INTERVIEW MIT BEATE EHMS

wbh: Magst du unseren Leser*innen kurz von deiner Arbeit und deinem Leben erzählen.

Ich bin Jahrgang 1965, in Finsterwalde geboren, studierte in Moskau und Leipzig und arbeite als Juristin beim MDR. Ich lebe seit 1988 in dieser tollen Stadt und freue mich, dass ich sie als Stadträtin mitgestalten kann.

wbh: Wo bist du aktiv, wofür engagierst du dich und trittst du ein?

Seit ich denken kann und politisch aktiv bin, streite ich für Mitbestimmung, eine bessere Welt, Gleichstellung, Frieden und Antifaschismus.

wbh: Wie fühlt es sich an, in Sachsen Politik aktiv mitzugestalten?

Es ist spannend und erfüllend, gemeinsam mit engagierten Menschen Projekte voranzubringen und positiv verändern zu können. Es ist frustrierend, wenn sich zu wenig bewegt.

wbh: Warum ist es wichtig, dass sich jede*r mit Politik beschäftigt und diese aktiv mitgestaltet und wie?

Weil Politik, ob in den Kommunen oder im Land, uns alle betrifft. Je mehr mitmachen, desto mehr Meinungen werden abgebildet und gemeinsame Lösungen gefunden. Ich wünsche mir, dass es noch viel mehr Beteiligungsmöglichkeiten gibt. Davon lebt Demokratie, dass Alle sich einbringen und mitgestalten können.

wbh: Wie kann man die Themen Politik, Beschäftigung mit Demokratie und unseren Grundwerten stärker ins Bewusstsein der Öffentlichkeit bringen?

Ich denke, das fängt im Kleinen an. Im persönlichen Gespräch, im Zuhören und dem Verständnis für Unterschiedlichkeit, genauso wie Gemeinsames. Grundsätzlich brauchen wir mehr direkte Demokratie und Teilhabemöglichkeiten am gesellschaftlichen Leben. Politik muss mitgestaltet und Demokratie auch wirklich gelebt werden können. Das wäre ein erster Schritt.

wbh: Was ist unser Erbe, was ist unsere Zukunft? 
 
Das, was war. Das, was wird.

wbh: Was wünschst du dir für ein besseres menschliches Miteinander?
 
Mehr reden, mehr Begegnungen, mehr miteinander teilen, zusammen feiern und tanzen.

wbh: Was bedeuten für dich Freiheit, Schutz der Menschenwürde und Gleichberechtigung?
 
Die Basis, um leben zu können.

wbh: Wie wichtig sind Kunst und Kultur, Bildung, Medienkompetenz, Soziales, Jugendhäuser und psychologische Betreuung für unser Zusammenleben?

Sie sind elementar wichtig.

wbh: Im Hinblick auf die Landtagswahl im Sep 2019: Was kann jede*r Bürger*in aktiv tun, um dem Rechtsruck mit demokratischen Mitteln entgegenzuwirken? 
 
Sich selbst engagieren, soziale Alternativen mitentwickeln und klare Kante zeigen. Und progressiven Mehrheiten die Stimme geben.

wbh: Was sind deines Erachtens in Sachsen und Brandenburg die Gründe für den Aufstieg der AfD bei der Europa- und Kommunalwahl?

Eine Mischung aus Frust, Protest, Suche nach einfachen Antworten. Hinzu kommen der jahrzehntelange Abbau von sozialen Rechten und Standards, Demokratieverlust und gerade hier im Osten auch das Gefühl, von den Verantwortlichen allein gelassen zu werden.
Zwischen Ost und West gibt es noch immer deutliche Unterschiede: z. B. bei der Rente, bei den Einkommen, bei der Berücksichtigung in leitenden Funktionen von Behörden und Unternehmen sowie bei der Verteilung von Vermögen.

wbh: Angenommen, die AfD zieht in Sachsen zur Landtagswahl mit den gleichen Ergebnissen wie nach der Europa- und Kommunalwahl in den Sächsischen Landtag ein, welche Auswirkungen kann das für die Gesellschaft, Politik, Kunst und Kultur, Bildung und Soziales haben?
 
Soziale Standards sinken, Projekte können nicht weiter arbeiten, mehr Rassismus, Angriffe auf Leib und Leben anders Denkender, Lebender und Liebender, de facto ein Angriff auf alles, was nicht ins rechte Weltbild passt. Ich sehe auch deutliche Gefahren für die Pressefreiheit.

wbh: Wie kann man Demokratie-Initiativen und Protagonist*innen vor Ort aktiv unterstützen und ihr Engagement stärken?
 
Zum Einen müssen wir endlich eine bessere und langfristige finanzielle Unterstützung sichern. Oftmals wird alle Verantwortung allein auf die Schultern des Ehrenamtes geschoben, das ist falsch.
Zum Andern müssen wir eine viel breitere Öffentlichkeit schaffen, Engagement sichtbar machen und auch wertschätzen. Die Menschen in den Bündnissen und Initiativen leisten Enormes, mit viel Herzblut und mitunter über eigene Grenzen hinaus. Das muss uns mehr wert sein.

wbh: Wie kann man Nichtwähler*innen erreichen, damit sie wählen gehen?

In meiner Erfahrung als langjährige Politiker*in erreichen wir die Menschen am besten im persönlichen Gespräch.

wbh: Wie kann man Menschen, die sich benachteiligt und abgehängt fühlen, bspw. Menschen, die nach dem Mauerfall viel verloren haben, Angst um ihre Existenz und vor Überfremdung haben, erreichen und in die Gesellschaft zurückholen?

„Überfremdung“?? Was für ein Unwort!
Durch mehr Teilhabe. Eben nicht von oben herab, sondern ehrlich und gemeinsam. Probleme auch wirklich ernst nehmen. Das ist mir in meiner Arbeit besonders wichtig.
Und indem wir Alternativen aufzeigen, die auch wirklich etwas verändern. Eine Politik, in der Menschen vor Profiten stehen und Solidarität groß geschrieben wird!

wbh: Warum haben deines Erachtens Menschen Angst vor „dem bösen schwarzen Mann“, vor Migrant*innen und Muslimen?

Ich habe das Gefühl, dass Orte der Begegnung fehlen. Dass die Menschen sich nicht kennen und kaum zusammenfinden. Das würde vieles einfacher machen und Ängste nehmen. Die politische Ursache ist eine Politik seitens der Regierung, egal ob Europa, Bund oder Land, die auf Abschottung und Abgrenzung setzt statt auf Inklusion und Integration. Was wir brauchen ist eine wirkliche Willkommenskultur, die Migration als Chance begreift und Vorurteile aktiv abbaut. Und, na klar, gibt es auch Rassist*innen, Nazis und fremdenfeindliche Bewegungen. Dagegen müssen wir kämpfen.

wbh: Meinst du, viele Menschen fühlen sich von Politiker*innen nicht entsprechend ihrer Meinung vertreten und abgeholt? Herrscht eine große Kluft zwischen Politiker*innen und Bürger*innen?
 
Auf jeden Fall. Leider. Genau deswegen ist eine Politik auf Augenhöhe, mehr Mitbestimmung und ein Mehr an Solidarität so wichtig.

wbh: In den sozialen Medien war zu lesen, dass man weniger auf die „Bedürfnisse“ der besorgten und Wutbürger*innen eingehen soll, sondern eher auf die unserer Jugend. Wie siehst du das?  

Das wundert mich nicht, denn die Jugend ist unsere Zukunft. Sie können, und das sehen wir jetzt an Fridays for Future, noch vieles bewegen und verändern. Grundsätzlich müssen wir für alle Menschen ein offenes Ohr haben. Da gibt es viele reale Problemlagen, z. B. Altersarmut. Und die Mitglieder der Identitären Bewegung sind eher jüngerer Generation. So einfach scheint das also nicht zu sein. Es gibt viele engagierte ältere Menschen und Senior*innen . Ich denke da an die „Omas gegen rechts“. Tolle Frauen*!

wbh: Wie wichtig sind Zivilgesellschaft und Zivilcourage?
 
Sehr wichtig: Sie sind das A und O unserer Gesellschaft, der Kit für ein solidarisches Miteinander.

wbh: Wie können wir unsere Demokratie schützen und stärken?
 
Jeden Tag aufs Neue durch Engagement, im Alltag, auf der Straße. Indem wir uns solidarisch zeigen mit Betroffenen. Wir müssen Rassismus, Fremdenfeindlichkeit und Sexismus immer widersprechen. Das kostet Kraft, aber es lohnt sich.

wbh: Was verbindest du mit: Wir sind mehr!
 
Als erster Gedanke kommt mir das Konzert in Chemnitz. Und dann: Ja, sind wir und wir kämpfen. Und wir müssen noch mehr werden!

wbh: Was bedeutet für dich: Wir bleiben hier!

Dass ICH hier bleibe. Es lohnt sich für eine bessere Gesellschaft im Osten, in Leipzig, zu kämpfen.
Und falle es mich doch mal woanders hin verschlägt, dann engagiere ich mich dort weiter.

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