement stärken?

Mitmachen oder Spenden vorbeibringen.

wbh: Wie kann man Nichtwähler*innen erreichen, damit sie wählen gehen?

Wer nicht wählen geht, wird Gründe dafür haben. Nichtwählen ist genauso ein Recht wie Wählen.

Warum haben deines Erachtens Menschen Angst vor „dem bösen schwarzen Mann“, vor Migrant*innen und Muslimen?

Stereotype Vorstellungen können eine Projektionsfläche für alles Mögliche sein; zumal in einem Landstrich, wo man Ausländer*innen nicht oft über den Weg läuft. Alarmistische Schlagzeilen und die Social-Media-Echokammer bestätigen dann nur, was das rassistische Weltbild bereits wusste.

wbh: Meinst du, viele Menschen fühlen sich von Politiker*innen nicht entsprechend ihrer Meinung vertreten und abgeholt? Herrscht eine große Kluft zwischen Politiker*innen und Bürger*innen?

Die repräsentative parlamentarische Demokratie ist vielleicht nicht der Weisheit allerallerletzter Schluss. Es muss sich aber niemand damit abfinden, auf der politischen Agenda nicht vorzukommen. Jammern und Meckern müssen sicher auch mal sein, Mitmachen führt aber zu mehr.

wbh: In den sozialen Medien war zu lesen, dass man weniger auf die „Bedürfnisse“ der besorgten und Wutbürger*innen eingehen soll, sondern eher auf die unserer Jugend. Wie siehst du das?

Um die Wutbürger*innen ging es nun schon einige Jahre, medial wie politisch. Das Asylrecht wurde in den vergangenen Jahren stark eingeschränkt, Europa ist ziemlich dicht. Merkel wurde öffentlich als Schlampe beschimpft, in Talkshows wird permanent die Frage verhandelt, ob nicht zu viele Ausländer*innen im Land leben (oder die falschen), und wir haben uns daran gewöhnt, dass es Leute gibt, die das Wort „Volksverräter“ ohne Anführungszeichen verwenden oder die andere „absaufen“ lassen wollen. Es ist wirklich an der Zeit, sich mal Zukunftsthemen zuzuwenden, zum Beispiel das Wohnungsproblem zu lösen, die Digitalisierung voranzutreiben, sich Konzepte für den demografischen Wandel vor allem in ländlichen Regionen zu überlegen, sich endlich wieder sozialer Gerechtigkeit und Teilhabechancen zuzuwenden oder den Planeten zu retten.

wbh: Wie wichtig sind Zivilgesellschaft und Zivilcourage?

So lässt sich die oben angesprochene gefühlte oder tatsächlich bestehende Kluft zwischen den kleinen Leuten an der Ecke und „denen da oben“ verkleinern.

wbh: Was verbindest du mit: Wir sind mehr!

75 Prozent sind mehr als 25 Prozent.

wbh: Was bedeutet für dich: Wir bleiben hier!

Ich ziehe den Hut vor Leuten, die sich tagtäglich Anfeindungen und tätlichen Angriffen aussetzen.

Foto: Tobias Prüwer

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