INTERVIEW MIT MADLYN SAUER

wbh: Magst du unseren Leser*innen kurz von deiner Arbeit und deinem Leben erzählen.

Aufgewachsen bin ich in einem kleinen Dorf in der Nähe von Erfurt. Meine erste Berührung mit einem Nazi war, als wir bei einem Kumpel abhangen und sein Vater NPD- Kulis an uns Kinder und Jugendliche verteilte. Manchmal legte er auch Nazimusik ein, in der DEUTSCHE Kinder „Tötet die Juden“ sangen. Das klingt extrem, habe ich aber als Kind nie so wahrgenommen. Ich hatte immer eher Angst vor Punker. Nazis gab es viele, die kannte ich bereits.
Ich lebe seit sechs Jahren in Dresden und studiere in den letzten Diplomzügen an der Hochschule für Bildende Künste. Ich engagiere mich innerhalb der Hochschulpolitik und versuche immer wieder langfristige Projekte zu initiieren, die sich mit rechten Strukturen, der Neuen Rechten und der DDR auseinandersetzen. Da ich überspitzt gesprochen in einer „typischen“ DDR-Familie großgeworden bin, waren diese beiden Themen schon früh ersichtlich: Rassismus gegen Andersaussehende und alle, die nicht der „Norm“ entsprechen, gepaart mit einem verschrobenen Überlegenheitsgefühl den „Wessis“ gegenüber.
In meiner Familie hieß es immer: Keinen Afrikaner, keinen Rothaarigen und vor allem keinen Wessi.

wbh: Wo bist du aktiv, wofür engagierst du dich und trittst du ein?

Ich bin aktuell an zwei Orten aktiv: einmal im StuRa der HfBK Dresden und einmal als Künstlerin in meinem eigenem Projekt. Da ich in Dresden lebe, bin ich in vor allem in Dresden aktiv. Das „Spannende“ an Dresden als Künstler:in ist, dass man noch sehr viele Grenzen, Normen und Selbstverständlichkeiten durchbrechen kann. Das weniger Spannende daran ist, dass Dresden eine richtige CDU-Stadt ist: mind. Mitte-rechts mit wahnsinniger Beamtenmanier. Und dann auch noch dieser Barock. Als progressiver und linker Mensch hat man es in Dresden einfach nicht leicht! 🙂
Im StudierendenRat der HfBK Dresden versuche ich einerseits den verstaubten und zutiefst von sich selbst gelangweilten Kasten zu bewegen. Bspw. politisch-motivierte Kunst als Kunst anzusehen. An der HfBK Dresden gibt es viele mit einer Kunstauffassung aus den 50er Jahren.
Zweitens habe ich mit einem Grafiker das „Institut für BESSERE Staaatspolitik“ ganz frisch gegründet. Wie der Name schon andeutet, begreifen wir uns als Pendant zum rechten „Institut für Staatspolitik“ von u. a. Götz Kubitschek auf Schnellroda.
Das IfBS ist ein progressiver ThinkTank für politische Kunst, Diskurs und Zivilgesellschaft. Es gibt diesen August die erste Sommerakademie, der eigene Verlag Herakles gibt die ersten beiden Publikationen heraus, Lesungen, theatrale Formate – kurzum: Es ist ein großes, nachhaltiges Projekt, welches neue Synergien aus Kunst, Wissenschaft, Literatur und Aktivismus entstehen lässt. Dabei haben wir eine europaweite Vernetzung von politischen Künstler:innen, Autor:innen und Journalist:innen im Auge. Es gibt ja mitterweile viele Länder, in denen demokratisch gesinnte Akteur:innen in ihrer Arbeit behindert bis verfolgt werden.
Wofür engagiere ich mich? Ich engagiere mich gegen Rassismus, Ressentiments, Antisemitismus, Diskriminierung aller Art. Positiv formuliert, ich engagiere mich dafür, dass jede:r sein Leben und sich selbst so gestalten und entwickeln kann, wie er/sie möchte, so lange niemand durch diese Lebensgestaltung Schaden nimmt.

wbh: Wie fühlt es sich an, in Sachsen Politik aktiv mitzugestalten?

Frustriend, wirklich zutiefst frustrierend!
In Sachsen Politik zu machen, ist auch lustig, zynisch und sarkastisch. Zum größten Teil aber traurig. Man braucht ein dickes Fell und ich kann jeden verstehen, der dieses Fell nicht aufbringen kann und wegziehen möchte. Mal fünf Jahre in Berlin zu leben, stelle ich mir sehr erholsam vor! 🙂

wbh: Warum ist es wichtig, dass sich jede*r mit Politik beschäftigt und diese aktiv mitgestaltet und wie?

Ich denke, es ist nicht wichtig, dass sich jeder mit Politik beschäftigt. Würde jede:r sich mit Politik beschäftigen und sich engagieren wollen, hätten wir ein reines Chaos.
Allerdings muss dringend die Zahl derer steigen, die dieses Engagement bisher ausüben und für die vielen anderen übernehmen. Es sind immer die Gleichen, die irgendwann ausgebrannt sind. Und daran sind nicht allein die rechten Strukturen Schuld, sondern die Menge an Menschen, die sich eher als „unpolitisch“ beschreiben und ihr Augenmerk auf ihr Privatleben legen. Diese Personen vergessen oft, dass sie das alles nur machen können, weil es Einzelne gibt, die sich zu Tode engagieren. Drei Stunden pro Woche für die Gemeinschaft aufzubringen, reicht ja. Das kann die Nachbarschaftsinitiative sein, ein Verein – was auch immer. Demokratie braucht die Ideen und Handlungen vieler Menschen an jeder Ecke, sonst kommt immer wieder Absolutismus, Monarchie oder Diktatur heraus.

wbh: Wie kann man die Themen Politik, Beschäftigung mit Demokratie und unseren Grundwerten stärker ins Bewusstsein der Öffentlichkeit bringen?

Indem man sie mit Spaß verbindet und mit Zukunftsideen. Wir leben in einer Konsumgesellschaft. Es wird nur das gemacht, was Spaß und Mehrwert für einen selbst bringt. Das können wir doof und egoistisch finden, ist aber nun mal so. Und ich kann das verstehen. Ich selbst habe Spaß an Politik, doch wie begeistere ich einen Menschen, der das alles totlangweilig findet? Wenn demokratische Sturkturen gestärkt werden sollen, dann müssen sie den Einzelnen etwas Positives geben, eine gute Erfahrung, eine positive Ressonanz. Und für alle, die nicht die Welt retten wollen und einfach ein gutes Leben haben wollen, muss mindestens ein herzhaftes Lachen oder ein gutes Essen mit netten Menschen drin sein.
Das heißt aber auch, dass die in Politik Geübten offener und toleranter mit jenen sein müssen, die sich gerade erst ausprobieren und mit politischen Instrumenten und politischer Sprache noch nicht so geübt sind.

Was ist unser Erbe, was ist unsere Zukunft?

Unser Erbe sind unsere Erfahrungen. Festgehalten in Büchern, Dokumenten, Filmen, Erzählungen, Märchen, Mythen, Mimiken und Gesten. Für unsere Zukunft müssen wir jenes loslassen, indem wir uns warm gebettet haben: unsere unsinnigen linearen Erzählungen von Ursache, Wirkung, Folgen etc. Wenn wir verstehen, dass Erbe nur das ist, was wir rückblickend zusammengebaut haben, um die Welt, unsere Gefühle und Gedanken zu verstehen, dann könnten wir beginnen Politik endlich losgelöst der Großen Erzählungen von Linearität zu gestalten.

wbh: Was wünschst du dir für ein besseres menschliches Miteinander?

Mehr Neugierde, mehr Freude, mehr von der Erfahrung der Selbstbestimmung und mehr Freundlichkeit.

wbh: Was bedeuten für dich Freiheit, Schutz der Menschenwürde und Gleichberechtigung?

Freiheit bedeutet für mich bildlich gesprochen: Ich habe ein Haus und kenne dieses. Ich weiß, wo Fenster und Türen sind, wo der Balkon, wo der Garten und in diesem Wissen um meinen Rahmen, um diese Festigkeit, kann ich beginnen zu gestalten. Freiheit bedeutet für mich die Grenzen zu kennen und diese für eine freie Gestaltung zu nutzen.

wbh: Wie wichtig sind Kunst und Kultur, Bildung, Medienkompetenz, Soziales, Jugendhäuser und psychologische Betreuung für unser Zusammenleben?

Sehr wichtig. Ich glaube, das ist eine rhetorische Frage. Jeder weiß, wie wichtig das ist. Selbst die Nazis und die Rechtskonservativen wissen das, die wollen den Kunst- und Kulturbereich ja so unbedingt selbst gestalten.

wbh: Im Hinblick auf die Landtagswahl im Sep 2019: Was kann jede*r Bürger*in aktiv tun, um dem Rechtsruck mit demokratischen Mitteln entgegenzuwirken?

Also vor der Landtagswahl würde ich sagen nicht viel. Einen Monat vor der Landtagswahl mit einer demokratischen Stärkung, die über Symbolik hinausgeht, erst einmal beginnen und gleich Resultate sehen zu wollen, ist vermessen und naiv. Wichtig ist, dass jede:r Bürger:in diesen demokratischen Auftrag nachhaltig für sich und die Gesellschaft angeht.
Und wie man das machen kann? Mit der Nachbarin beim Bäcker reden bis hin zu an Demonstrationen teilnehmen oder in einen Verein eintreten. Es gibt sehr viele Möglichkeiten solidarische Strukturen zu stärken.

wbh: Was sind deines Erachtens in Sachsen und Brandenburg die Gründe für den Aufstieg der AfD bei der Europa- und Kommunalwahl?

Frustration, Ressentiments und das Gefühl im Westen ein Wendeverlierer zu sein, obwohl sehr viele Menschen ein Haus besitzen, mind. zwei Autos fahren, jährliche Urlaube machen können etc. Das heißt, Menschen, die viel besitzen und viel haben, sind der Meinung sie hätten zu wenig. Das ist so eine typische DDR-Erfahrung. Man hatte weniger als die im Westen. Gleichzeitig hat diese Erfahrung des Weniger-Habens und Weniger-Wertseins seine durch den Westen vermittelte Wahrheit. In den Neuen Bundesländern verdienen die Menschen weniger, sie erhalten weniger Rente, die Infrastrukturen sind oftmals schlechter. Dieses 30-jährige Brodeln und das Unvermögen der Menschen, diese Frustration zu kanalisieren und erneut auf die Straße zu bringen, sind meines Erachtens einige dieser Gründe. Dann gibt es noch den Grund, dass es in der DDR starke rechte Strukturen gab. Und dann paaren sich diese Erfahrungen noch mit einer Hass- und Trotzhaltung, die sich über die Jahre aufgebaut hat, wenn sie nicht 40 Jahre lang von der SED in die Köpfe gebaut wurde. Es gibt viele viele Probleme, die es gibt. Es gibt viele Ressentiments, die ich gut verstehe. Und dann wären noch die 1.000 andere Gründe, für dich ich keine Zeit habe, sie hier anzubringen 🙂

wbh: Angenommen, die AfD zieht in Sachsen zur Landtagswahl mit den gleichen Ergebnissen wie nach der Europa- und Kommunalwahl in den Sächsischen Landtag ein, welche Auswirkungen kann das für die Gesellschaft, Politik, Kunst und Kultur, Bildung und Soziales haben?

Naja, für die Rechtskonservativen hat das gute Auswirkungen, weil sie ihre weiße Vorherrschaft wieder stärken können. Für alle anderen, die keine Rechtskonservativen und Nazis sind, wird es nicht besser – und zwar in keinem Punkt. Lest einfach das „Regierungsprogramm“ oder die Artikel dazu.

wbh: Wie kann man Demokratie-Initiativen und Protagonist*innen vor Ort aktiv unterstützen und ihr Engagement stärken?

Indem sich Professionelle ihres Fachs wie Kulturmanager:innen, Grafikdesigner:innen etc. bereit erklären, diesen Initiativen zu helfen. Oftmals fehlt es an Expertise, an Zeit, an Mitmachenden (jede:r hat nun mal nur zwei Hände) und natürlich wie immer an Geld. Würde aber die Expertise als Engagement eingebracht werden, hätte man oftmals auch weniger Geldprobleme in den Vereinen, Projekten und Gruppen.

wbh: Wie kann man Nichtwähler*innen erreichen, damit sie wählen gehen?

Gar nicht, deswegen heißen sie Nichtwähler:innen. Wenn sie nicht wählen gehen wollen, ist es ihr gutes Recht. Man hat ja Wahlrecht und nicht Wahlpflicht. Allerdings wäre es natürlich gut, dass die eigene Stimme gestrichen wird, wenn man keine Partei wählen möchte.
Die Sache mit der hohen Nichtwähler:innenzahl ist ein Parteienproblem und es gibt seit Jahren gute Ansätze, wie man das ändern könnte. Es setzt nur keiner um.

wbh: Wie kann man Menschen, die sich benachteiligt und abgehängt fühlen, bspw. Menschen, die nach dem Mauerfall viel verloren haben, Angst um ihre Existenz und vor Überfremdung haben, erreichen und in die Gesellschaft zurückholen?

Gute Frage!

wbh: Warum haben deines Erachtens Menschen Angst vor „dem bösen schwarzen Mann“, vor Migrant*innen und Muslimen?

Weil es in unserer Kultur jahrhundertelang antrainiert wurde.

wbh: Meinst du, viele Menschen fühlen sich von Politiker*innen nicht entsprechend ihrer Meinung vertreten und abgeholt? Herrscht eine große Kluft zwischen Politiker*innen und Bürger*innen?

Das ist keine Kluft mehr, sondern ein Krater.

wbh: In den sozialen Medien war zu lesen, dass man weniger auf die „Bedürfnisse“ der besorgten und Wutbürger*innen eingehen soll, sondern eher auf die unserer Jugend. Wie siehst du das?

Schwierig, in einer Demokratie sollte man auf beides eingehen, wenn man Politiker:in ist. Die „Alten“ müssen einfach verstehen und das radikal durch die Medien vermittelt, dass ihre Verhaltensweisen ihren Kindern und Enkeln die Zukunft nehmen könnte, in dem Sinn der Lebensmöglichkeiten. Machen wir uns nichts vor, unser Leben wird in Zukunft schwieriger werden. Ob nun in 30 oder 50 Jahren. Das nicht angehen zu wollen, zeigt, dass es einfacher keiner versteht. Alle denken, es geht schon gut, weil es immer gut gegangen ist (jedenfalls für die Weißen in Europa und im Westen). Aber das ist zu Ende, diese lineare Erzählung ist zu Ende! Es ist doch auch ein Bedürfnis der Großmutter, dass ihre Enkelin ein gutes Leben führen kann und das muss vermittelt werden.

wbh: Wie wichtig sind Zivilgesellschaft und Zivilcourage?

Sehr wichtig.

wbh: Wie können wir unsere Demokratie schützen und stärken?

In dem wir überhaupt mal eine Demokratie aufbauen?

wbh: Was verbindest du mit: Wir sind mehr!

Die Hoffnung, dass wir auch wirklich mehr sind.

wbh: Was bedeutet für dich: Wir bleiben hier!

Ja, genau das.

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