INTERVIEW MIT ANTJE WONNEBERGER
wbh: Magst du unseren Leser*innen kurz von deiner Arbeit und deinem Leben erzählen.
Ich bin ANTJE, freischaffende Maskenbildnerin.
Mich fasziniert es ungemein, das Erscheinungsbild von Menschen komplett zu verändern. Denn sehr oft ändert sich ja viel mehr als ihre Optik: Sie öffnen sich, nehmen eine neue Rolle an, erzählen Geschichten. Und lassen jeden in fantasievolle Welten eintauchen, der sie in Theater-, Foto- oder Film-Inszenierungen erlebt.
Mit der Maskenbildnerei kam ich zum ersten Mal als junges Mädchen in Berührung, bei Ballettauftritten in der Dresdner Semperoper. Seither wollte ich lernen, Menschen selbst ein anderes Gesicht zu geben und fantastische Figuren lebendig werden zu lassen.
Mein Einzelunternehmen ANJTE DAHM – MASKENBILD DESIGN steht für die Liebe zur Veränderung, äußerlich aber auch innerlich. Und den Wunsch, die Menschen wacher, schöner, spannender, fantasievoller und bunter zu gestalten. Jeden Tag.
Ich bin außerdem ehrenamtlich unterwegs.
Bei Wir Gestalten Dresden, dem Branchenverband der Kultur&Kreativwirtschaft Dresdens, als Aufsichtsrätin der Darstellenden Künste. Um für mehr Aufmerksamkeit unserer tollen und vielfältigen Kulturbranche zu sorgen.
Beim Comicprojekt Sascha&Sascha, als Co-Founderin. Um auf humoristischen Wege für mehr Gleichberechtigung und gegenseitigen Respekt zu sorgen.
Und wenn noch Zeit bleibt, auch ein wenig bei den JuSos Dresden, für mehr politisch soziales Engagement.
wbh: Wo bist du aktiv, wofür engagierst du dich und trittst du ein?
Oh, das hab ich ja eben schon beantwortet 🙂
Aber zur Frage wofür ich eintrete, noch ein kurzer Zusatz: Ich trete ein für eine vielfältige, kreative, empathische und vor allem friedliche Gesellschaft, mit Anstand und Respekt jedem einzigartigen Menschen gegenüber. Denn in solch einer Gesellschaft möchte ich leben. Anstand zu bewahren, mal den eigenen Stolz runter zu schlucken und nicht gleich dem ersten Eindruck & den eigenen Vorurteilen zu verfallen, das strengt oft an, aber das ist es wert.
wbh: Wie fühlt es sich an, in Sachsen Politik aktiv mitzugestalten?
Ich habe keine Ahnung, ob es einen Unterschied gibt, zwischen in Sachsen politisch aktiv sein und irgendwo anders politisch aktiv sein.
Ich kenne hier viele tolle Menschen mit ordentlich Feuer und Leidenschaft und mit denen macht es einfach Spaß unsere Gesellschaft mit zu gestalten.
Ganz egal ob unser Team von Sascha&Sascha, die Kreativen von Wir Gestalten Dresden, kämpferische JuSos Dresden, Querdenkende von Lassesunstun e.V., Marktschwärmer Dresden, Singasylum, Das Rostige Ross, Genderkompetenzzentrum ufm. Alle ackern sie auf einem anderen Feld, aber alle haben dasselbe im Sinn – ein friedliches, buntes und respektvolles Miteinander. Für ein lebenswertes Hier und Jetzt und für eine lebenswerte Zukunft. Das finde ich ganz großartig und stimmt mich immer wieder hoffnungsfroh. Gerade dann, wenn mal wieder Negativmeldungen über Dresden und Sachsen laut werden. Es gibt hier unheimlich viele tolle Leute und Initiativen, bei denen ich stolz bin, ein Teil davon zu sein.
wbh: Warum ist es wichtig, dass sich jede*r mit Politik beschäftigt und diese aktiv mitgestaltet und wie?
Es ist wichtig, weil alles politisch ist. Politik ist die Grundordnung, mit der wir versuchen, unser gesellschaftliches Zusammenleben in geregelten Bahnen zu organisieren. Wir sind alle Teil der Gesellschaft und damit auch Teil des politischen Systems, in dem wir leben. Somit sind wir alle alltäglich auch mehr oder weniger politisch aktiv. Ob nun bewusst oder unbewusst. Ich sag dazu gern: „Man kann sich nicht, nicht verhalten.“ 🙂
wbh: Wie kann man die Themen Politik, Beschäftigung mit Demokratie und unseren Grundwerten stärker ins Bewusstsein der Öffentlichkeit bringen?
Indem wir drüber reden. Alltäglich drüber reden und thematisieren. Egal ob an Schulen, in Vereinen, zu Hause auf der Couch, beim Sport, in der Kunst oder wo auch immer. Ich denke, in den letzten fünf Jahren ist das Bewusstsein in der Gesellschaft auch wieder stark angestiegen.
wbh: Was ist unser Erbe, was ist unsere Zukunft?
Uff – ich hoffe, dass wir unter Beweis stellen, wie wandlungsfähig, innovativ und robust wir Menschen sind. Und dass wir es schaffen, eine ökologische Gesellschaft & Lebensweise auf die Beine zu stellen, die im Einklang mit unserem Planeten funktioniert.
wbh: Was wünschst du dir für ein besseres menschliches Miteinander?
Vieles. Empathie. Kreativität. Den Willen zuzuhören. Den Willen zu reden. Den Willen zu verstehen. Anstand. Wandlungsfähigkeit. Milde&Nachsicht. Respekt – Miteinander. Füreinander. Mit sich selbst. Optimismus. Pragmatismus. Ehrlichkeit. Neugier. Und noch so vieles mehr und dass all das viel mehr und öfter alltäglich gelebt wird.
wbh: Was bedeuten für dich Freiheit, Schutz der Menschenwürde und Gleichberechtigung?
Was das für mich bedeutet? Sehr viel. Das sind Grundbestandteile einer friedlichen Gesellschaft und eines lebenswerten Miteinanders. Ohne Freiheit, Menschenwürde und Gleichberechtigung leben wir einfach nicht auf einer fairen Welt.
Wie wichtig sind Kunst und Kultur, Bildung, Medienkompetenz, Soziales, Jugendhäuser und psychologische Betreuung für unser Zusammenleben?
Sehr, sehr, sehr, seeeeeeeehr wichtig.
wbh: Im Hinblick auf die Landtagswahl im Sep 2019: Was kann jede*r Bürger*in aktiv tun, um dem Rechtsruck mit demokratischen Mitteln entgegenzuwirken?
Indem wir ganz bewusst demokratisch handeln und leben. Wenn jeder in seinem/ihrem „Feld“, sei es in der Kunst/Musik, Wissenschaft, Politik, Medizin, Medien, Informatik, Sport oder wo auch immer sich alltäglich stark macht für ein gerechtes, faires, offenes Miteinander, dann ist – denke ich – schon viel geholfen. Ich finde immer, es werden die kleinen Handlungen unterschätzt. Man muss nicht gleich ne große Demo auf die Beine stellen, um Menschen wach zu rütteln (find ich gut, nicht dass wir uns falsch verstehen). Manche Menschen sind lieber leise & ruhige Kaliber und schreiben, malen, musizieren, programmieren, spielen Fussball für eine bessere Gesellschaft. Sie sollten genau das weiterhin und ganz selbstbewusst/entschieden tun. Vielleicht hier und da ein bisschen „öffentlichkeitswirksamer“, damit der Rest der Gesellschaft sieht, wo überall Demokratie gelebt wird. Aber auch das kann Mensch ja lernen 🙂
wbh: Was sind deines Erachtens in Sachsen und Brandenburg die Gründe für den Aufstieg der AfD bei der Europa- und Kommunalwahl?
Ich habe keine Ahnung. Ehrlich nicht. Es gibt so viele Erklärungen und ich denke, an allen wird etwas dran sein. Ich glaube jedenfalls nicht, dass es für solch komplexe „Probleme“ EINE einfache Erklärung gibt.
wbh: Angenommen, die AfD zieht in Sachsen zur Landtagswahl mit den gleichen Ergebnissen wie nach der Europa- und Kommunalwahl in den Sächsischen Landtag ein, welche Auswirkungen kann das für die Gesellschaft, Politik, Kunst und Kultur, Bildung und Soziales haben?
Das wäre fatal. Bei dem Gedanken daran wird mir ein wenig übel. Daher tue ich mein Bestes, in der Hoffnung, dass es nicht dazu kommt.
wbh: Wie kann man Demokratie-Initiativen und Protagonist*innen vor Ort aktiv unterstützen und ihr Engagement stärken?
Mitmachen, wenn Zeit, Können und Muse da sind. Finanziell unterstützen, wenn das Geld dafür reicht. Es weitererzählen und damit bekannter machen, wenn einem Öffentlichkeitsarbeit liegt.
wbh: Wie kann man Nichtwähler*innen erreichen, damit sie wählen gehen?
Bildung. Bildung. Bildung … und ganz viel Geduld und Muse mit einem Quäntchen Hoffnung.
wbh: Wie kann man Menschen, die sich benachteiligt und abgehängt fühlen, bspw. Menschen, die nach dem Mauerfall viel verloren haben, Angst um ihre Existenz und vor Überfremdung haben, erreichen und in die Gesellschaft zurückholen?
Indem die gesellschaftlichen Problemthemen, Klimawandel, Altersarmut, Soziale Ungerechtigkeit&Ungleicheit, Pflegenotstand nicht nur ernstgenommen, sondern auch aktiv angegangen werden. Unter anderem … auch hier gibts vermutlich nicht „DIE eine einfache Lösung“.
wbh: Warum haben deines Erachtens Menschen Angst vor „dem bösen schwarzen Mann“, vor Migrant*innen und Muslimen?
Auch das hat vermutliche viele Gründe. Die einen haben Angst, weil es ihnen (im doch vorwiegend „weißen Sachsen“) fremd ist. Die anderen, weil sie mit Ressentiments aufgewachsen und erzogen wurden. Die nächsten, weil sie persönlich schlechte Erfahrungen gemacht haben und diese Erfahrung nun auf alle anderen übertragen. Es wird auch unsere kolonialistische/nationalsozialistische Vergangenheit (und Gegenwart) und die damit einhergehende tendentiell arrogante/menschenfeindliche Grundhaltung gewisser Gruppen ihren Anteil haben …
wbh: Meinst du, viele Menschen fühlen sich von Politiker*innen nicht entsprechend ihrer Meinung vertreten und abgeholt? Herrscht eine große Kluft zwischen Politiker*innen und Bürger*innen?
Nein, das glaube ich nicht.
wbh: In den sozialen Medien war zu lesen, dass man weniger auf die „Bedürfnisse“ der besorgten und Wutbürger*innen eingehen soll, sondern eher auf die unserer Jugend. Wie siehst du das?
Ich finde, wir sollten uns auf LÖSUNGEN und auf unser WOFÜR konzentrieren, anstatt Probleme & vermeintliche Unterschiede wie einen heiligen Gral immer wieder raus zu kramen und ihnen endlos hinterherzujagen.
JA, es gibt dringende Aufgaben, die lösen sich aber nicht von allein. Daher „focus on solution“ und mehr Mut. Am besten Hand in Hand, egal ob alt, jung, besorgt, optimistisch oder was auch immer man ist.
wbh: Wie wichtig sind Zivilgesellschaft und Zivilcourage?
Sehr wichtig.
wbh: Wie können wir unsere Demokratie schützen und stärken?
Ich denke, aus meinen bisherigen Antworten lässt sich da schon ganz gut was als „Handlungsoption“ rausziehen 😉
wbh: Was verbindest du mit: Wir sind mehr!
Das demokratische „Mehrheitsprinzip“. Wobei aber bitte niemals vergessen werden darf, dass sich eine (gerechte) Gesellschaft daran messen lassen sollte, wie sie mit Minderheiten umspringt.
Was bedeutet für dich: Wir bleiben hier!
Ich verbinde damit ein vorhandenes „WIR“, dass sich nicht von gruseligen rechten Tendenzen und Widrigkeiten einer unruhigen Gesellschaft beirren lässt, sondern weiter für eine offene und freundliche Gesellschaft einsteht. Menschen, die weiterhin ihr Bestes tun und lebensfroh bleiben.