INTERVIEW MIT ULRIKE GEISLER
wbh: Wo bist du aktiv, wofür engagierst du dich und trittst du ein?
Aktuell arbeite ich beim Institut B3 e.V. als Leiterin eines Modellprojektes, welches sich mit Gewaltphänomenen im urbanen Raum, speziell Leipzig, beschäftigt. Als Historikerin finde ich dabei die Wirkungsmacht von tradierten Narrativen unheimlich spannend, die ich mit diebischer Freude irritiere und hinterfrage. Ist wohl eine Art Berufskrankheit.
Mir ist bei all meinem Tun wichtig, unterschiedliche Sphären der Gesellschaft miteinander in Kontakt und in Austausch zu bringen. Dabei bin ich gemeinsam mit meinem Mann in verschiedenen Welten zu Hause, von tiefster Subkultur bis hin zu staatlichen Förderstellen. Ich liebe die Gegensätze und die Spannungen, die daraus hervorgehen können, wenn man diese Welten zusammenbringt. Aktuell organisieren wir zum Beispiel ein Festival zum DDR-Underground in Leipzig, das sich „Heldenstadt anders“ nennt.
wbh: Warum ist es wichtig, dass sich jede*r mit Politik beschäftigt und diese aktiv mitgestaltet und wie?
Ich finde, es gibt kein Patentrezept á la: Mache dies und mache das und dann herrscht Friede, Freude, Eierkuchen. Politik lebt von den Konflikten der unterschiedlichen Interessen. Gute Politik davon, dass alle Interessen gleiche Chancen haben, gehört zu werden. Und Spannungen auch mal ausgehalten und angeschaut werden.
Es ist daher sehr wichtig, dass nicht Populisten den öffentlichen Diskurs bestimmen, sondern gemäßigte Positionen genauso vertreten sind. Ansonsten übertreten wir schnell die Grenzen des Sag- und Denkbaren und unterhöhlen Stück für Stück die Regeln unseres Zusammenlebens. Daher finde ich es strategisch klug, dass wir nicht über jedes Stöckchen der Populisten springen, sondern ihnen mit Haltung begegnen. Zumal die schweigende(?) Mehrheit der sächsischen Bevölkerung Rassismus und Unwertigkeit gerade nicht vertritt. Es ist wichtig, dass diese Mehrheit laut wird, Raum einnimmt und Grenzen aufzeigt. Hier ist jeder Einzelne gefragt und wichtig. Oft entstehen daraus kreative und beeindruckende Lösungen.
Für mich persönlich heißt Aktivwerden in erster Linie, dass ich selbst vor meiner eigenen Haustür schaue: Wo kann ich – persönlich – etwas verändern? Wenn ich die Hände in den Schoß lege und dabei anderen erkläre, was sie zu tun und zu lassen haben, würde ich mich unglaubwürdig fühlen.
wbh: Was wünschst du dir für ein besseres menschliches Miteinander?
Es wäre sicher viel gewonnen, wenn wir als Bürger*innen empathisch miteinander umgehen. Die meisten Konflikte eskalieren nicht aus Bösartigkeit, sondern aus Fahrlässigkeit und Gleichgültigkeit. Ich wünsche mir hauptsächlich gegenseitigen Respekt und Toleranz für die menschlichen Unzulänglichkeiten und Ambivalenzen. Und eine klare Kante, wenn unsere demokratischen Prinzipien angegriffen und unterhöhlt werden.
wbh: Im Hinblick auf die Landtagswahl im Sep 2019: Was kann jede*r Bürger*in aktiv tun, um dem Rechtsruck mit demokratischen Mitteln entgegenzuwirken?
Ich bin mir gar nicht sicher, ob wir in der sächsischen Gesellschaft wirklich einen Rechtsruck erleben. Die Einstellung in den Köpfen, dieser typisch sächsische Konservatismus und die – Verzeiht mir den Ausdruck! – Obrigkeitshörigkeit, gibt es doch nicht erst seit fünf Jahren. Als ehemals bunthaarige Jugendliche, die vor gut zwanzig Jahren ihre Jugend in Dresden verbracht hat, weiß ich, wovon ich rede. Im öffentlichen Diskurs sind sie nur zunehmend sichtbar geworden, weil unsere Debatten sich polarisieren. Das ist ein langwieriger Prozess. PEGIDA und Co haben dazu geführt, dass die Leute heute unverhohlener sagen, was sie früher eher still dachten. Die Leute, die früher am Stammtisch vor zehn Leuten ihre Parolen grölten, fühlen sich nun sicher und vermeintlich im Oberwasser. Das lässt sie lauter schreien und sie bekommen viel Aufmerksamkeit. Und dann gibt es noch die Menschen, die diese Entwicklung für ihre Zwecke instrumentalisieren. Ich glaube, es hilft nur, wenn wir als Bürger*innen zu einer Haltung finden, mit der wir Populisten und Schreihälsen begegnen können. Wenn ich mir klar darin bin, wo meine Grenze ist, wofür ich stehe, dann haut mich auch so ein dreister Schreihals (m/w/d) nicht so schnell aus der Bahn.
Ich sehe zwei unterschiedliche Ebenen: In den politischen Debatten würde ich mir wirklich mehr Souveränität und weniger Panik von Seiten der etablierten Parteien wünschen. Es kann doch nicht sein, dass demokratische Parteien den Populisten teilweise zum Munde reden, in der Hoffnung, damit ein paar Stimmen abzugraben!
In den gesellschaftlichen Debatten wünsche ich mir mehr Visionen, mehr positiven Input: Wie wollen wir leben? In was für einer Gesellschaft wollen wir leben? An dieser Stelle können Kunst und Kultur einen wichtigen Beitrag leisten. Und ich sehe Institutionen wie beispielsweise die Kirchen in der Pflicht, ihre Stimme mutig zu erheben und ihren Einfluss gerade in konservative Kreise geltend zu machen und nötige Debatten zu führen.
wbh: Warum haben deines Erachtens Menschen Angst vor „dem bösen schwarzen Mann“, vor Migrant*innen und Muslimen?
Es gibt dazu viele Theorien und schlüssige Erklärungen. Natürlich ist es wichtig, das zu analysieren. Und noch wichtiger finde ich die Frage: Wie gehen wir damit um?
wbh: Wie können wir unsere Demokratie schützen und stärken?
Demokratie ist nicht einfach ein Staat oder ein Zustand. Demokratie ist eine facettenreiche Methode, Konflikte zu lösen und gemeinsame Regeln zu finden. Demokratie ist ein langwieriger Prozess. Demokratie müssen wir alle aktiv machen: Hinschauen, Haltung entwickeln und Konflikte aushalten und aushandeln. Für unsere Rechte eintreten und für diese auch gegebenenfalls „kämpfen“.
wbh: Was bedeutet für dich: Wir bleiben hier!
Der Slogan passt für mich gefühlt nicht so richtig, weil darin die unausgesprochene Frage steht, ob ich gehen möchte. Ich bin in Sachsen geboren. Ich lebe hier. Und ich sehe nicht ein, auch nur einen Fußbreit an Rechtspopulist*innen, Rassist*innen und Dummköpfe abzugeben. Gott sei Dank bin ich dabei nicht alleine! Ich lerne jeden Tag viele nette, große, kleine, kluge, manchmal anstrengende Menschen kennen, die sich jeder auf seine Weise dafür einsetzen, dass wir hier gut leben können.