INTERVIEW MIT JÜRGEN KASEK

wbh: Magst du unseren Leser*innen kurz von deiner Arbeit und deinem Leben erzählen.

Mein Name ist Jürgen Kasek. Ich arbeite als Rechtsanwalt und in verschiedenen Bündnissen und Initiativen mit.

wbh: Wo bist du aktiv, wofür engagierst du dich und trittst du ein?

Ich bin unter anderem bei der Initiative „Leipzig für Alle – Aktionsbündnis Wohnen“ aktiv, dass sich für eine Stadt für Alle einsetzt, für bezahlbaren Wohnraum, gegen die soziale Entmischung. Daneben bin ich beim Aktionsnetzwerk „Leipzig nimmt Platz“ aktiv, dass sich gegen Menschenfeindlichkeit einsetzt. Weiterhin arbeite ich bei verschiedenen Umwelt- und Verkehrsverbänden mit. Außerdem bin ich beratendes Mitglied der Interessengemeinschaft Livekommbinat, der Vertreter der Livemusikspieltstätten in Leipzig. Hinzu treten Beratungen von Gruppen wie Extinction Rebellion oder Ende Gelände. Ich setze mich ein für den Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen, für eine Stadt für Alle, das heißt für die Teilhabe aller Menschen und für eine freie Gesellschaft ohne Hass und Intoleranz.
Alles was ich möchte ist in Frieden und Freiheit leben, in einer Gesellschaft, die allen Menschen die Möglichkeit gibt, selbst glücklich zu werden, auf den Grundfesten von Respekt und Toleranz.

wbh: Wie fühlt es sich an, in Sachsen Politik aktiv mitzugestalten?

Es ist eine Herausforderung. Aber die Frage verunsichert mich auch, weil es suggeriert, dass es Menschen gibt, die Politik nicht aktiv mitgestalten. In meinem Verständnis ist alles politisch, auch die Entscheidung wo und was ich einkaufe.
Es geht darum, deutlich zu machen, dass jeder seinen Anteil hat und zwar egal ob Politiker*in, Akteur der Zivilgesellschaft oder einfach nur Mensch.

wbh: Warum ist es wichtig, dass sich jede*r mit Politik beschäftigt und diese aktiv mitgestaltet und wie?

Jeder Mensch trägt mit seiner Entscheidung dazu bei, wie sich diese Gesellschaft entwickelt, und wir alle sind Teil der Gesellschaft. Die Frage, die sich jeder stellen sollte, ist, in welcher Gesellschaft will ich leben/sollen meine Kinder groß werden und was kann ich dafür tun? Jeder Mensch kann handeln, zum Beispiel indem er sein eigenes Handeln (Einkauf, Verkehrsmittel), kurz seine eigene Lebensweise überprüft, dann mit Menschen in Kontakt tritt, die ein ähnliches Problem haben, und dann überlegt, wie eine Lösung aussehen könnte. Unsere Demokratie stellt eine Reihe von Möglichkeiten zur Verfügung – von Demonstrationen, über Streitschriften, Petitionen, Anfrage. Alles Möglichkeiten, die Meinungsbildung und Entscheidungsfindung zu beeinflussen.

wbh: Wie kann man die Themen Politik, Beschäftigung mit Demokratie und unseren Grundwerten stärker ins Bewusstsein der Öffentlichkeit bringen?

Miteinander reden, austauschen, streiten und immer wieder darauf hinweisen, welche Bedeutung unsere Grundwerte für unser Zusammenleben haben. Demokratie ist ein Prozess, an dessen Ende nicht die Mehrheit über die Minderheit gewinnt, sondern im besten Fall ein Kompromiss gefunden wird, der möglichst viele Menschen vereint. Engagement kann erfolgreich sein und ist es auch. Das zeigen viele Beispiele. Dies aufzuzeigen und deutlich zu machen, dass wir es selber in der Hand haben, sollte unser aller Ziel sein. Dabei sind vor allen Dingen diejenigen gefordert, die sich Politiker*innen nennen.

wbh: Was ist unser Erbe, was ist unsere Zukunft?

Unser Erbe ist der Schatz der Natur und das Wissen der Vergangenheit. Es ist eine Verpflichtung für die Zukunft, alles dafür zu tun, dass dieser Planet lebenswert bleibt und sich Kriege nicht wiederholen.

wbh: Was wünschst du dir für ein besseres menschliches Miteinander?

Respekt und Wertschätzung vor anderen und dass wir verstehen lernen, dass gesellschaftliche Gräben, egal welche Meinung man vertritt, ein Schaden für uns alle sind und die Abwertung von anderen Personen ebenfalls uns alle trifft.

wbh: Was bedeuten für dich Freiheit, Schutz der Menschenwürde und Gleichberechtigung?

Freiheit ist die Grundlage unserer Demokratie. Ohne Freiheit keine Demokratie. Freiheit ist dabei auch die Freiheit etwas abzulehnen, etwas anders zu sehen und nicht darin eingeschränkt zu werden. Freiheit heißt aber auch Verantwortung zu übernehmen. Ohne Verantwortung keine Freiheit.
Und Freiheit ist mir persönlich und individuell sehr wichtig. Ich will nicht, dass mir vorgeschrieben wird, wie ich zu leben habe. Der Schutz der Menschenwürde gilt absolut und wir müssen immer wieder darauf hinweisen. Gleichberechtigung muss die Grundlage unseres Zusammenlebens sein und damit auch, dass keine Diskriminierung stattfindet. Und wir müssen auch verstehen, dass die Freiheit immer wieder neu erkämpft und verteidigt werden muss.

wbh: Wie wichtig sind Kunst und Kultur, Bildung, Medienkompetenz, Soziales, Jugendhäuser und psychologische Betreuung für unser Zusammenleben?

Enorm wichtig. Die Zielstellung ist, dass wir jeden Menschen befähigen, sich seines eigenen Verstandes zu bedienen (klass. Aufklärung). Voraussetzung ist dafür die Bildung, die genau das tun sollte. Dazu gehört, dass wir dafür sorgen, dass die Chancen aller Menschen gleich werden und wir auch Menschen auffangen, die ihre Chancen nicht nutzen konnten oder können. Menschen, die sich selbst und ihre Umwelt reflektieren, die verstehen und Empathie zeigen, prägen unser Zusammenleben.

wbh: Im Hinblick auf die Landtagswahl im Sep 2019: Was kann jede*r Bürger*in aktiv tun, um dem Rechtsruck mit demokratischen Mitteln entgegenzuwirken?

Sich selbst engagieren und nicht schweigen. Die Grundlage ist auch, sich selbst zu hinterfragen und die eigenen Vorurteile und Ressentiments aufzudecken.
Nicht zu schweigen, wenn Ungleichheit oder Diskriminierung laut werden, und mit Menschen zu sprechen über die Probleme unserer Gesellschaft. Und vor allen Dingen auch die Auseinandersetzung mit denjenigen suchen, die diese Gesellschaft ablehnen, die die Zukunft in der Vergangenheit suchen. Es gibt unzählige Initiativen, die mensch unterstützen kann. Es gibt Demonstrationen, es gibt die Möglichkeit im Bekanntenkreis zu sprechen, selber Flyer zu machen, in der Nachbarschaft mit Menschen zu reden. Es gibt unglaublich viele Möglichkeiten. Welche ist Deine?

wbh: Was sind deines Erachtens in Sachsen und Brandenburg die Gründe für den Sieg der AfD bei der Europa- und Kommunalwahl?

Es fehlen Erfahrungen im Umgang mit der Demokratie. Es fehlt an vielen Teilen in der Politik an Haltung und der Bereitschaft, Verantwortung auch für Fehler zu übernehmen. Menschen fühlen sich abgehängt und benachteiligt und es gibt eine Entfremdung von der Ausgestaltung der parlamentarischen Demokratie, die mit den Parteien zusammenhängt. Die AfD erscheint wie der radikale Gegenentwurf. Dabei muss berücksichtigt werden, dass offenbar 1/3 der Gesellschaft zu Einstellungsmustern der gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit tendiert, die von der AfD bespielt werden.
Dass die AfD in ihren Teilen Neonazis, Hooligans und Verfassungsfeinde in die Parlamente schickt und das Programm soziale Benachteiligung, Ungleichheit und die Beschränkung der Freiheit beinhaltet, wird ausgeblendet.

wbh: Angenommen, die AfD zieht in Sachsen zur Landtagswahl mit den gleichen Ergebnissen wie nach der Europa- und Kommunalwahl in den Sächsischen Landtag ein, welche Auswirkungen kann das für die Gesellschaft, Politik, Kunst und Kultur, Bildung und Soziales haben?

Wenn die AfD Zugriff auf sensible Politikbereiche bekäme, hätte das dramatische Folgen. Im Innenbereich könnte die AfD mithilfe von Polizei und Verfassungsschutz Gegner ins Visier nehmen, was sie angekündigt haben. Demokratieinitiativen würde das Geld gestrichen werden. Kunst und Kultur würden starke Einschränkungen erfahren, da die Freiheit genommen wäre. Und die sozial Schwächeren der Gesellschaft würden weiter benachteiligt.

wbh: Wie kann man Demokratie-Initiativen und Protagonist*innen vor Ort aktiv unterstützen und ihr Engagement stärken?

Die Unterstützung kann auch so aussehen, dass man die Projekte vorstellt, darauf hinweist und den Menschen vor Ort deutlich macht, dass diese nicht alleine sind. Konkret fehlt oft Geld. Und oft genug hat mensch das Gefühl alleine zu sein, gegen eine Übermacht.

wbh: Wie kann man Nichtwähler*innen erreichen, damit sie wählen gehen?

Komisch ist ja, dass wir endlos und viel über die AfD-Wähler*innen sprechen, aber kaum über die viel größere Gruppe der Nichtwähler*innen. Was sind deren Ängste und Sorgen, warum gehen diese nicht wählen? Hier müssen wir nachfragen. Politik muss klarer werden und Angebote bieten.

wbh: Wie kann man Menschen, die sich benachteiligt und abgehängt fühlen, bspw. Menschen, die nach dem Mauerfall viel verloren haben, Angst um ihre Existenz und vor Überfremdung haben, erreichen und in die Gesellschaft zurückholen?

Ist die Angst vor dem wirtschaftlichen Abstieg groß, wachsen Vorurteile. Also geht es darum Antworten zu finden, deutlich zu machen, dass die Zukunft keine Gefahr, sondern eine Chance ist, und stärker auch Lebensleistungen anzuerkennen. Politik ist viel stärker gefordert, statt Ängste zu befeuern, in den Dialog zu treten und mit Menschen zu sprechen.

wbh: Warum haben deines Erachtens Menschen Angst vor „dem bösen schwarzen Mann“, vor Migrant*innen und Muslimen?

Die Urangst vor dem Fremden ist in uns. Die Frage spielt übrigens genau mit diesem Bild und verfestigt es dadurch.
Allerdings hat der Mensch gelernt mit Ängsten umzugehen. Wir werden immer wieder mit drastischen Bildern konfrontiert, die bestimmte Geschehnisse überrepräsentieren und damit Eindrücke und Annahmen verstärken. Ich selber ertappe mich immer wieder dabei, wie mir das selber passiert.
Wir brauchen stärker Einordnungen von Geschehnissen, von deren Bedeutung.

wbh: Meinst du, viele Menschen fühlen sich von Politikerinnen nicht entsprechend ihrer Meinung vertreten und abgeholt? Herrscht eine große Kluft zwischen Politikerinnen und Bürger*innen?

Ehrlich gesagt bin ich sogar davon überzeugt. Politiker*in sollte ein Ehrenamt auf Zeit sein. Menschen aus der Mitte und allen Teilen der Gesellschaft sollten vertreten sein. Stattdessen erleben wir eine zunehmende Spezialisierung des Politikbetriebs, von Lebensläufen, die geradewegs ins Parlament laufen, was die Entfremdung befeuert. Viele Politiker*innen neigen dann auch dazu, sich besonders wichtig zu fühlen, weil sie ein Amt oder Mandant innehaben. Dabei sagt dies nichts über sie als Mensch aus.

wbh: In den sozialen Medien war zu lesen, dass man weniger auf die „Bedürfnisse“ der besorgten und Wutbürger*innen eingehen soll, sondern eher auf die unserer Jugend. Wie siehst du das?

Tatsächlich haben wir extrem intensiv und immer wieder über Wähler*innen von Rechten gesprochen statt über diejenigen, die sich demokratisch beteiligen und einbringen. Dabei ist die Gruppe derer, die noch nicht wählen können oder dürfen deutlich größer. Politik sollte immer auf die Zukunft ausgerichtet sein und da geht es viel stärker darum junge Menschen einzubinden, ohne alte Menschen zu vernachlässigen. Lassen sie uns nicht über die Bedürfnisse der „Wutbürger*innen“ sprechen, sondern über die Lösung konkreter Probleme.,

wbh: Wie wichtig sind Zivilgesellschaft und Zivilcourage?

Die Zivilgesellschaft ist die Grundlage unserer Demokratie. Zivilcourage ist die Bereitschaft auch dann eine Meinung zu vertreten, wenn nicht alle dafür sind und dafür auch zu handeln. Ohne Zivilcourage keine Demokratie. Es braucht Menschen, die bereit sind auch für andere einzutreten und zu handeln.

wbh: Wie können wir unsere Demokratie schützen und stärken?

Indem wir jeden einzelnen Tag immer wieder deutlich machen, was diese Demokratie und Freiheit bedeutet. Und indem wir selbst immer wieder verstehen, dass Demokratie und Freiheit jeden Tag aufs Neue erstritten und verteidigt werden müssen.

wbh: Was verbindest du mit: Wir sind mehr!

Eine Losung, die im besten Fall Menschen motivieren kann und auf der anderen Seite auch zu Fehlannahmen verleidet. Denn dieses #wirsindmehr gilt eben nicht immer und überall und tatsächlich sind die meisten Menschen nicht bei #wirsindmehr, sondern die schweigende Mehrheit. Und diese schweigende Mehrheit gilt es anzusprechen, zu aktivieren und zum Handeln zu motivieren, damit wirklich gilt #wirsindmehr.

wbh: Was bedeutet für dich: Wir bleiben hier!

Es ist keine Frage, sondern für mich die logische Folge. Ich bin hier geboren, arbeite und lebe hier. Es heißt aber auch, deutlich zu machen, dass alles, was geschieht, in unseren Händen liegt. Wann wenn nicht jetzt, wo wenn nicht hier, wer wenn nicht wir – wir bleiben hier.

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