INTERVIEW MIT THOMAS DUDZAK

wbh: Magst du unseren Leser*innen kurz von deiner Arbeit und deinem Leben erzählen.

Ich bin in Kamenz (heute Landkreis Bautzen) aufgewachsen. 2003 bin ich zum Studium nach Leipzig gezogen und hier geblieben. Ja, Leipzig ist Zuhause geworden und weg will ich hier nicht mehr.

wbh: Wo bist du aktiv, wofür engagierst du dich und trittst du ein?

Ich bin seit 16 Jahren Mitglied der PDS bzw. von DIE LINKE. Ich habe im StuRa der Uni Leipzig politisch viel gemacht und hab viel von diesen Erfahrungen in meine politische Arbeit mitgenommen. Nach Stationen als Wahlkreismitarbeiter und Pressesprecher bin ich seit 2017 Landesgeschäftsführer der sächsischen LINKEN und verantwortlich für die politisch-organisatorische Arbeit der Partei.

wbh: Wie fühlt es sich an, in Sachsen Politik aktiv mitzugestalten?

Ganz ehrlich: Nicht gerade immer erfüllend. Es hat schon bei frühestem Engagement angefangen, sich komisch anzufühlen. Man ist ja politisch aktiv, weil man Dinge aktiv gestalten und verändern will. In Sachsen hatte ich immer das Gefühl, dass es dafür nur einen begrenzten Rahmen gibt, einen, der einem von einer selbstherrlichen Obrigkeit zugestanden wird. Das Ganze getragen von Bräsigkeit und Selbstgerechtigkeit. Das passiert halt, wenn nach 40 Jahren Solo-Parteienregierung der einen Partei gleich wieder 30 Jahre Regierung einer anderen Partei (davon fast die Hälfte allein, die andere mit schwachen Partnern) folgen. Irgendwann kommt man an den Punkt, dass man das nicht mehr akzeptieren will und sich Leute sucht, die das gleiche Gefühl haben. Oft ist politisches und zivilgesellschaftliches Engagement in Sachsen – besonders dann, wenn man gegen den Strich bürstet – auch ein bisschen überlebenswichtige Notwehr. Das Gute daran ist, dass man sich dann aber zumindest auch über die kleinen Erfolge freuen kann.

wbh: Warum ist es wichtig, dass sich jede*r mit Politik beschäftigt und diese aktiv mitgestaltet und wie?

Was ist denn Politik? Politik ist die Auseinandersetzung – und zwar nicht nur in Parteien oder Parlamenten – über die Frage, wie wir leben wollen. Also wie wir alle leben wollen. Deshalb ist es nicht vor allem wichtig, sondern vor allem naheliegend, dass das alle beschäftigt. Aber wenn es beim allein Reden unter Freundinnen und Freunden bleibt, wird sich nichts ändern. Das geht nur mit Engagement. Wo, ist dabei fast egal: Ob in der Bürger*inneninitiative, im einem der zig zivilgesellschaftlichen Bündnisse, die es derzeit gibt, in Parteien … Alles legitime Orte. Man darf sich nur nicht entmutigen lassen davon, dass in diesem Land Leute mit Hass, Fake News und Hetze mehr Aufmerksamkeit und Verständnis von vielen Medien und Berufspolitikern bekommen, als Menschen, die für ihre legitimen Interessen in ihrer Lebenswirklichkeit eintreten. Das ändert sich. Langsam, aber bestimmt.

wbh: Wie kann man die Themen Politik, Beschäftigung mit Demokratie und unseren Grundwerten stärker ins Bewusstsein der Öffentlichkeit bringen?

Ich glaube, das muss gar nicht mehr ins Bewusstsein gerückt werden. Wir haben eine unglaubliche Repolitisierung der Gesellschaft erlebt in den letzten Jahren – wenn auch nicht immer aus sympathischen Anlässen. Aber wir erleben eine unglaubliche Welle politischen Engagements. Menschen haben zu Themen wieder Positionen, die sie öffentlich vertreten. Was passieren muss, ist, dass sich dieses Engagement verstetigt, dass wir nicht nur gegen Hass, sondern für unsere Interessen Partei ergreifen. Aus Reaktion muss Aktion werden. Aus einzelnem Engagement gemeinschaftliches Handeln. Und zuletzt dann: gesellschaftliche Veränderung.

wbh: Was ist unser Erbe, was ist unsere Zukunft?

Wir sind Ossis. Unser materielles Erbe wird also voraussichtlich sehr gering sein, das dürfte klar sein. Ansonsten Gegenfrage: Was ist unsere Gegenwart? Die ist nämlich Startpunkt für das, was kommt. Und das ist derzeit einerseits eine Gesellschaft, in der an vielen Stellen die Solidarität aufgekündigt worden ist, die soziale Spaltung stark ist und größer wird und die Demokratie sich seit Jahren kaum weiterentwickelt hat. Andererseits gibt es aber für alles Beispiele in vielen Teilen der Welt, wo die Sachen richtig gut laufen. In den USA ist „demokratischer Sozialismus“ auf einmal kein Unwort mehr, sondern Fixpunkt für eine ganze Generation. In Barcelona wird die digitale Bürger*innen-Demokratie neu erfunden, in Berlin machen die Leute ordentlich Druck auf die großen Immobilienkonzerne und so weiter. Da geht was.

wbh: Was wünschst du dir für ein besseres menschliches Miteinander?

Dass sich Menschen in unserer Gesellschaft nicht damit zufrieden geben, dass es anderen schlechter geht als ihnen, sondern dass sie gemeinschaftlich dafür kämpfen, dass es für alle besser wird.

wbh: Was bedeuten für dich Freiheit, Schutz der Menschenwürde und Gleichberechtigung?

Menschenrecht. Und das ist unveräußerlich.

wbh: Wie wichtig sind Kunst und Kultur, Bildung, Medienkompetenz, Soziales, Jugendhäuser und psychologische Betreuung für unser Zusammenleben?

Da die Aufzählung in dieser Frage ja fast alles abdeckt (Stichwort: „Soziales“), was es gibt: Sehr wichtig.

wbh: Im Hinblick auf die Landtagswahl im Sep 2019: Was kann jede*r Bürger*in aktiv tun, um dem Rechtsruck mit demokratischen Mitteln entgegenzuwirken?

Zum Ersten: Selbst wählen gehen. Zum Zweiten: Mit Menschen in der Umgebung über Politisches reden, klarmachen, worum es geht. Man muss nicht überzeugen und nicht auf alles eine Antwort haben, aber man kann Nachdenken anstoßen. Und zum Dritten: Ganz Mutige können, auch als Nichtmitglied, die Partei unterstützen, die man gut findet. In jeder Form, ob durch Aktion, Engagement oder vielleicht auch finanziell. Denn eines wird oft vergessen: Parteien sind keine Dienstleisterinnen. Da stehen nicht hauptsächlich Profis. Da stehen Menschen wie wir alle, die sich engagieren, weil ihnen das wichtig ist. Sie deshalb ihre Freizeit opfern. Und sich auch oft genug fragen, warum sie das alles eigentlich tun. Ich verrate kein Geheimnis, wenn ich sage, dass die allermeisten Menschen, die sich politisch engagieren, ihren Lebensunterhalt damit nicht bestreiten, sondern tatsächlich dafür bezahlen, mitzumachen, nämlich Mitgliedsbeiträge. Ist das Wahnsinn? Nein. Es ist Überzeugung.

wbh: Was sind deines Erachtens in Sachsen und Brandenburg die Gründe für den Sieg der AfD bei der Europa- und Kommunalwahl?

Hä? Die Rechtsaußenpartei hat bei den Kommunalwahlen in Sachsen nicht gesiegt. Das ist Punkt eins. Punkt zwei: Die Gründe sind vielschichtig, aber unter uns: Ein Grund dürfte sein, dass alle nur wie das Kaninchen auf den Wolf starren, statt sich auf ihre eigenen Inhalte zu fokussieren. Man merkt es auch an den Fragen in diesem Interview: Nur eine Partei wird namentlich genannt – und damit aufgewertet. Dann auch noch den Sieg bei einer Wahl zu erfinden, den es nicht gab, das muss nicht sein. So schafft man sich selbsterfüllende Prophezeiungen.

wbh: Angenommen, die AfD zieht in Sachsen zur Landtagswahl mit den gleichen Ergebnissen wie nach der Europa- und Kommunalwahl in den Sächsischen Landtag ein, welche Auswirkungen kann das für die Gesellschaft, Politik, Kunst und Kultur, Bildung und Soziales haben?

Man kann nicht mit zwei verschiedenen Ergebnissen (Europa- und Kommunalwahl sind verschieden ausgegangen) in ein Parlament einziehen. Ansonsten: Bestenfalls passiert das nicht. Zweitbestenfalls kann es passieren, dass das einfach keine Auswirkungen hat, ob die jetzt mit 10, 20 oder 30 Leuten auf ihren Sitzen im Landtag herumblöken. Ansonsten lohnt der Blick ins Geschichtsbuch.

wbh: Wie kann man Demokratie-Initiativen und Protagonist*innen vor Ort aktiv unterstützen und ihr Engagement stärken?

Am besten indem man mitmacht. Indem man über ihr Engagement redet. Indem man hilft. Manchmal ist Hilfe schon ein Schulterklopfen und ein aufrichtiges Dankeschön.

wbh: Wie kann man Nichtwähler*innen erreichen, damit sie wählen gehen?

Sie müssen das Gefühl bekommen, dass es was zu entscheiden gibt. Und bei dieser Landtagswahl gibt es was zu entscheiden, mehr als jemals zuvor. Nichts wird mehr so sein, wie es war, egal, wie es ausgeht. Also stehen wir vor der gesellschaftlichen Entscheidung: Wo soll es mit diesem Land hingehen? Progressive Zukunft oder Barbarei.

wbh: Wie kann man Menschen, die sich benachteiligt und abgehängt fühlen, bspw. Menschen, die nach dem Mauerfall viel verloren haben, Angst um ihre Existenz und vor Überfremdung haben, erreichen und in die Gesellschaft zurückholen?

Gesellschaftliche Verwerfungen und persönliche Nachteile haben so gut wie alle Ostdeutschen nach der Wende erlebt. Und wer benachteiligt wurde, darf sich übrigens auch so fühlen. Und anders, als es die Frage nahelegt, steht man damit nicht „außerhalb der Gesellschaft“ und muss von irgendwem „zurückgeholt“ werden. Die strukturellen Nachteile, die es bei uns im Osten noch gibt, zu bekämpfen und überhaupt eine starke Stimme für den Osten und uns Ostdeutschen zu sein, das sehe ich auch als Aufgabe meiner Partei. Aber, wenn die These der breiten Betroffenheit stimmt, dann gibt es einen Großteil in dieser Gesellschaft, der das alles erlebt hat, ohne jetzt nach unten zu treten. Ich sage: Nicht der Asylsuchende, nicht der Migrant ist schuld an dem, was hier passiert ist. Waren damals ja auch noch gar nicht da. Es ist der Kapitalismus. Die Grenze verläuft nicht zwischen der Herkunft von Menschen, sondern zwischen oben und unten. Eigene soziale Benachteiligung ist maximal eine schlechte Ausrede für Rassismus. Ich sehe das an meinen Eltern. Sie haben uns großgezogen, bis zum Hals in der Scheiße, aber sie sind anständig geblieben. Den Anstand zu verlieren ist eine Entscheidung, die man trifft. Ich sage: Du kannst hier stehen, an unserer Seite und gemeinsam gegen Ungerechtigkeiten kämpfen. Oder du kannst vor dem Heim stehen. Parolen schreien, hassen, Menschen bedrohen, Leute anspucken, weil sie anders aussehen. Aber dann werde ich dich bekämpfen. Es ist deine Entscheidung.

wbh: Warum haben deines Erachtens Menschen Angst vor „dem bösen schwarzen Mann“, vor Migrant*innen und Muslimen?

Hören wir auf, Rassismus als Angst zu bezeichnen, das verharmlost. Wer Angst kennt, weiß, wie sie sich äußert. Egal ob das Flugangst, Klaustrophobie oder Angst vor Spinnen ist. Die Leute stehen nicht da und schreien Flugzeuge voll oder zünden Fahrstühle an. Das ist nicht Angst, das ist Hass.

wbh: Meinst du, viele Menschen fühlen sich von Politiker*innen nicht entsprechend ihrer Meinung vertreten und abgeholt? Herrscht eine große Kluft zwischen Politiker*innen und Bürger*innen?

Wieso sollte „Politik“ Menschen abholen? Wenn ich Menschen abholen möchte, wäre ich Taxifahrer geworden. Politik ist Ringen um Meinungen, um Positionen, um bessere Argumente. Es ist kein Service, es ist gesellschaftlicher Streit im besten Sinne. Niemand hat das Recht, sich da an die Seitenlinie zu stellen und nur Erwartungshaltungen zu formulieren. Wer will, dass sich was ändert, muss sich engagieren. So hat es bei mir ja auch angefangen. So muss es immer beginnen. Es gibt einfach nicht „die Politiker*innen“ auf der einen und „die Bürger*innen“ auf der anderen Seite. Ich bin genauso Bürger, finde mich aber mit gesellschaftlichen Verhältnissen nicht ab und engagiere mich genau deshalb.

wbh: In den sozialen Medien war zu lesen, dass man weniger auf die „Bedürfnisse“ der besorgten und Wutbürger*innen eingehen soll, sondern eher auf die unserer Jugend. Wie siehst du das?

Lautstärke in der Debatte ist nicht unbedingt ein Zeichen für das bessere Argument – und auch nicht für numerische Überlegenheit. Insofern wäre es manchmal wirklich besser, nicht immer nur auf die Lauten und Wütenden zu schauen.

wbh: Wie wichtig sind Zivilgesellschaft und Zivilcourage?

Sehr wichtig.

wbh: Wie können wir unsere Demokratie schützen und stärken?

Wir müssen den Mut haben, auch Leute aus unserer Gesellschaft zu verabschieden. Es gibt einen Wertekonsens in unserer Gesellschaft. Freiheit, Menschenrechte. Wer das für sich reklamiert, aber für andere in Frage stellt, der verlässt unseren Konsens. Und dem bringe ich kein Verständnis entgegen. Dem sage ich: Danke. Raus, mit dir spiele ich nicht.

wbh: Was verbindest du mit: Wir sind mehr!

Ein geiles Konzert. Mit einem komischen Gefühl am Ende: Da waren so viele Menschen. Wenn man sich so oft alleine gefühlt hat im politischen Engagement, dann ist es gut, zu sehen, dass hier noch so viele mehr sind, auf die man bauen kann.

wbh: Was bedeutet für dich: Wir bleiben hier!

Ich werde meine Koffer niemals packen. Ich werde kämpfen. Und ich hoffe, das sehen sehr, sehr viele Menschen genauso wie ich. Gäbe im Übrigen auch keinen Ort, an den ich sonst gehen wöllte.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert