INTERVIEW MIT DANIELA KOLBE

wbh: Magst du unseren Leser*innen kurz von deiner Arbeit und deinem Leben erzählen.

Ich heiße Daniela Kolbe. Ich bin im Jahr 1998 zwecks Physik-Studiums nach Leipzig gezogen, bin also Diplom-Physikerin. Seit 2009 bin ich Mitglied des Deutschen Bundestages. Ich pendele also viel zwischen unserer Hauptstadt und meiner absoluten Lieblingsstadt Leipzig. Im Bundestag konzentriere ich mich auf die Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik und das Themenfeld künstliche Intelligenz. Außerdem habe ich zwei kleine Töchter, ein halbes Jahr alt und fast vier.

wbh: Wo bist du aktiv, wofür engagierst du dich und trittst du ein?

Mein politisches Engagement hat bei der Sozialistischen Jugend – Die Falken – einem politischen Kinder- und Jugendverband – begonnen. Später war ich dann bei den Jusos – der SPD-Jugendorganisation – und in der SPD aktiv. Für die SPD sitze ich nicht nur im Bundestag, sondern auch im Parteivorstand. Darüber hinaus engagiere ich mich auch bei vielen Initiativen wie zum Beispiel dem Netzwerk für Demokratie und Courage, das gegen Rechtsextremismus für Demokratie und Mitbestimmung Projekttage auch an Sachsens Schulen durchführt.

wbh: Wie fühlt es sich an, Politik aktiv mitzugestalten?

Ich kann mir gar nicht vorstellen, einfach immer andere gestalten zu lassen. Es ist für mich das alltäglichste der Welt, aktiv Politik zu machen. Und angesichts der Situation in Sachsen wünsche ich mir, dass noch ganz viele andere Menschen anfangen, sich aktiv einzumischen.

wbh: Warum ist es wichtig, dass sich jede*r mit Politik beschäftigt und diese aktiv mitgestaltet und wie?

Ich finde, das ist mittlerweile offenkundig. In Sachsen ist zu beobachten, was passiert, wenn sehr viele Menschen es nur wenigen überlassen, Politik zu gestalten. Dadurch haben Rechtspopulisten und Faschisten leichtes Spiel und die Zivilgesellschaft, die ihnen etwas entgegensetzen könnte, fehlt leider an zu vielen Stellen.
Dass viele Menschen Demokratie als Pizzalieferdienst „Ich bestelle – Du lieferst.“ missverstanden haben, hat zusätzlich dazu geführt, dass sich andere Interessen durchgesetzt haben. Das hat zu dem Frust beigetragen, den wir jetzt überall erleben.
Demokratie ist eben gerade nicht das, was die Parlamentarier*innen in Dresden oder Berlin tun, sondern das, was wir alle gemeinsam daraus machen.
Wir brauchen einen richtigen demokratischen Neustart. Viel mehr Menschen müssen sich aktiv einmischen und ihren Mund aufmachen, ihre Interessen artikulieren, aber auch konstruktiv mitarbeiten.

wbh: Wie kann man die Themen Politik, Beschäftigung mit Demokratie und unseren Grundwerten Stärker ins Bewusstsein der Öffentlichkeit bringen?

Ich hoffe, dass die aktuelle Situation vielen klarmacht, dass auch sie gefordert sind. Dazu wäre es hilfreich, immer wieder zu zeigen, dass auch kleines Engagement sich auszahlt. Es muss und kann ja nicht jeder Vollzeit-Parlamentarier*in sein. Aber schon der Widerspruch zu einem rassistischen Spruch, der Einsatz in der Elternvertretung, der Brief an den Stadtrat, die Teilnahme an einer Demo o. Ä. sind ja Möglichkeiten, sich aktiv und sinnvoll einzubringen.

wbh: Was ist unser Erbe, was ist unsere Zukunft?

Asche weiterzugeben, macht wenig Sinn, es muss schon Feuer – also etwas Lebendiges – sein. Ich bin Optimistin und glaube, dass die gegenwärtige Verunsicherung auch zu einer größeren Politisierung führen kann. Das fänd ich schön.

wbh: Was wünschst du dir für ein besseres menschliches Miteinander?

Auf der ganz persönlichen Ebene wünsche ich mir mehr Empathie und Anteilnahme am anderen. Auf der politischen Ebene halte ich es für zentral, dass wir Einkommen und Vermögen endlich wieder gerecht verteilen.

wbh: Was bedeuten für dich Freiheit, Schutz der Menschenwürde und Gleichberechtigung?

Alle drei Punkte sind unabdingbar für ein gutes Zusammenleben. Kein Punkt ist selbstverständlich. Wir müssen sie immer wieder aktiv erkämpfen und sichern.

wbh: Wie wichtig sind Kunst und Kultur, Bildung, Medienkompetenz, Soziales, Jugendhäuser und psychologische Betreuung für unser Zusammenleben?

Für mich sind sie der Kitt in den Fugen unserer Gesellschaft. Jede und jeder von uns bringt seinen Baustein an persönlichen Prägungen in unser Zusammenleben ein. Bildlich gesprochen: Nicht immer ist das mit dem Nachbarstein gleich kompatibel und vor allem wäre es mehr ein Nebeneinander, denn ein Miteinander. Die genannten Bereiche glätten raue Oberflächen, schaffen Verbindung und halten zusammen.

wbh: Im Hinblick auf die Landtagswahl im Sep 2019: Was kann jede*r Bürger*in aktiv tun, um dem Rechtsruck mit demokratischen Mitteln entgegenzuwirken?

Jede*r, der/dem dieses Land am Herzen liegt, sollte die Zeit bis zum 1. September nutzen, mit möglichst vielen Menschen ins Gespräch zu kommen. Und natürlich ist es wichtig, am 1. September zwei gültige Stimmen abzugeben. Wer kein schwarz-blau will (auch nicht verkappt durch eine Minderheitsregierung der CDU), sollte auch weder schwarz noch blau wählen. Eigentlich logisch. Und man sollte bei seiner Stimmabgabe auch darauf achten, Sachsen nicht unregierbar zu machen.

wbh: Was sind deines Erachtens in Sachsen und Brandenburg die Gründe für den Aufstieg der Rechtspopulisten bei der Europa- und Kommunalwahl?

Die Gründe sind vielschichtig. Ein Grund ist sicher die Schwäche der großen demokratischen Parteien und ihr Mangel an Glaubwürdigkeit. Dass die Rechtspopulisten gerade bei der Europawahl im Osten Deutschlands so stark werden konnten, hat sicher auch damit zu tun, dass sich Menschen hier wie Bürger zweiter Klasse fühlen und der Osten zum Teil auch tatsächlich gegenüber Westdeutschland benachteiligt ist. Man denke nur an die Ungleichheit bei den Löhnen oder die Verteilung der Bundesbehörden und Spitzenämter in Deutschland. Hier tut sich aber grade was. Aus historischen Gründen reagieren viele Ostdeutsche empfindlich auf staatliche Bevormundung – der EU gelingt es mit ihren undurchsichtigen und bürokratischen Prozessen leider zu selten, diesen Eindruck nicht zu erwecken. Aber ich denke auch, dass es immer noch viele Menschen gibt, die die AfD wählen und einfach noch nicht begriffen haben, dass sie eine rechtsextreme Partei ist, die nicht im Interesse der Bürgerinnen und Bürger handelt, sondern ihren Zulauf durch Hass und Angst nährt. Keine ihrer angeblich so einfachen Lösungen bringt uns einen Schritt weiter.

wbh: Angenommen, Rechtspopulisten ziehen in Sachsen zur Landtagswahl mit den gleichen Ergebnissen wie nach der Europa- und Kommunalwahl in den Sächsischen Landtag ein, welche Auswirkungen kann das für die Gesellschaft, Politik, Kunst und Kultur, Bildung und Soziales haben?

Das wäre fatal. Es gibt ja leider schon zahlreiche Beispiele im Ausland, dass – nachdem Rechtspopulisten die Macht errungen haben – Bildungs-, Kultur- und Sozialetats empfindlich angetastet werden. In den USA hat Präsident Trump seit Beginn seiner Amtszeit dem staatlichen Gesundheitssystem den Kampf angesagt. In Ungarn wurde mehr als einmal versucht die Pressefreiheit einzuschränken. Polen hat begonnen, den Rechtsstaat auf gefährliche Art und Weise zu beschneiden. In Österreich wurde von einer Koalition aus Konservativen und Rechtspopulisten der Arbeitsschutz geschleift. Aber es reicht auch schon ein Blick vor die eigene Haustür: Seit dem Auftauchen von Pegida und AfD ist das gesellschaftliche Klima rauer geworden. Öffentliche Debatten laufen aus dem Ruder und sind von Hass geprägt. Vertreter/-innen der Zivilgesellschaft werden eingeschüchtert und bedroht. Und leider konnte man gerade in letzter Zeit gut sehen, dass auf Worte Taten folgen: Nicht nur die Übergriffe auf Geflüchtete, muslimische und jüdische Einrichtungen haben deutlich zugenommen. Wir erleben gerade auch ein dramatisches Erstarken des Rechtsterrorismus, wie jüngst etwa der Mord am Kassler Regierungspräsidenten Lübcke oder die Schüsse auf einen Eritreer in Hessen zeigen.

wbh: Wie kann man Demokratie-Initiativen und Protagonist*innen vor Ort aktiv unterstützen und ihr Engagement stärken?

Wichtig ist zunächst, sie und ihre Arbeit ernstzunehmen und wertzuschätzen. Dann brauchen sie den richtigen Rahmen, in dem sie wirken können, etwa auskömmliche Finanzierungsmöglichkeiten, die im besten Fall auch unbefristet zur Verfügung stehen und hauptamtliche Unterstützungsstrukturen. Gerade deshalb streiten wir in der Bundesregierung gerade für ein Demokratiefördergesetz. Zudem müssen sie auf Augenhöhe in staatliches Handeln und die Netzwerke vor Ort mit einbezogen werden. Aber am allerwichtigsten ist: Mitmachen!

wbh: Wie kann man Nichtwähler*innen erreichen, damit sie wählen gehen? (Laura)

Tür-zu-Tür-Wahlkampf ist für mich dabei ein zentraler Hebel, denn da erreiche ich auch Menschen, die ich mit anderen Ansprachformen überhaupt nicht (mehr) erreiche. Und natürlich ist wichtig, das jede und jeder in seinem Umfeld Gespräche führt.

wbh: Wie kann man Menschen, die sich benachteiligt und abgehängt fühlen, bspw. Menschen, die nach dem Mauerfall viel verloren haben, Angst um ihre Existenz und vor Überfremdung haben, erreichen und in die Gesellschaft zurückholen?

Auch hier kann ich nur raten, die Probleme der Menschen und die Brüche in ihren Biografien anzuerkennen und ernstzunehmen. Für Politik ist es immer noch am wichtigsten, konkret und spürbar das Leben der Menschen zu verbessern. Deshalb muss man echte Probleme und Benachteiligung bekämpfen, etwa indem man die Lebensleistung von Menschen mit einer auskömmlichen Rente anerkennt oder indem man für Löhne und Arbeitsbedingungen sorgt, die ein würdiges Leben ermöglichen. Eine Sache ist mir aber ganz wichtig: Ich finde, man muss auch ganz klar eine Grenze ziehen zwischen den persönlichen Sorgen der Menschen und fremdenfeindlichen Einstellungen. Inhaltlich hat das eine nichts mit dem anderen zu tun. Existenz- oder Abstiegsängste muss man ernst nehmen, aber man muss auch klar machen: Das hat nichts mit Geflüchteten oder Muslimen zu tun! Sie werden da leider oft zum Sündenbock. Das wird durch Ressentiments begünstigt, die wir alle in uns tragen. Um Vorurteilen zu begegnen, braucht es Aufklärung sowie Dialog und Begegnung mit dem vermeintlich Fremden, damit klar wird: Das sind Leute wie du und ich, mit Sorgen und Nöten, die wir alle haben.

wbh: Warum haben deines Erachtens Menschen Angst vor „dem bösen schwarzen Mann“, vor Migrant*innen und Muslimen?

Wie eben schon angedeutet: Jeder Mensch hat Vorurteile, das ist erstmal normal. Schlimm wird es, wenn diese sich verfestigen bzw. nicht angegangen werden. Das ist v. a. der Fall, wenn man keine Berührungspunkte mit diesem „Fremden“ hat. In Ostdeutschland ist das leider recht oft der Fall, weil es geschichtlich kaum Zuwanderung aus muslimischen oder afrikanischen Ländern gab. Hinzu kommen leider oft rassistische Einstellungen und Unwissen über Bräuche und Gegebenheiten der Herkunftsländer. Und dann gibt es in jeder Gesellschaft auch Verteilungskämpfe und Status-Fragen. Und da sind wir wieder bei der ostdeutschen Geschichte. Wer lange Zeit Entbehrungen hinnehmen musste und sich benachteiligt fühlt, dem fällt es besonders schwer, Neuankömmlingen oder Menschen, die anders sind als man selbst, etwas zu gönnen.

wbh: Meinst du, viele Menschen fühlen sich von Politiker*innen nicht entsprechend ihrer Meinung vertreten und abgeholt? Herrscht eine große Kluft zwischen Politiker*innen und Bürger*innen?

Im Moment ist das bestimmt so. Politik muss wieder mehr zu den Menschen, glaubwürdiger werden und besser ihre komplexen Vorgänge erklären. Sie muss aber auch repräsentativer werden: Wir leben in einer sehr heterogenen Gesellschaft. Dass das Gesicht der Politik immer noch ein nicht mehr ganz junges, weißes, männliches ist, spiegelt die Vielfalt in unserer Gesellschaft nicht wider. Trotzdem: Zu Konflikten gehören immer mindestens zwei Parteien. Die Bürgerinnen und Bürger müssen das auch einfordern, ihre Vertreter*innen in den Parlamenten aktiv ansprechen, sich informieren und wählen gehen. Es bringt nichts, da zu Hause allein den Fernseher anzuschimpfen. Man muss sich der Debatte stellen und auch bereit sein, sich vom besten Argument überzeugen zu lassen.

wbh: In den sozialen Medien war zu lesen, dass man weniger auf die „Bedürfnisse“ der besorgten und Wutbürger*innen eingehen soll, sondern eher auf die unserer Jugend. Wie siehst du das?

Ich glaube, dass die Politik die Aufgabe hat, auf alle Bedürfnisse in der Gesellschaft einzugehen. Allerdings stellt sich die Frage der Prioritätensetzung und was echte Bedürfnisse sind und was nicht. Keine Ausländer oder Muslime in der Nachbarschaft zu wollen, ist kein echtes Bedürfnis, genausowenig wie die Unterstellung, dass Kriminalität etwas mit kultureller Herkunft zu tun hätte. Das ist ein soziales Phänomen, kein kulturelles. Sehr wohl ist es aber ein berechtigtes Bedürfnis, dass man eine bezahlbare Wohnung findet oder am gesellschaftlichen Leben teilhaben kann. Ich finde auch, dass eine gute, umfassende, kostenlose Bildung ein echtes Bedürfnis ist, genauso wie unseren Wohlstand und deshalb auch die natürlichen Ressourcen für kommende Generationen zu erhalten. Deshalb: Ja, ich finde man sollte die Forderungen von Fridays for Future sehr viel ernster nehmen als die von Pegida.

wbh: Wie wichtig sind Zivilgesellschaft und Zivilcourage?

Sie ist ein Schlüssel zur Lösung des Problems, den wir nur leider verlegt haben. Wir brauchen eine viel stärkere Zivilgesellschaft und mehr Menschen, die ganz bewusst einschreiten, wenn Sie Übergriffe oder ähnliches wahrnehmen.

wbh: Wie können wir unsere Demokratie schützen und stärken?

Indem alle, die sich als Demokratinnen und Demokraten verstehen, rechten Parolen entschlossen entgegentreten. Persönliches Engagement in Vereinen, Bündnissen und Parteien ist eine gute Möglichkeit, um sich aktiv für eine demokratische Gesellschaft einzubringen. Aber man tritt auch für Demokratie und Grundrechte ein, wenn man einfach mal widerspricht, wenn in einem Gespräch diskriminierendes Gedankengut geäußert wird. So kann man im Kleinen wie im Großen einen Beitrag dafür leisten, dass unsere Demokratie gestärkt wird.

wbh: Was verbindest du mit: Wir sind mehr!

Hoffnung

wbh: Was bedeutet für dich: Wir bleiben hier!

Zunächst erschreckt es mich, dass wir solche Selbstverständlichkeiten aussprechen müssen. Aber andererseits freut es mich, wie viele Menschen gerade resolut und ganz bewusst sagen: „Wir lassen uns unser Sachsen nicht kaputt machen!“

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert