INTERVIEW MIT ANDREAS DOHRN
wbh: Wo bist du aktiv, wofür engagierst du dich und trittst du ein?
Aktiv bin ich als
– ehrenamtlicher Mitbegründer der Leipziger „Kontaktstelle Wohnen“, mit der Geflüchtete aus Gemeinschaftsunterkünften in dezentrale Wohnräume umziehen, und der neuen Wohnungsgenossenschaft „Sowo Leipzig eG“
– als Projektpartner der Leipziger und bundesweiten Sharing-Plattform https://leipzig.depot.social/
– als grüner Stadtratskandidat
Begegnungen auf Augenhöhe mit allen Menschen in allen Situationen – dafür trete ich ein.
wbh: Wie fühlt es sich an, in Sachsen Politik aktiv mitzugestalten?
In Sachsen Politik zu gestalten, macht doppelt Spaß. Zum einen sind in der postsozialistischen Gesellschaft eines östlichen Bundeslandes mehr Freiräume vorhanden als z. B. in meiner Geburtsregion Stuttgart/Baden-Württemberg. Zum anderen sind größere politische Gefahren zu bekämpfen.
wbh: Warum ist es wichtig, dass sich jede*r mit Politik beschäftigt und diese aktiv mitgestaltet und wie?
In der Postmoderne nimmt die Komplexität von Politik zu. Viele lokale Fragen haben inzwischen globale Dimensionen. Diese verleitet einen größeren Teil der sächsischen Bevölkerung zum falschen Rückschluss, dass populistische / einfache / moderne / feudale / menschenfeindliche Antworten gefunden werden. Gute Zugänge zu Politik bieten einzelne Themen, bei denen man sich selber gut auskennt und früh Lösungen mitentwickeln kann. Wichtig sind die Analyse von Zielgruppen (z. B. Schwerpunkt-Gruppen, die von Armut betroffen sind: Arbeiterfamilien mit Migrationshintergrund & Alleinerziehende & Wohnungslose) und das Entwickeln von übertragbaren Modellprojekten
wbh: Wie kann man die Themen Politik, Beschäftigung mit Demokratie und unseren Grundwerten stärker ins Bewusstsein der Öffentlichkeit bringen?
Indem man Politik an die Orte bringt, an denen die Menschen arbeiten und leben und vorbeikommen. Wesentlich sind die Social-Media-Plattformen Facebook, Instagram & Youtube. Als Sprecher der sächsischen Kampagne „Polizeigesetz stoppen“ ist mir aufgefallen, dass niedrigschwellige Beteiligungsformate (monatliche Plena) & gemeinsames Essen & Moderation sehr wesentliche Politik-Elemente sind.
wbh: Was ist unser Erbe, was ist unsere Zukunft?
Unser Erbe ist die Schöpfung Gottes (da kommt der hauptamtliche Pfarrer in mir durch) und unsere Zukunft ist klimatisch auf der Kippe.
wbh: Was wünschst du dir für ein besseres menschliches Miteinander?
Mehr Begegnungen mit ausgegrenzten Menschen, gemischte Wohnquartiere, eine andere Wirtschaftsordnung und einen relaxten Umgang mit Zeit.
Was bedeuten für dich Freiheit, Schutz der Menschenwürde und Gleichberechtigung?
Freiheit bedeutet für mich, dass Freiheit das zu priorisierende Grundmodell von Gesellschaft in Abgrenzung zu „Sicherheit“ ist. Schutz der Menschenwürde wird inzwischen in vielen sächsischen Kommunen mit rassistischen Abgeordneten eine alltägliche Aufgabe vor Ort. Gleichberechtigung zwischen den vielen Geschlechtern ist gefährdet, dort wo bildungspolitisch zu viele Spiele verloren werden.
wbh: Wie wichtig sind Kunst und Kultur, Bildung, Medienkompetenz, Soziales, Jugendhäuser und psychologische Betreuung für unser Zusammenleben?
Die genannten Errungenschaften machen uns deutungsoffen und handlungsfähig. Durch die postmoderne Gesellschaft haben wir an vielen Stellen „2.0-Herausforderungen“, die nur durch die Inputs / Deutungsräume der genannten Institutionen lösbar werden.
wbh: In Hinblick auf die Landtagswahl im September 2019: Was kann jede*r Bürger*in aktiv tun, um dem Rechtsruck mit demokratischen Mitteln entgegenzuwirken?
Sich in Parteien/Wählervereinigungen engagieren und thematische Wahlchecks mitgestalten, wählen gehen und bekloppten Mandatsträgern dauerhaft + medial auf den Senkel gehen.
wbh: Was sind deines Erachtens in Sachsen und Brandenburg die Gründe für den Sieg der AfD bei der Europa- und Kommunalwahl?
Sie bietet die Illusion einer nicht-postmodernen, unkomplexen, an DDR-Erfahrungen anschlussfähigen Gesellschaft.
wbh: Angenommen, die AfD zieht in Sachsen zur Landtagswahl mit den gleichen Ergebnissen wie nach der Europa- und Kommunalwahl in den Sächsischen Landtag ein, welche Auswirkungen kann das für die Gesellschaft, Politik, Kunst und Kultur, Bildung und Soziales haben?
Dann stehen wir einen Schritt vor faschistisch-undemokratischen Entwicklungen á la Österreich, Italien und Ungarn.
wbh: Wie kann man Demokratie-Initiativen und Protagonist*innen vor Ort aktiv unterstützen und ihr Engagement stärken?
Mit Zeit & Geld & guten öffentlichen Worten sowie mit Counterspeech gegen Sprach- und Handlungs-Gangster.
wbh: Wie kann man Nichtwähler*innen erreichen, damit sie wählen gehen?
– Themen überzeugend lösen und in Nischen gefundene Lösungen wirksam verbreiten.
– Kleine Themen-Labore vor Ort entwickeln, in denen Menschen „Unterschiede“ und „Wirkungen“ verstehen
wbh: Wie kann man Menschen, die sich benachteiligt und abgehängt fühlen, bspw. Menschen, die nach dem Mauerfall viel verloren haben, Angst um ihre Existenz und vor Überfremdung haben, erreichen und in die Gesellschaft zurückholen?
Indem man ihnen zu neuen Rollen verhilft. Im Erzgebirge habe ich mit Langzeitarbeitslosen eine professionelle Arbeitsvermittlung aufgebaut (www.zeit.de/2010/04/S-Am-Start).
wbh: Warum haben deines Erachtens Menschen Angst vor „dem bösen schwarzen Mann“, vor Migrant*innen und Muslimen?
Weil sie unsicher sind und wenig konkrete Begegnungsflächen haben und selbst ihren Platz im postmodernen Feld nicht gefunden haben.
wbh: Meinst du, viele Menschen fühlen sich von Politiker*innen nicht entsprechend ihrer Meinung vertreten und abgeholt? Herrscht eine große Kluft zwischen Politiker*innen und Bürger*innen?
Es herrscht eine Riesenkluft. Und es herrscht der Irrtum vor, dass mit Rassisten Dialoge zu führen sind.
wbh: In den sozialen Medien war zu lesen, dass man weniger auf die „Bedürfnisse“ der besorgten und Wutbürger*innen eingehen soll, sondern eher auf die unserer Jugend. Wie siehst du das?
Rassisten brauchen Stress, frühes Pressing und spürbare Nachteile – es braucht als eine andere Art der Beschäftigung. Aktuell gibt es viele Akteur*innen, für die Rassismus ein monetär attraktives Geschäftsmodell ist (z. B. bezahlte Politik bzw. Abgeordneten-Zuarbeiter*innen). Es gilt, das Geschäftsmodell unattraktiv zu machen.
wbh: Wie wichtig sind Zivilgesellschaft und Zivilcourage?
Superwichtig. Und es braucht das gesellschaftliche Leadership von Brücken-Personen, die vor Ort von mehreren Milieus anerkannt werden. In Leipzig haben wir 1.000 Brücken-Personen, die zusammen hohes Pressing spielen. Deshalb haben wir stärkere Ergebnisse als in Dresden.
wbh: Wie können wir unsere Demokratie schützen und stärken?
Durch Zeit, Energie, überzeugende Projekte und Präsenz vor Ort.
wbh: Was verbindest du mit: Wir sind mehr!
Dass der Satz stimmt und dass die Apathie der Mittelschicht und der Oberschicht dringend ein Ende haben muss.
wbh: Was bedeutet für dich: Wir bleiben hier!
Wir sind auf dem gesellschaftlichen Platz bestimmend. Und die Feinde der offenen Gesellschaft merken ab der ersten Spielminute, dass es keinen Zentimeter Platz für Menschenfeindlichekit gibt.
Ganz lieben Dank für die Beantwortung unserer Fragen
(Foto: Martin Neuhof/Herzkampf)
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