INTERVIEW MIT JULIANE STREICH
wbh: Magst du unseren Leser*innen kurz von deiner Arbeit und deinem Leben erzählen.
Ich arbeite als freie Journalistin in Leipzig. Ich schreibe für diverse Zeitungen und Magazine, war zehn Jahre lang Redakteurin beim kreuzer und arbeite regelmäßig bei MDR Kultur in der Onlineredaktion. Mit dem ehemaligen Bürgermeister von Tröglitz, Markus Nierth, habe ich vor wenigen Jahren seine Geschichte in dem Buch „Brandgefährlich – warum das Schweigen der Mitte die Rechten stärkt“ geschrieben.
wbh: Wie fühlt es sich an, Politik aktiv mitzugestalten?
Bei Anti-Nazi-Demos: laut. Beim Betreuen von Flüchtlingskindern: lustig. Bei der ehrenamtlichen Arbeit bei Unicef: langsam. Bei der politischen Bildung von Schulkindern: anstrengend. Aber am Ende doch immer richtig und gut.
wbh: Was ist unser Erbe, was ist unsere Zukunft?
Unsere Zukunft wird warm. Unser Erbe ist die Klimakrise (von Wandel will ich da kaum noch sprechen). Sie wird das Leben auf der Welt massiv beeinflussen und tut es jetzt schon. In dem Zusammenhang ist es tatsächlich mal von Vorteil, in Sachsen zu leben, denn wir werden von den großen Katastrophen wohl erst einmal verschont bleiben und können vielleicht nur darüber jammern, dass wir bei 38 Grad arbeiten gehen müssen. Aber was in anderen Gegenden der Welt abgeht, dass Menschen ihre Häuser verlassen müssen, weil sie untergehen, dass andere nicht mehr genug Wasser haben, um sich und ihre Kinder zu ernähren, dass Unwetter und Naturkatastrophe gerade die Ärmsten am Härtesten treffen, viele von ihnen auch töten – das ist so schlimm, dass ich da nur noch radikales Umdenken als Lösung sehe. Klar, wir können aufhören, zu fliegen und Fleisch zu essen, und sollten das auch tun. Aber es braucht größere Lösungen, die Wirtschaft und Politiker*innen – gerade die der westlichen Welt, die zum größten Teil für die Misere verantwortlich ist – sofort umsetzen müssten. Nicht erst 2030.
wbh: Was wünschst du dir für ein besseres menschliches Miteinander?
Weniger Hass, mehr Liebe! Ist doch klar.
wbh: Wie wichtig sind Kunst und Kultur, Bildung, Medienkompetenz, Soziales, Jugendhäuser und psychologische Betreuung für unser Zusammenleben?
Sehr wichtig. Dass es in Leipzig verhältnismäßig viel Kulturangebote und engagierte Projekte gibt, finde ich besonders toll hier. Das erklärt auch, warum Leipzig nicht so ein großes Problem mit Rechtsradikalismus hat wie der Rest von Sachsen. Doch gerade in den kleine Städten und ländlichen Regionen fehlt es gerade an all dem. Deswegen sollten wir auch von hier aus versuchen, alternative und soziokulturelle Zentren wie das Dorf der Jugend in Grimma, das Treibhaus in Döbeln oder das Emil in Zittau besser zu unterstützen
wbh: Im Hinblick auf die Landtagswahl im Sep 2019: Was kann jede*r Bürger*in aktiv tun, um dem Rechtsruck mit demokratischen Mitteln entgegenzuwirken?
Wählen gehen. Demokratische und antifaschistische Projekte unterstützen – finanziell oder mit persönlichem Einsatz. Mit Menschen reden, die da anderer Meinung sind (Verwandte, Bekannte, Kolleg*innen, ehemalige Mitschüler*innen).
wbh: Was sind deines Erachtens in Sachsen und Brandenburg die Gründe für den Aufstieg der Rechtspopulisten bei der Europa- und Kommunalwahl?
In der Brandenburgischen Politik kenne ich mich nicht so gut aus. In Sachsen spielt die CDU, die seit der Wende an der Macht ist, eine Rolle. Sie hat den Rechtsextremismus seitdem immer klein geredet, rechte Überfälle als Einzelfälle deklariert und Vereine, die sich gegen Rechtsextremismus einsetzen, danach gefragt, ob sie überhaupt im demokratischen Sinne des Landes handeln. MP Kretschmer hat jetzt zumindest mal zugegeben, dass Sachsen da ein Rechtsextremismus-Problem hat. Aber er betont auch immer gleich, wie schlimm die Linken sind. Ein anderer wichtiger Grund ist fehlende politische Bildung. Und dass der Osten viel zu weiß ist. Die am lautesten von der Überfremdung, der Islamisierung und dem bösen schwarzen Mann schreien, haben ja nie jemanden mit Migrationshintergund gekannt.
wbh: Angenommen, Rechtspopulisten ziehen in Sachsen zur Landtagswahl mit den gleichen Ergebnissen wie nach der Europa- und Kommunalwahl in den Sächsischen Landtag ein, welche Auswirkungen kann das für die Gesellschaft, Politik, Kunst und Kultur, Bildung und Soziales haben?
Nur schlechte. Viele Einrichtungen werden um ihre Existenz zittern müssen, weil ihnen Fördergelder gestrichen werden sollen, das hat die AfD schon oft genug angekündigt, und einige in der CDU stimmen da ja gerne mal mit ein.
wbh: Wie kann man Demokratie-Initiativen und Protagonist*innen vor Ort aktiv unterstützen und ihr Engagement stärken?
Mit Geld – oder hingehen und mithelfen.
wbh: Warum haben deines Erachtens Menschen Angst vor „dem bösen schwarzen Mann“, vor Migrant*innen und Muslimen?
Unter anderem wegen der Medienberichterstattung – wenn ich zwei Wochen lang die Bild-Zeitung lesen würde, hätte ich auch große Angst. Und wegen Facebook, wo man sich seine Bubble voller eigener (oft falscher) Hysterie-Quellen zusammensuchen kann und in seiner Angst von all den anderen Besorgten bestätigt und angefeuert wird.
wbh: In den sozialen Medien war zu lesen, dass man weniger auf die „Bedürfnisse“ der besorgten und Wutbürger*innen eingehen soll, sondern eher auf die unserer Jugend. Wie siehst du das?
Ja, unbedingt. Auf die Bedürfnisse der besorgten Bürger wurde doch jetzt jahrelang eingegangen. Nicht nur in diversen Talkshows und Zeitungsartikeln. Auch politisch. Das meiste, was sie wollten, ist längst erreicht. Die Festung Europa hat ihre Grenzen so dicht gemacht, dass es nicht mal mehr erlaubt ist, Ertrinkende zu retten. Das muss man sich mal vorstellen. Und wenn private Seenotretter es trotzdem schaffen, einige zu retten, dann gibt es tagelange Verhandlungen darüber, welches Land 40 Leute aufnehmen kann. Es ist unfassbar. Und unfassbar traurig. Was höre ich denn, wenn ich den Wutbürgern zuhören? „Absaufen!“-Chöre.
Und wenn ich den Jungen zuhören, höre ich wissenschaftliche Argumente, warum die Welt so nicht weiter machen kann. Da werden zukunftsweisende Probleme zitiert, die das Leben so vieler Menschen bedrohen, dass die Flüchtlingszahlen der letzten Jahre ein Witz dagegen sind.
wbh: Was verbindest du mit: Wir sind mehr!
Chemnitz. Und die Hoffnung, dass alles gut werden wird, weil Campino mit Rod „Schrei nach Liebe“ gesungen hat, denn wer hätte je gedacht, dass die Hosen und die Ärzte mal zusammen ihre Lieder singen werden.
wbh: Was bedeutet für dich: Wir bleiben hier!
Für mich privat bedeutet das, dass ich nach über zehn Jahren immer noch nicht zurück nach Berlin gezogen bin, obwohl ich nur drei Monate bleiben wollte. Aber im großen und ganzen: Respekt an alle, die auf dem Land mehr oder weniger allein für Menschenrechte und gegen rechte Menschen kämpfen, beschimpft und bedroht werden und trotzdem bleiben.