INTERVIEW MIT ANNEKATRIN MICHLER
wbh: Magst du unseren Leser*innen kurz von deiner Arbeit und deinem Leben erzählen.
Ich bin gebürtige Leipzigerin, wurzle hier und bin dankbar, hier und jetzt leben zu können.
Ich bin seit fast 30 Jahren selbstständig und heute als Teamentwicklerin, Rednerin, Coach und Kommunikations-Expertin bundesweit tätig. Ich erlebe viele Unternehmenskulturen und gestalte mit meiner Tätigkeit Veränderungen mit. Ich stärke und begleite Menschen.
Weiterhin stehe ich auch im öffentlichen Theater auf der Bühne. Ich spiele … auch in meinem Hauptberuf. Ich bringe Menschen in Bewegung, in Beziehung (zu sich selbst, zueinander) u. a. mittels Spiels, Humor, kreativen oder gar absurden neuen Strategien. Seit fünf Jahren nenne ich mich deshalb „Die Ändertainerin®“.
wbh: Wo bist du aktiv, wofür engagierst du dich und trittst du ein?
Ich bin aktiv in Firmen, im Ehrenamt in der Wirtschaft sowie als Familienmutter und Oma.
Ich trete ein für Respekt, Klarheit und Dankbarkeit für uns, für diese Welt und für mehr Rückbesinnung auf das, was uns trägt – die Erde – die Natur.
Ich engagiere mich, indem ich Haltung zeige. Mit jedem öffentlichen Auftrag zeige ich Haltung und lade zur Reflektion eigener Positionen ein. Mein Ansatz ist handeln statt ewig reden, aktiv mitgestalten und in Verantwortung gehen. Ich agiere ebenfalls als Vizepräsidentin der IHK zu Leipzig, als Fördermitglied der Wirtschaftsjunioren und bundesweit als Sächsin mit viel Herz, die den Sachsen (mit viel Herz) bewusster macht.
wbh: Wie fühlt es sich an, in Sachsen Politik aktiv mitzugestalten?
Herausfordernd – es ist interessant, wie Botschaften bzw. Fragen umgedeutet werden.
Wenn ich klar Dinge auf den Punkt bringe – holt man(n) oft zum Gegenschlag – „Sei nicht so emotional.“– aus. Dann weiß ich, es hat gewirkt. 😊
wbh: Warum ist es wichtig, dass sich jede*r mit Politik beschäftigt und diese aktiv mitgestaltet und wie?
Weil wir für diese Welt aktiv einstehen sollten. Ich kann zunehmend schlecht mit diesem – „Die da sollen erst mal …“ – leben.
Jeder hat Möglichkeiten. Das beginnt beim Nachbarn, in der Straßenbahn – in der Familie, unter Freunden.
Wir sehen viel und schweigen. Wir lassen zu, dass wir uns getrennt verhalten, einander Vorwürfe machen. Ich wünsche mir sehr, dass wir uns wieder an das WIR erinnern. Da kann nur jeder bei sich selbst beginnen.
Aktiv mitgestalten bedeutet, angemessen zu reden UND vor allem zu handeln.
Das sind Kleinigkeiten: Den Restmüll nach der Grillparty mit nach Hause nehmen, die Achtsamkeit ab 23 Uhr Ruhe statt Party bis drei Uhr morgens, das Aufstehen in der Bahn, ein Lächeln, ein freundliches Wort – oder ein sehr klares Wort. Ich plädiere dafür, klarer Stopp zu sagen und zu begrenzen, was zerstörerisch unterwegs ist.
wbh: Wie kann man die Themen Politik, Beschäftigung mit Demokratie und unseren Grundwerten stärker ins Bewusstsein der Öffentlichkeit bringen?
Mit mehr Humor und Leichtigkeit und damit, dass wir aufhören, Dinge, die wir a) entweder nicht gleich verstehen, b) die erst einmal nicht unserer Einstellung entsprechen oder c) die falsch bzw. unangemessen ausgesprochen werden sofort zu bewerten.
Ich wünsche mir, dass wir an einer Kultur des Respekts arbeiten – wenn dies doch endlich mal groß angelegt politisch thematisiert werden würde: Wie wollen wir Menschen miteinander in diesem Land leben.
Das Thema höre ich nur in Talkshows, nicht im Bundestag erörtert.
Ich erlebe derzeit Nebendebatten über Personal, Krisen in Parteien – es geht ums uns!!!!
Das führt zu Frust und dem Gefühl, nicht wahrgenommen zu werden.
Eigentlich ist es wie in manchen Firmen. Statt sich dem Kunden (Bürger) zu widmen, beschäftigt sich das Unternehmen ständig mit sich selbst. Und … der Kunde geht zur Konkurrenz (AfD).
wbh: Was ist unser Erbe, was ist unsere Zukunft?
Alles ist unser Erbe: Unsere Geschichten, unsere Erkenntnisse – auch aus dem Scheitern. Unsere Zukunft wäre, das Gegenwärtige mal wieder zu würdigen, in vollen Zügen zu genießen und auszuhalten, dass manches misslingt – so kämen wir leichter ohne Ängste, sondern mit mehr Neugier in die Zukunft.
wbh: Was wünschst du dir für ein besseres menschliches Miteinander?
Respekt und Toleranz!
wbh: Was bedeuten für dich Freiheit, Schutz der Menschenwürde und Gleichberechtigung?
Respekt und Achtsamkeit und KLARHEIT.
Freiheit bedeutet für mich, auch Verantwortung für sich selbst zu übernehmen – für das eigene Leben, das eigene Handeln und Verhalten.
Es sollte sich nicht jeder mit seiner Strömung zum Heilsbringer erheben, sondern neugierig offen sein.
Geben und Nehmen mit Bewusstsein wäre für mich ein gutes Maß für Gleichberechtigung.
wbh: Wie wichtig sind Kunst und Kultur, Bildung, Medienkompetenz, Soziales, Jugendhäuser und psychologische Betreuung für unser Zusammenleben?
Das sind wunderbare Orte, Gelegenheiten, um zu lernen, zu entspannen, einander zu begegnen und um zu wachsen, um Ängste zu thematisieren und abzubauen, um Toleranz und Erleben zu befördern.
wbh: Im Hinblick auf die Landtagswahl im Sep 2019: Was kann jede*r Bürger*in aktiv tun, um dem Rechtsruck mit demokratischen Mitteln entgegenzuwirken?
Erstmal selbst reflektieren, wie denke ich selbst, was tue ich konkret, schaffe ich es, meine Haltung gegen rechts klar zu zeigen, sich verbinden und Leuten, die unterwegs nach rechts sind, nicht ausgrenzen, ihnen gegenüber aber klare Grenzen aufzeigen und widersprechen, wenn es um die Verletzung der Menschenwürde und unserer demokratischen Grundwerte geht.
wbh: Was sind deines Erachtens in Sachsen und Brandenburg die Gründe für den Sieg der AfD bei der Europa- und Kommunalwahl?
Diejenigen, die sich erst in diese Richtung bewegen, fühlen sich möglicherweise nicht gehört.
Man sucht Schuldige bzw. Verantwortliche für die eigene – möglicherweise missliche – Lebenssituation und übernimmt nicht die Verantwortung für sich selbst.
Angst vor Veränderung, Angst vor dem möglicherweise Neuen und Unbekannten.
Aber auch: Sicherung des eigenen Besitzstandes – nach dem Motto: Das habe ich mir erarbeitet, davon gebe ich nichts ab.
Meines Erachtens sitzen auch Mitverursacher in Ämtern. Dort erleben Bürger Ungerechtigkeit, nicht genügend Bürgerengagement, Aussitzen und scheinbares Desinteresse. Dort wird Wut und das Gefühl der Ohnmacht mitgeschürt.
wbh: Angenommen, die AfD zieht in Sachsen zur Landtagswahl mit den gleichen Ergebnissen wie nach der Europa- und Kommunalwahl in den Sächsischen Landtag ein, welche Auswirkungen kann das für die Gesellschaft, Politik, Kunst und Kultur, Bildung und Soziales haben?
Dramatische Auswirkungen. Und ich bin mir sicher, dass dies vielen, die aus Protest die Wahl der AfD in Erwägung ziehen, gar nicht bewusst ist. Ich kann nur darauf drängen, das Wahlprogramm dieser Partei zu lesen und sich damit auseinanderzusetzen. So mancher Protestwähler wird nach einem potenziellen Wahlsieg deutliche negative Veränderungen in seinem Leben spüren und direkt erleben.
wbh: Wie kann man Demokratie-Initiativen und Protagonist*innen vor Ort aktiv unterstützen und ihr Engagement stärken?
Mit einer anderen Medienstrategie. Gute Geschichten nicht so als – Das da sind die Guten – vermarkten.
Fördern, dass wir vor Ort, im ländlichen Raum evtl. über Kultur und Kunst miteinander reden.
Kultur verbindet noch. Das sollten wir mehr nutzen.
Lachen, sächsischer Humor hören auch AfD-Wähler gern.
wbh: Wie kann man Nichtwähler*innen erreichen, damit sie wählen gehen?
Ich glaube, man sollte eher den provokativen Stil nutzen. Indem wir um Nichtwähler buhlen, bekommen sie zu viel Status. Wer sich zum Nichtwählen entschieden hat, geht auch nicht zur Wahl und wenn doch … dann um die AfD zu wählen. Dahin tragen sie ihre Gleichgültigkeit.
wbh: Wie kann man Menschen, die sich benachteiligt und abgehängt fühlen, bspw. Menschen, die nach dem Mauerfall viel verloren haben, Angst um ihre Existenz und vor Überfremdung haben, erreichen und in die Gesellschaft zurückholen?
Indem wir einfach wieder zuhören, ohne gleich Ratschläge zu geben, was richtig für sie ist. Das ist der erste Schritt und dann konsequent klären: so und nun folgt der 2. Schritt: Jetzt wird verziehen, getrauert und nun in die Eigenverantwortung gehen.
Was kannst du selbst anders machen. Also auch klar auffordern und nun ist auch mal wieder gut: Übernimm nun auch Verantwortung.
Lehren, wie man nach vorn schaut. Vergangenheit kann ich nicht mehr gestalten, aber ansehen, was daraus zu lernen ist. Zukunft kann gestaltet werden.
Vielleicht gibt es bald mal ein Bürger-Coaching!
wbh: Warum haben deines Erachtens Menschen Angst vor „dem bösen schwarzen Mann“, vor Migrant*innen und Muslimen?
• Unkenntnis, überhaupt kein Kontakt z. B. zu Migrant*innen und Muslimen
• Schlechtes Benehmen einiger Personen – vor allem bei den jungen Alleinreisenden – (wie übrigens auch der jungen Halbstarken in unserem Land)
• fehlende differenzierte Betrachtung der Menschen
• Medien
• Man hört nur auf diejenigen, die u. a. mit Fake News Angst schüren, ohne sich selbst zu informieren.
wbh: Meinst du, viele Menschen fühlen sich von Politiker*innen nicht entsprechend ihrer Meinung vertreten und abgeholt? Herrscht eine große Kluft zwischen Politiker*innen und Bürger*innen?
Aus meiner Sicht sind es nicht immer die Politiker. Die sind ordentlich unterwegs, suchen das Gespräch, werden teilweise angeschrien und beschimpft und manchmal frage ich mich, wer das noch aushält.
Die Parteispitzen agieren aus meiner Sicht wie eine uneinige Familie, das nervt und frustriert. Weiterhin sehe ich wie gesagt die staatlichen Institutionen als Quelle:
Die erlebbare Politik machen Menschen in Ämtern, Schulen, Verbänden. Dort entsteht der Frust.
wbh: In den sozialen Medien war zu lesen, dass man weniger auf die „Bedürfnisse“ der besorgten und Wutbürger*innen eingehen soll, sondern eher auf die unserer Jugend. Wie siehst du das?
Beides ist wichtig. Ich lehne immer dieses – „Das ist wichtiger als das“ – ab.
Jung und Alt sollten nicht gegeneinander abgewogen werden – das bringt neue Kluften.
wbh: Wie wichtig sind Zivilgesellschaft und Zivilcourage?
Unbedingt notwendig und in unserem Land noch ausbaufähig.
wbh: Wie können wir unsere Demokratie schützen und stärken?
Mit Zivilcourage und Engagement der Gesellschaft.
Mit klarem Widerspruch, mit schnellen Reaktionen und Sanktionen, wenn durch Aussagen, Handlungen oder Verhalten unsere demokratischen Grundwerte in Frage gestellt oder gefährdet werden.
Positive Geschichten von Zivilcourage und Beispiele mehr berichten.
Politische Bildung in den Schulen – überhaupt: Bildung, Bildung, Bildung.
wbh: Was verbindest du mit: Wir sind mehr!
Bloß gut, dass es so ist. Dennoch empfinde ich genau diese Bewegung als eine Mitursache, dass sich Andersdenkende ausgegrenzt fühlen bzw. sich in den „jetzt erst recht Status“ bringen.
Das trennt uns.
Wir – das sind alle und wir tragen alle gemeinsam die Verantwortung für unsere demokratische Gesellschaft. Das klar zu machen, fände ich viel besser.