INTERVIEW MIT MICHAL – BANDA COMUNALE
wbh: Magst du unseren Leser*innen kurz von deiner Arbeit und deinem Leben erzählen.
Ich heiße Michal, komme gebürtig aus Polen, lebe seit 1989 in Deutschland, davon seit 20 Jahren in Dresden. Ich bin Architekt und Musiker.
wbh: Wo bist du aktiv, wofür engagierst du dich und trittst du ein?
Ich bin Klarinettist in der Banda Internationale/Comunale und spiele mit meiner Band seit fast 20 Jahren mit Blasmusik gegen Rechts an, gegen Fremdenfeindlichkeit und für eine tolerante, offene Gesellschaft.
wbh: Wie fühlt es sich an, in Sachsen Politik aktiv mitzugestalten?
Manchmal demotivierend, anstrengend, enttäuschend, erschreckend, frustrierend. Auf der anderen Seite aber auch ganz gegenteilig. Wir machen in erster Linie Musik, unterhalten Menschen, schaffen Momente des Frohsinns und der Unbekümmertheit, des Beisammenseins. Hier fängt es vielleicht an, interessant zu werden: Gemeinsames Musizieren, positive Erlebnisse bringen Menschen nicht nur zusammen, sondern schaffen Räume und Aufmerksamkeit für Botschaften und Bilder, die aktuell untergehen. Da wir Einflüsse aus verschiedenen Kulturen und Stilrichtungen in unsere Musik einfließen lassen, hört uns manchmal sowohl der Punk, das Kindergartenkind wie auch die betagte Dame aus dem Erdgeschoss zu. Unter Umständen erreichen wir gleichzeitig Menschen, die mit anderen Formen des Dialogs nicht erreichbar wären oder sich nicht begegnen würden und können unsere Position nicht nur loswerden, sondern auch auf der Bühne vorleben.
wbh: Warum ist es wichtig, dass sich jede*r mit Politik beschäftigt und diese aktiv mitgestaltet und wie?
Weil sonst Hass, Frust, autoritäre Weltbilder, Ausgrenzung, Rassismus und Größenwahn unser gemeinsames Leben bestimmen. Diese Äußerungen scheinen momentan nicht nur an Popularität zu gewinnen, sondern auch überproportionale Aufmerksamkeit zu bekommen. Man muss sie bekämpfen und auch die Überzeugung, sie hätten eine Berechtigung, laut und dominant zu sein. Das haben sie nicht. Wenn man diese Position teilt, muss man sich mit Politik beschäftigen und die Meinungsbildung beeinflussen.
wbh: Wie kann man die Themen Politik, Beschäftigung mit Demokratie und unseren Grundwerten stärker ins Bewusstsein der Öffentlichkeit bringen?
Wir haben es mit praktischen Handlungen versucht: Nachdem wir an unzähligen No-Pegida-Demonstrationen teilgenommen haben, Orte wie Bautzen, Riesa oder Freital besucht haben, eingeschritten sind in angespannte Situationen, in Geflüchtetenunterkünften gespielt haben, ist es bei uns deutlich angekommen: Das reicht nicht bzw. das kann nicht alles sein. Also haben wir die Band geöffnet, geflüchtete Musiker aufgenommen und haben uns verdoppelt. Seit fast drei Jahren machen wir nun gemeinsam weitere Projekte: Wir fahren an sächsische Schulen im Umland und machen mit den Kindern Krach und erzählen unsere Geschichten. Mit unbegleiteten minderjährigen Geflüchteten haben wir eine neue Band gegründet und versuchen sie in dem Bewusstsein zu stärken, mit ihren Geschichten und kultureller Prägung dazuzugehören und gesellschaftlich relevant, wichtig und geschätzt zu sein. Aktuell stellen wir gemeinsam mit dem Ausländerrat Dresden e.V. einen großen Förderantrag, um auch in den nächsten drei Jahren diese musikpädagogischen Angebote durchziehen zu können. Die Amadeu Antonio Stiftung konnten wir dafür als weiteren Partner gewinnen. Dazu gehört jetzt auch interkulturelle musikalische Arbeit in Gefängnissen. Und da haben wir so oft es geht professionelle Fotografen oder Filmemacher dabei und versuchen Gegenbilder zu erzeugen, unsere Arbeit sichtbar zu machen und so auch andere zu ermutigen, sich zu beteiligen und Werte wie Gleichberechtigung, Toleranz und Offenheit zu verteidigen. So traurig es klingt: Das, was wir uns als Normalität wünschen und als normal, als deutsche Realität vielleicht betrachtet haben, muss sichtbar gemacht werden.
wbh: Was ist unser Erbe, was ist unsere Zukunft?
Das kann ich nicht einfach beantworten. Das ist sehr individuell und ändert sich mit jeder Erfahrung, die man macht. Unser gemeinsames Erbe ist gewiss unsere Geschichte, kulturelle, geistige Errungenschaften. Nicht nur unsere deutsche oder europäische Geschichte, sondern mit zunehmender digital-individueller Vernetzung auch eine gemeinsame Geschichte aller Menschen untereinander. Und dieses sich Wiederfinden in globalen Zusammenhängen ist auch unsere Zukunft und Verantwortung: eine für mich nur gemeinsam zu betrachtende Zukunft und Verantwortung. Ich glaube, das versuchen wir auch mit unserer Musik zu vermitteln: Dass von heterogenen Gesellschaftskonstrukten jeder und jede profitiert und dass davon weder regionale Prägungen untergehen und schon gar nicht ein ganzes Volk (das es im Übrigen in der von Rechtspopulisten erdachten Homogenität niemals gab). Was ist unsere Zukunft? Auf jeden Fall nicht ein Europa der Nationen oder Vaterländer. Die Zukunft ist die Überwindung solcher Konstrukte, nicht nur ideell, sondern auch sozial und ethisch.
wbh: Was wünschst du dir für ein besseres menschliches Miteinander?
Soziale und kulturelle Gleichberechtigung. Die Einsicht darin, dass der Schutz von Minderheiten, die Gleichheit aller und nicht die Überlegenheit einer vermeintlichen Mehrheit die Leitidee unserer Gesellschaft verkörpern sollte.
wbh: Was bedeuten für dich Freiheit, Schutz der Menschenwürde und Gleichberechtigung?
Das Fundament der Gesellschaft, in der ich leben will und in der ich mich engagiere und an der ich Teil haben will.
wbh: Wie wichtig sind Kunst und Kultur, Bildung, Medienkompetenz, Soziales, Jugendhäuser und psychologische Betreuung für unser Zusammenleben?
Sehr wichtig. Das sind Ebenen, auf denen aktiv unser Zusammenleben betrachtet, verhandelt und gelebt wird.
wbh: Im Hinblick auf die Landtagswahl im Sep 2019: Was kann jede*r Bürger*in aktiv tun, um dem Rechtsruck mit demokratischen Mitteln entgegenzuwirken?
Kämpfen, laut sein, auf die Kacke hauen, rote Linien ziehen, diejenigen, die Verantwortung tragen, an diese Linien immer erinnern (zuvorderst die Polizei und die regierenden Parteien), Teilnehmen am Diskurs, demonstrieren, Gesicht zeigen, solidarisch sein. Jeden Tag. Wählen gehen.
wbh: Was sind deines Erachtens in Sachsen und Brandenburg die Gründe für den Aufstieg der AfD bei der Europa- und Kommunalwahl?
Da könnte man Bücher mit füllen. Eine fast wichtigere Frage ist, warum man es nicht schafft, der AfD mit positiven Visionen das Wasser abzugraben. Ich frage mich wirklich, wo diese Aussichten bleiben und ob das wirklich alles ist, was Team Kretschmer und leider auch die SPD aufs Parkett bringen wollen in Sachsen. Wenn es so ist, dann hat Sachsen vielleicht auch die AfD verdient? Na gut, das wäre zu hart. Drei Viertel der Wählenden wählen nicht die AfD. Die Gründe für den Zuspruch für rechtsextreme Weltsichten sind vielschichtig. Abgesehen von historischen Gründen, sympathisieren Menschen in vielen Ländern gerade wieder mit autoritären Despoten, weil diese so gut mit gekränkter Würde jonglieren können. Im Grunde ist das einer der wichtigen Punkte: Wertschätzung. Baue einen Feind auf, der es vermeintlich auf die Würde deiner potentiellen Wählerschaft abgesehen hat, und du hast das Volk bei den Klöten: die EU, die Presse, die Flüchtlinge, die Wessis, die Homosexuellen, die Juden. Hat schon oft funktioniert. Dann beginnt sich eine paranoide Spirale an zu drehen, die kaum aufzuhalten ist. Der Ausgangspunkt ist eine Gemeinschaft, deren Horizont vor allem auf sich selbst bezogen ist.
wbh: Angenommen, die AfD zieht in Sachsen zur Landtagswahl mit den gleichen Ergebnissen wie nach der Europa- und Kommunalwahl in den Sächsischen Landtag ein, welche Auswirkungen kann das für die Gesellschaft, Politik, Kunst und Kultur, Bildung und Soziales haben?
Dann werden sie uns ziemlich auf die Nerven gehen und vieles kaputt machen, wofür sehr viele Menschen hart gearbeitet haben, ohne wirkliche Lösungen für tatsächlich existente Probleme zu bieten. Denn die gibt es natürlich. Nur nicht im Programm der AfD.
wbh: Wie kann man Demokratie-Initiativen und Protagonist*innen vor Ort aktiv unterstützen und ihr Engagement stärken?
Wer ist mit „man“ gemeint? Man selbst als Bürger, Deutscher, Demokrat? Die Bundesregierung? Der Bundesanwalt? Die Kulturstiftung des Bundes? Die Bundespolizei? Ich glaube und hoffe, dass es auf Bundesebene Überlegungen gibt, wie man solche Fail-States wieder in den Griff bekommt. Denn wenn die AfD an Justiz oder Bildung anfängt rumzufummeln, dann sind ganz grundsätzliche Bereiche der Ordnung gefährdet, auf die man sich in Deutschland immer und trotz AfD verlassen können muss. Da helfen Engagement oder Demokratie-Initiativen vielleicht gar nicht mehr. Da muss der Staat ran. Aber prinzipiell muss die Arbeit engagierter Menschen unterstützt werden – ideell und monetär – und sichtbar sein. Da müssen wir gemeinsam durch. Da reicht es nicht aus Köln, Bonn oder Frankfurt seine Expertenmeinung loszuwerden. Da muss man die Sachsen als das betrachten, was sie sind: mehrheitlich freiheit- und demokratieliebende Mitbürger, die konkrete Unterstützung gegen Rechts brauchen. Da muss man auch mal nach Sachsen reisen, zusammenhalten und zusammenwachsen. Denn die Veränderungen in Sachsen fallen am Ende allen auf die Füße.
wbh: Wie kann man Nichtwähler*innen erreichen, damit sie wählen gehen?
Weiß ich nicht. Ich weiß auch nicht, ob das eine so wichtige Frage ist. Die Frage nach Partizipation an demokratischen Prozessen, an der Gesellschaft an sich, auf die jeder Einfluss haben kann, finde ich irgendwie wichtiger. Um diese Bereitschaft muss man sich bemühen und dazu gehört natürlich auch die Wahlbereitschaft, aber auch vieles andere mehr.
wbh: Wie kann man Menschen, die sich benachteiligt und abgehängt fühlen, bspw. Menschen, die nach dem Mauerfall viel verloren haben, Angst um ihre Existenz und vor Überfremdung haben, erreichen und in die Gesellschaft zurückholen?
Man muss leider konstatieren: Nach 30 Jahren ist die Vision eines zusammengewachsenen Deutschlands nach wie vor weit entfernt. Für mich als Ausländer sind da noch einige andere Fragen offen, die von emotional-nationalen Bedürfnissen nicht bedient werden: Wo war der Platz in dieser Vision für diejenigen, die hier seit Generationen leben oder erst seit kurzem, einen beträchtlichen Teil der Gesellschaft darstellen, sich aber innerhalb dieses Ost-West-Traums niemals befunden haben? Die Frage ist also: Wie finden wir alle einen gemeinsamen Status Quo, eine gemeinsame Vision, die alle einschließt? Diese kann für mich nur jenseits solcher nationalen Zuschreibungen liegen. Und sie birgt, wenn sie ernst gemeint ist, für niemanden mehr einen Grund für Existenzängste.
wbh: Warum haben deines Erachtens Menschen Angst vor „dem bösen schwarzen Mann“, vor Migrant*innen und Muslimen?
Heutzutage? In Europa? Weiß ich nicht. Paranoia. Internet. Ignoranz. Größenwahn.
wbh: Meinst du, viele Menschen fühlen sich von Politiker*innen nicht entsprechend ihrer Meinung vertreten und abgeholt? Herrscht eine große Kluft zwischen Politiker*innen und Bürger*innen?
Das trifft vermutlich zu, je höher der Dienstgrad. Angela Merkel würden manche Sachsen ja schon länger gern lynchen, weghaben, verbannen, entsorgen. Aus eigener Erfahrung in Sachsen kann ich sagen, dass jede Politikerin und jeder Politiker erreichbar und ansprechbar ist. Das sollte man wirklich wahrnehmen und nutzen. Auf der anderen Seite ist es natürlich vermessen, diese Berufsgruppe für alles verantwortlich machen zu wollen. Vor allem für sein eigenes Schicksal oder das, was man dafür hält. Und sich herauszunehmen, jemanden zu bedrohen, verletzen zu wollen oder gar es tatsächlich zu tun, weil man nun die Ursache für seine eigene gekränkte Würde bei demjenigen zu finden glaubt. Da hat man etwas ganz grundsätzlich missverstanden.
wbh: In den sozialen Medien war zu lesen, dass man weniger auf die „Bedürfnisse“ der besorgten und Wutbürger*innen eingehen soll, sondern eher auf die unserer Jugend. Wie siehst du das?
Wenn man sich die rechtsdrehenden Montags-Prozessionen in Dresden anschaut, fragt man sich schon, wen diese Leute repräsentieren und ob es sich um die eigene Zukunft handelt, die da vorbeimarschiert. Zum Glück gibt es eine wirklich positive, zukunftsweisende, junge Gegenveranstaltung. Jeden Freitag.
wbh: Wie wichtig sind Zivilgesellschaft und Zivilcourage?
Sehr wichtig und in Sachsen manchmal leider Mangelware.
wbh: Wie können wir unsere Demokratie schützen und stärken?
Viele Leute denken ja, das wird schon wieder alles irgendwie von ganz allein. Das glaube ich nicht. Gerade in solchen herausfordernden Zeiten sollte jeder ein wenig Zeit für gesellschaftlichen Zusammenhalt zu finden versuchen, ein wenig mehr Mut für Zivilcourage, ein wenig mehr Begeisterung für Solidarität.
wbh: Was verbindest du mit: Wir sind mehr!
Schön wärs.
wbh: Was bedeutet für dich: Wir bleiben hier!
Schön wärs.
Glaube ich aber nicht uneingeschränkt dran und werde auch nicht jeden und jede versuchen, davon zu überzeugen. Wenn Rassismus, Wut, Hass, Nationalstolz, Verachtung die Oberhand gewinnen, dann heißt es für mich auf jeden Fall: nichts wie weg hier. Und dann hoffe ich, dass andere ebenfalls die Weitsicht besitzen, sich rechtzeitig vom Acker zu machen.
Foto: The Power of the Arts 2017, Robert Rieger