INTERVIEW MIT ROBERT FEUSTEL

wbh: Befindet sich deines Erachtens unsere Demokratie, freiheitliche und rechtsstaatliche Ordnung in Gefahr?

Nun, Demokratie ist immer in Gefahr. Eine buchstäblich ungefährdete Ordnung ist nie demokratisch. Aber ja, dieser Tage sind einige Entwicklungen zu beobachten, die Sorge bereiten. Die offenen Gesellschaften, die – nebenbei bemerkt – nie so offen waren, wie sie glauben, schließen sich schrittweise. Druck von rechts und ein eskalierender Sicherheitsapparat sorgen dafür, dass Freiheiten beschnitten werden, Überwachung ausgebaut wird. Es gibt noch viele Dinge mehr, die unserer Demokratie zusetzen. Der Umgang mit den sogenannten Fremden ist ein zentrales Moment: Eine Gesellschaft schließt sich, wenn sie den Fremden pauschal zum Feind erklärt, ihm Rechte verweigert und überhaupt ein Ankommen verunmöglicht. Und wenn ganz allgemein Wirtschaftsinteressen immerzu vor den Belangen einer Gesellschaft stehen, ist das auch kein guter Zustand.

wbh: Was kann jede*r aktiv tun, um unsere Demokratie und Freiheit zu stärken?
Welche Mittel stehen dafür zur Verfügung?

Schwer zu sagen. Darauf gibt es keine pauschale Antwort. Je nach Kontext und Ressourcen. Nicht wegschauen jedenfalls, sich einmischen.

wbh: Was tust du aktiv dafür?

Mein Mittel ist meistens das Schreiben. Welchen Impact das auch immer hat. Manchmal gebe ich so Interviews …

wbh: Was müssen deiner Meinung nach Politiker*innen tun, um unsere Demokratie weiterhin zu gewährleisten? Welche Wünsche und Forderungen hast du an sie?

Schwierige Frage. Wünsche habe ich zunächst nur an den Weihnachtsmann, Politiker*innen brauchen Druck. Ein Punkt scheint mir wichtig: Die Politik sollte begreifen, dass das ganze Gerede von innerer Sicherheit eine Art kollektive Angststörung produziert. Es kann nie genug Sicherheit geben, und mittlerweile gefährdet der überdrehte Sicherheitsdiskurs viele Freiheitsrechte und Grundregeln der Demokratie. Wenn Prävention umfassend greift, ist der liberale Rechtsstaat Geschichte.
Noch ein grundsätzlicher Aspekt: Ich glaube, viele Leute haben die üblichen Reiz-Reaktionsmuster satt, also die immer gleichen Antworten oder Spielchen und den Umstand, dass letztlich alles ohne Konsequenzen bleibt. Zwei Beispiele: Wenn Horst Seehofer mal wieder die Computerspiele einwechselt, um irgendetwas zum Anschlag von Halle zu sagen, ist das so offenkundig dämlich, dass es wehtut. Und dass Leute wie Andreas Scheuer herausragend mit Inkompetenz gesegnet sind, ihre Machenschaften ans Licht kommen (die verbrecherischen Mautverträge), aber sie in Ruhe im Amt bleiben, ist frustrierend. Man erkennt, dass der öffentliche Druck nicht mehr ausreicht. Die vierte Gewalt, also Medien und Öffentlichkeit, sind zahnlos. Alle reden ständig von Vertrauen. Ich würde gern mal sehen, dass Politikerinnen und Politiker ernsthaft Anlass dazu geben, indem sie klar argumentieren und nicht ständig nur irgendwelchen Trends hinterherlaufen.

wbh: Haben wir ein Problem mit Rechtsextremismus, Antisemitismus, Rassismus und Menschenfeindlichkeit?

Klar, schon sehr lange. Und allein die Tatsache, dass eine solche Frage gestellt wird, ist Teil des Problems. Es ist ja so: Alle wissen doch, dass es eine massive rechte Bedrohung gibt, nicht nur in Sachsen. Diese Frage zu stellen, zielt indirekt darauf, dass wir uns zunächst darüber verständigen müssten, ob wir ein Problem haben und wie groß es ist. Erst dann ließe sich an Lösungen arbeiten. Mit dieser Frage (oder wahlweise dem Gefasel von „Alarmsignalen“) wird die eigentlich relevante Frage nach Handlungen immer wieder vertagt. Es ist jedoch höchste Zeit, aktiv zu werden. Das geht vor allem an die Politik, die seit Jahren mit Kleinreden, Verschleiern und Ablenken beschäftigt ist.

wbh: Wo liegen deines Erachtens die Ursachen?

Da gibt es einige. Die Welt ist im Umbruch. In bestimmten Phasen krisenhafter Desorientierung steigt der Bedarf nach Erzählungen, die Halt geben und Ordnung stiften. Und das ist in Deutschland die alte Kiste des Nationalismus. Der war ja nie weg und ist die ganze Zeit – auch in der DDR – mehrheitsfähig gewesen. Zumeist lag er aber unterhalb einer dünnen Schicht von Humanität und Demokratie. Der Punkt ist, dass diese Errungenschaften hart und langwierig erkämpft wurden, aber so schnell zu zerstören sind.
Allerdings würde ich nicht sagen, dass es in Deutschland einen Rechtsruck gegeben hat. Vielmehr verändert sich die Welt gerade außergewöhnlich schnell. In den letzten 20 Jahren gab es viele Fortschritte, was Gleichstellung, Antidiskriminierung usw. angeht. Was damals Normalität war, ist heute glücklicherweise problematisch. Gegen all diese Dinge wehrt sich typischerweise der alte weiße Mann und kämpft um seine alten Privilegien. Wir müssen dem widerstehen, schon klar. Aber die Leute sind heute nicht rechter als früher. Sie sind nur lauter und besser sichtbar.

wbh: Wie, auf welche Art und mit welchen Mitteln kann man Rechtsextremist*innen, Rassist*innen sowie Hass und Hetze entgegenwirken?

Nicht unmittelbar. Will heißen: Menschen mit einem rechten Weltbild wird man diese Haltung nicht so einfach austreiben können. Wichtiger wäre es, alle anderen zu adressieren und sich nicht so beeindruckt zu zeigen. Ignoranz kann manchmal helfen. Ich meine damit, dass wir nicht ständig und auf allen Kanälen über Rechte und ihren Unsinn reden sollten – und schon gar nicht mit ihnen. Stattdessen sollten wir progressive und sozialpolitische Arbeit machen. Eigene Themen sind wichtig. Wir müssen aufhören, ständig den Rechten hinterherzulaufen, nur um zu zeigen, was für Zumutungen die den ganzen Tag formulieren. Viel wichtiger ist es doch, andere Fragen zu stellen, andere Probleme anzugehen. Die Kids von Fridays for Future machen mir da Hoffnung.

wbh: Welche Auswirkungen haben das Internet und die sozialen Medien für unser gesellschaftliches Miteinander?

Eine riesengroße Frage. Das Internet verändert viel, weil sich viele virtuelle Gemeinschaften zusammenfinden können, im Guten wie im Schlechten. Das reicht dann von demokratischen Initiativen, über herrlich verrückte Verschwörungstheorien bis zu gefährlichen rechten Netzwerken. Wir sollten bedenken, dass die Entwicklungen sehr rasant vonstatten gingen. Es wird noch etwas brauchen, bis sich bestimmte Dinge eingepegelt haben. Zudem hat sich der Stoffwechsel für Nachrichten so derb beschleunigt, dass mittlerweile fast nichts mehr tatsächlich relevant ist. Noch der größte Skandal ist nur kurze Zeit später unbedeutend, weil drei neue ihn zum Schnee von gestern machen. Ein Beispiel: Es gab einen Riesenaufschrei als erkennbar wurde, dass und wie dramatisch der Amazonas brennt. Mittlerweile ist das Thema aus den Schlagzeilen, und dort brennt es vermutlich munter weiter.

wbh: Wie empfindest du derzeit unser gesellschaftliches Miteinander? 

Miteinander gibt es eigentlich nur auf privater und beruflicher Ebene. Gesellschaft ist immer schon vermittelt, distanziert und medial. Die Rede vom gesellschaftlichen Miteinander ist daher schon schwierig, weil sie indirekt auf eine Art Gemeinschaft anspielt. Genauso wie die Diskussionen um einen gesellschaftlichen Zusammenhalt. Wer soll denn zusammenhalten? Moderne Gesellschaften sind hochdifferenziert und von Distanz geprägt. Das eine kollektive Wir, das zusammenhält, ist eine gefährliche Fiktion. Mir wäre wohler, wenn wir liberale Grundsätze (die wohlgemerkt wenig mit der FDP zu tun haben) wie „leben und leben lassen“ hochhalten. Anders formuliert: Wir brauchen kein Miteinander, sondern ein respektvolles Nebeneinander.

Gerade um dieses liberale, respektvolle Nebeneinander scheint es mir nicht gut bestellt. Ich erlebe im Alltag oft Situationen, in denen Menschen unfreundlich, aggressiv und herrisch auftreten. Die permanente Anspannung hinterlässt vermutlich ihre Spuren. Zu oft fehlen mir zwei Dinge: einerseits Distanz und Respekt. Warum mischen sich die Leute so gern und bisweilen vehement in die Belange anderer ein? Wenn ich etwa bei Rot über die Ampel laufe, mag das ein Regelverstoß sein. Aber es muss doch die Person neben mir nicht interessieren, solange ich niemanden gefährde, oder? Andererseits fehlt mir bisweilen eine Spur Höflichkeit. Es wird viel gemeckert und gemotzt, der deutsche Michel halt. Ja, das sind Banalitäten. Aber sie kommen mir schon wie ein Ausdruck einer permanent überdrehten, politisch unruhigen Gesellschaft vor, in der alle mit allen konkurrieren.

wbh: Wie sollten Journalist*innen und Medien mit der Wahrung unserer demokratischen Grundordnung umgehen? Wie mit Rechtsextremist*innen und Rassist*innen?

Der Journalismus ist gegenwärtig in Bedrängnis. Das hat vorrangig systematische Gründe: Die Ökonomisierung der Medienlandschaft und eine atemberaubende Vervielfältigung der Möglichkeiten durch die Digitalisierung haben einen enormen Druck erzeugt. Klicks sind gefragt, weil nur so einigermaßen Geld in die Kassen kommt. Daraus entsteht ein Sog, eine Jagd nach Drama und Aktualität. Das ganze System scheint heißgelaufen. Daraus folgt auch, dass Medien oft genug und zumeist ohne böse Absicht (klammern wir mal die BILD aus) das Geschäft der AfD betreiben, indem sie sich fast ohne Unterlass mit deren verbalen Eskalationen beschäftigen. Das schafft einerseits Auflage und hält die AfD andererseits permanent im Fokus. Rhetorische Zumutungen werden durch Wiederholung normalisiert, selbst wenn auf sie kritisch verwiesen wird. Und der Eindruck entsteht, als führe im Moment kein Weg an den Rechten vorbei, als würden sie alles bestimmen.

Das führt dann auch zur zweiten Frage. Sicher muss irgendwie abgebildet werden, wie Rechte ticken, was für irre Abgründe sich auftun. Und dass der Unterschied zwischen AfD und dem Terror von Halle nur die Wahl der Mittel ist, nicht aber die Gesinnung. Allerdings wäre es manchmal, vielleicht sogar oft ratsam zu überlegen, wo genau es nötig ist zu berichten, also aufzuklären. Wer noch nicht begriffen hat, wes Geistes Kind AfD, PEGIDA und so weiter sind, der will es auch nicht begreifen. Es kann also hin und wieder sogar besser sein, Rechte mit Ignoranz zu strafen.

wbh: Wie gestalten wir unsere Zukunft?

Mir scheint, dass eher die Zukunft uns gestaltet. Und wir werden sehen, was das heißt. Die gute Nachricht ist, dass der rechte Unfug nie auf Dauer funktioniert. Das liegt nicht nur daran, dass die Konzepte alt sind. Wichtiger ist vielleicht, dass rechtes Denken systematisch falsch ist, weil es immerzu Geschichte oder Kultur mit Natur verwechselt und nicht begreifen kann, dass die Dinge immer schon in Bewegung waren und immer in Bewegung sein werden. Daraus resultiert ein gewissermaßen interner Modus der permanenten Eskalation: Es kann nie sicher, rein oder deutsch genug sein. Die Frage ist also nicht, ob die Rechten „gewinnen“; sondern nur, wie viel sie kaputt machen können.

wbh: Was hinterlassen wir unseren Erb*innen?

Wie es aussieht einen vom Warenfetisch und vom Primat der Ökonomie völlig überhitzten, ausgebeuteten und verdreckten Planten. Vielleicht kommt es auch anders. Allerdings stimmt mich die Rückkehr alter, nationalistischer Politik nicht sonderlich optimistisch.

wbh: Was möchtest du ihnen hinterlassen?

Solche Fragen stelle ich mir nicht. Das tendiert dazu, entweder privat zu werden („Ich möchte meinen Kindern zwei Eigentumswohnungen hinterlassen“) oder einen Rahmen anzusprechen, der so oder so weit jenseits meiner Reichweite liegt. Dass wir etwas politisch hinterlassen könnten, scheint mir entweder eine Illusion oder arg großspurig. Das heißt freilich nicht, politisch untätig zu werden. Zu große Ziele allerdings lähmen eher, als dass sie motivieren.

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