INTERVIEW MIT BIRGIT KILIAN

wbh: Magst du unseren Leser*innen kurz von deiner Arbeit und deinem Leben erzählen.

Ich arbeite als selbstständige Beraterin für Schulentwicklung bundesweit an Schulen. Zuvor habe ich über 20 Jahre lang als Lehrerin und Schulleiterin an staatlichen und freien Schulen gearbeitet. Unsere fünf Kinder sind nun erwachsen und so kann ich mein gesellschaftliches und politisches Engagement verstärkt betreiben.

wbh: Wo bist du aktiv, wofür engagierst du dich und trittst du ein?

Ich kandidiere für die SPD als Direktkandidatin zur Landtagswahl im Nördlichen Muldental und bin zudem Kreis- und Gemeinderätin. Nebenher bin ich stellvertretende Kreisvorsitzende und Ortsvereinsvorsitzende der SPD in Borsdorf/Brandis/Naunhof. Ich setze mich seit jeher ein für die, die keine Lobby haben oder die eher am Rande der Gesellschaft stehen. Ich bin Kinderlobbyistin durch und durch. Mein Herzensthema ist die Bildung mit allen Facetten, insbesondere die demokratische Bildung ist mir sehr wichtig.

wbh: Wie fühlt es sich an, Politik aktiv mitzugestalten?

Ich mag es, Lösungen für vorhandene Probleme mit anderen zu suchen, eigene Ideen voranzutreiben und über politische Diskussionen immer wieder neue Aspekte und Gedanken kennenzulernen. Politik aktiv zu gestalten bedeutet für mich, sich einzumischen, den Mund aufzumachen und Freude zu empfinden, wenn gute Ideen für die Menschen umgesetzt werden.

wbh: Warum ist es wichtig, dass sich jede*r mit Politik beschäftigt und diese aktiv mitgestaltet und wie?

Ich bin der festen Überzeugung, dass wir alle der Staat sind. Unsere Demokratie lebt vom Mitmachen, Mitgestalten, Mitdenken, also vom Engagement der Vielen in unserem Land. Politik hat immer etwas mit dem Alltag der Menschen zu tun und es lohnt, sich füreinander zum Wohle der Gemeinschaft bzw. Gesellschaft einzusetzen. Weg vom Ego hin zum Blick und die Übernahme von Verantwortung für das größere Ganze.

wbh: Wie kann man die Themen Politik, Beschäftigung mit Demokratie und unseren Grundwerten stärker ins Bewusstsein der Öffentlichkeit bringen?

Die Vielen, die aktiv sind in Vereinen, Gewerkschaften oder Parteien sollten stärker über das Engagement für die Sache und das Warum? sprechen oder schreiben. Wenn ein Ehrenamt positiv besetzt ist, dann wird dieses von anderen gesehen und auch anerkannt. Toll wäre es, wenn Kommunen und auch die mediale Öffentlichkeit stärker die Ehrenamtlichkeit ins Bewusstsein bringen würden.

wbh: Was ist unser Erbe, was ist unsere Zukunft?

Unser Erbe ist sicherlich in Deutschland der Umgang mit der Vergangenheit. Eine Zeit, in der es Ausgrenzung, Rassismus und Fremdenhass gegeben hat, darf nie wieder Konsens der Mehrheitsgesellschaft werden. Unsere Zukunft sind die Kinder. Wir müssen unseren Kindern eine Erde überlassen, die für alle Menschen weltweit gute Orte zum Leben bietet. Dazu gehört es, nachhaltig und bewusst mit unseren Ressourcen umzugehen.

wbh: Was wünschst du dir für ein besseres menschliches Miteinander?

Respekt – Toleranz – Friedfertigkeit

wbh: Was bedeuten für dich Freiheit, Schutz der Menschenwürde und Gleichberechtigung?

Hier gilt die Präambel aus unserem Grundgesetz ‚Die Würde des Menschen ist unantastbar.‘ Das ist das Leitmotiv für alle demokratischen Politiker, die sich auf dem Boden des Grundgesetzes bewegen. Die Werte Freiheit und Gleichberechtigung müssen sich diesem einen Satz unterordnen. Freiheit ist ein Versprechen: Jeder Mensch hat die Chance sein Leben selbstbestimmt zu gestalten. Gleichberechtigung ist dann erreicht, wenn wir nicht mehr darüber sprechen müssen.

wbh: Wie wichtig sind Kunst und Kultur, Bildung, Medienkompetenz, Soziales, Jugendhäuser und psychologische Betreuung für unser Zusammenleben?

Kunst, Kultur und Bildung sind der Kitt, der unsere Gesellschaft zusammenhält, diese prägt und ausmacht. Unser Zusammenleben wird gestaltet über die vermeintlich weichen Felder des Sozialen. An diesen Themenfeldern zeigt sich, wie unsere Gesellschaft tickt. Was sind uns Jugendhäuser, Schulsozialarbeit, Inklusion, der Erwerb von vielfältigen Kompetenzen oder auch psychologische Betreuung wert? Die große Frage ‚Sind uns alle Menschen wichtig?‘ wird zu einer der Schlüsselfragen für unsere Gesellschaft.

wbh: Im Hinblick auf die Landtagswahl im Sep 2019: Was kann jede*r Bürger*in aktiv tun, um dem Rechtsruck mit demokratischen Mitteln entgegenzuwirken?

Im Vorfeld der Landtagswahl kann jeder in der Familie, mit Freunden, Bekannten, Nachbarn oder Kollegen über politische Themen sprechen und darüber, welche Angebote die Parteien machen. Das Eingeständnis, dass es keine einfachen Antworten auf komplexe Probleme gibt, ist ein wichtiger Schritt. Wählen zu gehen, auch wenn keine der demokratischen Parteien oder Wählerbündnisse zu 100 % die eigenen Ansichten abbildet, ist verdammt wichtig. Dabei sollte man sich im Vorfeld gut darüber informieren, welche Lösungen die Kandidaten und die Parteien anbieten.

wbh: Was sind deines Erachtens in Sachsen und Brandenburg die Gründe für den Aufstieg der Rechtspopulisten bei der Europa- und Kommunalwahl?

Es gibt eine gewisse Sehnsucht bei manchen Menschen, dass die Politik alles regelt, ohne dass man sich selbst beteiligen oder anstrengen muss. Demokratie ist aber kein Pizza-Service. Ich bestelle und Du lieferst. Der Rechtspopulismus suggeriert, dass es einfache Lösungen gibt und letztendlich ist es einfach und bequem, dem Glauben zu schenken.

wbh: Angenommen, Rechtspopulisten ziehen in Sachsen zur Landtagswahl mit den gleichen Ergebnissen wie nach der Europa- und Kommunalwahl in den Sächsischen Landtag ein, welche Auswirkungen kann das für die Gesellschaft, Politik, Kunst und Kultur, Bildung und Soziales haben?

Die Auswirkungen wären verheerend. Meine Befürchtung ist, dass wir uns in allen Bereichen von Vielfalt, Toleranz und Progressivität verabschieden müssten.

wbh: Wie kann man Demokratie-Initiativen und Protagonist*innen vor Ort aktiv unterstützen und ihr Engagement stärken?

Gute Vernetzung und gegenseitiger Support sind absolut notwendig, um zu zeigen, dass wir mehr sind.

wbh: Wie kann man Nichtwähler*innen erreichen, damit sie wählen gehen?

Nichtwähler*innen geben sich erst einmal als solche selten zu erkennen. Deswegen lohnt es immer, auch außerhalb von Wahlkampfzeiten, mit den Menschen ins Gespräch zu kommen.

wbh: Wie kann man Menschen, die sich benachteiligt und abgehängt fühlen, bspw. Menschen, die nach dem Mauerfall viel verloren haben, Angst um ihre Existenz und vor Überfremdung haben, erreichen und in die Gesellschaft zurückholen?

Benachteiligungen sind geschehen und man darf diese nicht klein reden. Aber es ist immer auch eine Frage der eigenen Haltung, wie ich mit Lebensbrüchen, Schicksalsschlägen oder Verlust umgehe. Die Aufgabe der Politik muss es sein, glaubwürdig Zukunft zu gestalten für alle Menschen. Sich dabei der besonderen Härten und Situationen von zum Beispiel in der DDR geschiedener Frauen anzunehmen oder das Schicksal von Insassen der Jugendwerkhöfe auf die Agenda zu nehmen, ist dabei absolut notwendig. Die geäußerten Sorgen vor einer Überfremdung kann ich, als in Duisburg geborene, nicht nachvollziehen. In dem Punkt sind mir viele der in Deutschland lebenden Menschen mit Migrationshintergrund näher als Ressentiments schürende Deutsche.

wbh: Warum haben deines Erachtens Menschen Angst vor „dem bösen schwarzen Mann“, vor Migrant*innen und Muslimen?

Vermutlich führen Unwissenheit, mangelnde Erlebnisse und Erfahrungen im Alltag zu Angst vor den ‚Fremden‘.

wbh: Meinst du, viele Menschen fühlen sich von Politiker*innen nicht entsprechend ihrer Meinung vertreten und abgeholt? Herrscht eine große Kluft zwischen Politiker*innen und Bürger*innen?

Politiker*innen sind immer auch Bürger*innen. Ich trenne da nicht. Und es ist eine wirkliche Gefahr, wenn hier Trennungen suggeriert werden. Jeder Politiker*in hat auch eine Familie, Freunde, Hobbies, einen Wohnort, einen Beruf, einen ganz normalen Alltag, geht einkaufen oder zum Arzt. Warum also eine Kluft aufmachen, die es nicht gibt?

wbh: In den sozialen Medien war zu lesen, dass man weniger auf die „Bedürfnisse“ der besorgten und Wutbürger*innen eingehen soll, sondern eher auf die unserer Jugend. Wie siehst du das?

Als Vertreterin der SPD schaue ich nie nur auf eine gesellschaftliche Gruppe. Die besorgten Bürger (sofern sie nicht rassistisch denken) finden bei mir genauso Gehör wie Familien, Rentner*innen oder die Jugend. Die Gesellschaft hat alle Gruppen und braucht alle Gruppen. Hier zitiere ich den ehemaligen Bundespräsidenten ‚Versöhnen statt spalten.‘

wbh: Wie wichtig sind Zivilgesellschaft und Zivilcourage?

Eine starke Zivilgesellschaft ist von enormer Bedeutung für Deutschland. Wir haben so viele engagierte Menschen in Deutschland mit Herz und Verstand, auf die unser Land zurecht stolz sein darf. Die Zivilcourage ist manchem von uns leider abhandengekommen. Wir haben diese lange nicht so gebraucht wie heute. Es gilt, wieder lauter zu werden, wenn Unrecht geschieht und Zivilcourage zu zeigen.

wbh: Wie können wir unsere Demokratie schützen und stärken?

Unsere Demokratie ist stark und die Bürger*innen werden unsere Demokratie schützen und stärken. Denn #wirsindmehr.

wbh: Was verbindest du mit: Wir sind mehr!

#wirsindmehr ist für mich ein Ausdruck von Zuversicht und Souveränität, der uns als Zivilgesellschaft miteinander verbindet.

wbh: Was bedeutet für dich: Wir bleiben hier!

Wir bleiben hier! steht für mich für ein Bündnis von Menschen, die die gesellschaftliche und politische Situation vor Ort mit allen demokratischen Mitteln gestalten wollen.

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