INTERVIEW MIT ANGELA KLIER

wbh: Wo bist du aktiv, wofür engagierst du dich und trittst du ein?

Ich bin seit 2002 für Programme der Demokratieförderung, gegen Extremismus unterwegs. Und weil ich mich vorher schon gegen Diskriminierung und für Gleichbehandlung im Rahmen der Selbsthilfe und Behindertenhilfe eingesetzt habe, schwingen diese Themen immer mit.

wbh: Wie fühlt es sich an, Politik aktiv mitzugestalten?

Betrachte ich Politik als Regulierung der Angelegenheiten eines Gemeinwesens und verbinde damit jegliche Einflussnahme, Gestaltung und Durchsetzung von Forderungen und Zielen in privaten oder öffentlichen Bereichen, dann fühlt es sich gut an, gerade in der Gemeinwesenarbeit tätig zu sein. Betrachte ich die „große“ Politik, kann ich mitgestalten, indem ich vom Wahlrecht Gebrauch mache und mich schon mal einmische in öffentliche Diskurse. Aber ja, auch das fühlt sich gut an und ich möchte es nicht missen.

wbh: Warum ist es wichtig, dass sich jede*r mit Politik beschäftigt und diese aktiv mitgestaltet und wie?

Politisch ist der Alltag von uns allen, wir treffen täglich Entscheidungen, die Einfluss auf andere Menschen, Systeme und das Gemeinwesen haben. Ich glaube, das sich nur viele Menschen dieser Tatsache nicht bewusst sind, jedoch mit der bewussten Gestaltung ihres Alltages die Gesellschaft und damit auch Politik mitgestalten. Es ist zu kurz gedacht, Mitgestaltung und Mitbestimmung auf das Wahlrecht zu reduzieren oder auf die Beteiligung am öffentlichen Diskurs.
Was meines Erachtens fehlt, ist die Bewusstmachung der gestalterischen Möglichkeiten aller Menschen sowie ihre Würdigung.

wbh: Wie kann man die Themen Politik, Beschäftigung mit Demokratie und unseren Grundwerten stärker ins Bewusstsein der Öffentlichkeit bringen?

Es geht nur sehr niedrigschwellig. Politische Bildung ist wichtig und ihre Angebote werden zu wenig angenommen. Deshalb und darüber streite ich auch gern, muss nicht überall politische Bildung drauf stehen, wo politische Bildung drin ist. Für viele Menschen ist Politik das, was „die da oben“ machen und Politik gilt nicht als bodenständig, eher abgehoben. Wir müssen die Themen, die Bedarfe der Menschen suchen und erkennen und dann mit ihnen in Diskurse gehen, die sie abholen und angenommen werden. Mein Beispiel: Internationaler Frauentag, öffentliche Einladung zu Kaffee und Kuchen, es gibt ein Blümchen oder etwas Gebasteltes, einen Kulturbeitrag (Musik, Tanz…) und es gibt ein politisches Thema mit Gästen. Was haben wir: Würdigung der Frauen an ihrem Ehrentag, Kultur, Spaß und Gespräche und politische Bildung. Das Thema 2019 war die Kommunalwahl bzw. Frauen in politischen Ämtern haben sich den Fragen der Teilnehmer-Innen gestellt.

wbh: Was ist unser Erbe, was ist unsere Zukunft?

Ich kann das so nicht beantworten. Ich möchte nicht verantwortlich sein für Fehler aus der Vergangenheit und genauso wenig, wie ich mich an positiven Geschehnissen in der Vergangenheit beteiligen konnte. Die Zukunft will ich gern mitgestalten, dafür gilt es unsere Grundrechte zu wahren und Menschenrechte zu schützen.

wbh: Was wünschst du dir für ein besseres menschliches Miteinander?

Vielfalt anerkennen und leben. Wenn wir das realisieren, kommen wir zu einer neuen Kommunikation, ohne Hass und Vorurteile. Miteinander reden ist ein Anfang, darauf folgt Verstehen. Für mich gilt der Grundsatz, jede Meinung anzuhören, ich muss sie nicht teilen.

wbh: Was bedeuten für dich Freiheit, Schutz der Menschenwürde und Gleichberechtigung?

Wie oben bereits beschrieben, sind das für mich die Grundpfeiler unserer Gesellschaft. In den vergangenen Jahren hat sich leider gezeigt, dass Teile unsere Mehrheitsgesellschaft diese Grundrechte in Anspruch nehmen, sie jedoch weder vor den Feinden der Demokratie entsprechend schützen noch Zugewanderten zur Verfügung stellen möchten. Beim Blick auf europäische Nachbarländer erscheinen mir diese Grundrechte nicht mehr als selbstverständlich, umso mehr schützenswert.

wbh: Wie wichtig sind Kunst und Kultur, Bildung, Medienkompetenz, Soziales, Jugendhäuser und psychologische Betreuung für unser Zusammenleben?

Ich diskutiere viel mit meinen Mitmenschen über die Themen Identität und Heimat. Im Erzgebirge aufgewachsen und noch immer fest verwurzelt, sind Traditionen, Kunst und Kultur sehr wichtig. Das hat Einfluss auf meine Identität. Ich interessiere mich außerdem ganz vielfältig für Kunst und Kultur, ich nutze Medien, bin sozial gut vernetzt und bilde mich weiter.
Wenn ich das für mich in Anspruch nehme, dann ist es mir auch wichtig, dass es für alle Menschen zur Verfügung steht und erst recht für die Jugend, unsere Zukunft.

wbh: Im Hinblick auf die Landtagswahl im Sep 2019: Was kann jede*r Bürger*in aktiv tun, um dem Rechtsruck mit demokratischen Mitteln entgegenzuwirken?

Zur Wahl gehen!

wbh: Was sind deines Erachtens in Sachsen und Brandenburg die Gründe für den Aufstieg der Rechtspopulisten bei der Europa- und Kommunalwahl?

Ich habe lediglich einen Einzug der Rechtspopulisten in Wahlämter verzeichnet. Die Personen mit ihren Ideen und deren Netzwerke kannte ich vorher schon und es war eine Frage der Zeit, bis sie soweit erstarkt sind. Für Analytiker ist der Blick zurück sicher gewinnbringend und sicher haben auch einige gute Ratschläge für kommende Wahlen vergeben.

wbh: Angenommen, Rechtspopulisten ziehen in Sachsen zur Landtagswahl mit den gleichen Ergebnissen wie nach der Europa- und Kommunalwahl in den Sächsischen Landtag ein, welche Auswirkungen kann das für die Gesellschaft, Politik, Kunst und Kultur, Bildung und Soziales haben?

Ich bin mir sicher, dass es zu einer absoluten Mehrheit nicht reichen wird, weil die Wähler*innen das verhindern. Auch in Sachsen geht alle Macht vom Volke aus und das wissen auch Rechtspopulisten.

wbh: Wie kann man Demokratie-Initiativen und Protagonist*innen vor Ort aktiv unterstützen und ihr Engagement stärken?

Wir haben das Problem von zwei Seiten unter Druck zu stehen. Die Menschen, die sich gegen Rechtspopulismus und Rechtsextremismus positionieren und Haltung zeigen, werden natürlich aus der rechten Flanke befeuert. Das geht von Hass im Netz bis hin zu persönlichen Bedrohungen usw. Leider aber werden wir auch zur Zielscheibe von Medien, kommunalen Verantwortungsträgern und Mitmenschen. Bezeichnet als Linksextreme und Unruhestifter, nicht ernst genommen oder gar beschimpft, haben schon einige Aktive ihr Engagement eingestellt. Die Stellung in der Gesellschaft ist nicht nur wohlwollend. Wichtig ist, das Förderprogramme entfristet werden und die Akteur*innen nicht an bürokratischen Hürden verzweifeln. Eine niedrigschwellige und kontinuierliche Arbeit zur Stärkung demokratischer Strukturen und zur Veränderung von Einstellungen und Haltungen im Sinne unserer Wertegemeinschaft muss im Interesse aller liegen und von allen unterstützt werden. Hiervon profitiert auch die Wirtschaft, hält sich aber noch weitestgehend mit Unterstützung zurück.

wbh: Wie kann man Nichtwähler*innen erreichen, damit sie wählen gehen?

Bei ihren persönlichen Bedürfnissen abholen.

wbh: Wie kann man Menschen, die sich benachteiligt und abgehängt fühlen, bspw. Menschen, die nach dem Mauerfall viel verloren haben, Angst um ihre Existenz und vor Überfremdung haben, erreichen und in die Gesellschaft zurückholen?

Wir müssen ihnen zuhören und ihnen den Raum für Gespräche bieten. Dabei darf es keine Ausgrenzung im Voraus geben, Menschen wollen sich eingeladen fühlen. Ich habe seit Oktober 2018 eine Redezeit. Alle dürfen kommen, egal welches Problem, ob es überhaupt ein solches gibt oder sie nur reden wollen. Es braucht Zeit, dass die Menschen es annehmen und es kommt auch zu unschönen Gesprächen, aber wir reden miteinander.

wbh: Warum haben deines Erachtens Menschen Angst vor „dem bösen schwarzen Mann“, vor Migrant*innen und Muslimen?

Märchen aus Kindertagen, Medienberichte, Filme usw. Außerdem wird heutzutage Angst bewusst geschürt. Medien sind daran nicht ganz unschuldig.

wbh: Meinst du, viele Menschen fühlen sich von Politiker*innen nicht entsprechend ihrer Meinung vertreten und abgeholt? Herrscht eine große Kluft zwischen Politiker*innen und Bürger*innen?

Die Kluft ist da. „Die da oben“ gelten als abgehoben und als Alleinherrscher*innen. Unser Ministerpräsident scheint mir gerade auf einem guten Weg, er wird ihn nur nicht allein beschreiten können. Früher nannte man das wohl „volksnah“, was wohl nicht ganz stimmt, denn das Volk wählt seine Vertreter*innen aus seiner Mitte.

wbh: In den sozialen Medien war zu lesen, dass man weniger auf die „Bedürfnisse“ der besorgten und Wutbürger*innen eingehen soll, sondern eher auf die unserer Jugend. Wie siehst du das?

Die Bedürfnisse aller Bürger*innen sollten im Fokus stehen und Kompromisse sind auszuhandeln. Es finden nur noch wenige Aushandlungsprozesse statt, Entscheidungen werden von Wenigen getroffen.

wbh: Wie wichtig sind Zivilgesellschaft und Zivilcourage?

Kindern sollte Zivilcourage frühzeitig gelehrt werden. Eine starke Gemeinschaft hält auch zusammen und unterstützt die Schwachen. Grundsätze, die ich noch gelernt habe. Es gibt Begrifflichkeiten in unserem Sprachgebrauch, die sind nicht niedrigschwellig genug, sie sind nicht direkt genug und werden immer mehr vernachlässigt. Zivilgesellschaft ist ein solcher Begriff. Die Menschen identifizieren sich nicht damit. Ähnliches bemerke ich bei den Begriffen Bürgerinnen und Bürger. Unser Sprachgebrauch ist entscheidend dafür, ob wir gehört werden. Aber ja, die Gesellschaft, die Gemeinschaft, sie ist wichtig und wir alle müssen für ihren Zusammenhalt einstehen.

wbh: Wie können wir unsere Demokratie schützen und stärken?

Durch unsere eigene Haltung und Einstellung, die wir täglich und in allen Situationen vertreten.

wbh: Was verbindest du mit: Wir sind mehr!

Ich persönlich halte nichts davon. Wer ist WIR und wer sind die ANDEREN? Diese Betrachtungsweise grenzt aus.

wbh: Was bedeutet für dich: Wir bleiben hier!

Das bedeutet, Menschen haben ihre Heimat und ihre Identität gefunden und lassen sich nicht von anderen Ideen und/oder Menschen vertreiben. Sie haben feste Wurzeln und Standpunkte. Es bedeutet, wir gehen hier nicht weg und wir schützen unsere Demokratie.

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