INTERVIEW MIT KATJA RÖCKEL

wbh: Magst du unseren Leser*innen kurz von deiner Arbeit und deinem Leben erzählen.

Mein Name ist Katja Röckel, ich bin 44 Jahre alt und lebe seit 22 Jahren in Leipzig. Seit 1999 mache ich bei Radio Blau (dem nichtkommerziellen Lokalradio in Leipzig) die explizit feministische Musik-/Interviewsendung „Mrs. Pepsteins Welt“. Ungefähr genauso lange arbeite ich bei der Hörfunk- und Projektwerkstatt Leipzig e.V. (früher Radio-Verein Leipzig e.V.) als Medienpädagogin und führe dort mit meiner Kollegin und meinem Kollegen gemeinsam mit Kindern, Jugendlichen und Multiplikator*innen medienpädagogische Projekte durch. Ich habe in Leipzig studiert, Kinder bekommen und bin im Gegensatz zu einigen meiner ehemaligen Kommilitoninnen geblieben.

wbh: Wo bist du aktiv, wofür engagierst du dich und trittst du ein?

Im Rahmen meiner Arbeit bin ich in mindestens drei Netzwerken aktiv: dem Netzwerk Medienpädagogik Sachsen, dem Arbeitskreis Medienpädagogik der Stadt Leipzig und dem AK Mädchen Leipzig. Für letzteren bin ich auch Vertreterin im Gleichstellungsbeirat der Stadt Leipzig. Seit dem ersten Leipziger Frauenfestival bin ich mit im Organisationsteam dieses öffentlichen und kostenlosen Festivals, das in diesem Jahr zum dritten Mal am 29.06.2019 stattfindet. Ich engagiere mich also vorrangig in den Bereichen Medienkompetenz und Feminismus.
In Bezug auf Medienkompetenz ist mir vor allem wichtig, in Sachsen eine solide Basis auch in ländlichen Regionen für Medienkompetenzprojekte im schulischen UND außerschulischen Bereich aufzubauen. Das würde auch politische Bildung maßgeblich vereinfachen.
In Leipzig gibt es in Sachen Feminimus eine starke Szene. Junge Menschen engagieren sich vielfältig in diesem Bereich. Möglich gemacht haben das Frauen, die sich schon seit Jahrzehnten für das Thema in Leipzig stark machen. Ich bin glücklich Teil dieser „Szene“ zu sein, auch wenn es viele verschiedene Einzelinitiativen und Gruppen gibt. Ich bin über die Musik zum Feminismus gekommen und von daher geht es mir auch immer um ausgeglichene Geschlechterverhältnisse auf Bühnen, in Clubs und eigentlich überall.

wbh: Warum ist es wichtig, dass sich jede*r mit Politik beschäftigt und diese aktiv mitgestaltet und wie?

Jede Person sollte über Politik informiert sein, dazu braucht es aber vielfältige Angebote, sich diese Informationen zu beschaffen. Das ist für viele Menschen nicht wirklich gegeben. Lokale Nachrichten in einfacher Sprache gibt es in Leipzig zum Beispiel gar nicht und auch in vielen Familien wird mit Kindern und Jugendlichen nicht über Politik gesprochen. Die Zeiten, in denen auf dem Küchentisch morgens eine Zeitung liegtlag, sind vorbei, heute checkt man Nachrichten-Apps oder guckt ein YouTube-Video. Daran ist meines Erachtens erstmal nichts schlecht, so lange man Medien auch kritisch hinterfragen und einordnen kann. In gewisser Weise ist das auch eine Vorraussetzung für die Möglichkeit zur Partizipation, also zur aktiven Mitgestaltung. Es ist toll, dass es in Leipzig ein Jugendparlament gibt, in einigen Schulen gibt es auch einen Schülerrat. Mit solchen Angeboten lernen Kinder und Jugendliche sich zu informieren und zu engagieren. Selbstverständlich sollte jede Person selbst entscheiden können, ob und wie sie sich aktiv miteinbringt. Es braucht aber dafür auch Angebote und die fehlen vielerorts. Erwerbsarbeit, schlechte Gesundheitsbedingungen, Zugangsbarrieren, das alles kann auch verhindern, dass Menschen sich gesellschaftlich nicht nur engagieren, sondern überhaupt einbringen können!

wbh: Wie wichtig sind Kunst und Kultur, Bildung, Medienkompetenz, Soziales, Jugendhäuser und psychologische Betreuung für unser Zusammenleben?

Sie sind sehr wichtig: als Orte des Austauschs, der Bildung und der Vernetzung. Auch die Öffentlichkeit, die mit diesen Orten untrennbar verknüpft ist, ist sehr wichtig. Gleichzeitig ist aber auch notwendig, dass alle die Chance haben finanziell bzw. wirtschaftlich abgesichert zu sein.

wbh: Im Hinblick auf die Landtagswahl im Sep. 2019: Was kann jeder Bürgerin aktiv tun, um dem Rechtsruck mit demokratischen Mitteln entgegenzuwirken?

Wählen gehen! Das ist etwas, das jede Person machen kann. Darüber hinaus kann man sich auch als Wahlhelfer*in oder an Demos gegen Rechts beteiligen, kann in eine demokratische Partei eintreten und und und. Mit Politikerinnen ins Gespräch zu kommen, finde ich auch sehr sehr wichtig. Das sollte unbedingt auch von Politiker*innen selbst forciert werden. Und zwar nicht erst kurz vor der Wahl!

wbh: Angenommen, die AfD zieht in Sachsen zur Landtagswahl mit den gleichen Ergebnissen wie nach der Europa- und Kommunalwahl in den Sächsischen Landtag ein, welche Auswirkungen kann das für die Gesellschaft, Politik, Kunst und Kultur, Bildung und Soziales haben?

Ehrlich gesagt hoffe ich, dass es niemals soweit kommt! Es wäre eine Katastrophe. Punkt.

wbh: Wie kann man Demokratie-Initiativen und Protagonist*innen vor Ort aktiv unterstützen und ihr Engagement stärken?

Da gibt es sicher viele Möglichkeiten: von der finanziellen Unterstützung bis hin zur praktischen Unterstützung vor Ort. Und ich als Netzwerkerin würde natürlich auch sagen: weitergeben, weitersagen, weiterempfehlen. Und das heißt nicht nur, es im sozialen Netzwerk zu teilen, sondern unter Umständen auch Leute konkret ansprechen, die eine Hilfe sein könnten! Öffentlichkeit ist immer wichtig für solche Projekte, insofern wünsche ich mir auch eine Berichterstattung nicht nur von lokalen, sondern auch von regionalen und überregionalen Medien.

wbh: Wie kann man Menschen, die sich benachteiligt und abgehängt fühlen, bspw. Menschen, die nach dem Mauerfall viel verloren haben, Angst um ihre Existenz und vor Überfremdung haben, erreichen und in die Gesellschaft zurückholen?

Das ist schwierig, vielleicht unmöglich … ich denke, da braucht es empathische Personen mit ähnlicher Herkunft und ähnlichem Alter, befürchte aber, das wird, wenn überhaupt nur in Einzelgesprächen klärbar sein.

wbh: Warum haben deines Erachtens Menschen Angst vor „dem bösen schwarzen Mann“, vor Migrantinnen und Muslimen?

Ich komme ursprünglich aus einer Gegend mit einem hohen Anteil an sogenannten „Gastarbeitern“. Meine ersten Besuche in Leipzig fühlten sich seltsam an: „Wo sind denn hier die Ausländerinnen?“, fragte ich mich. Vermutlich ist wirklich das eins der Hauptprobleme: zu DDR-Zeiten waren die wenigen Migrantinnen, die es gab, quasi unsichtbar. Vielleicht kommt es daher? Gepaart mit einer Prise Unwissen und Verlustangst.

wbh: Meinst du, viele Menschen fühlen sich von Politikerinnen nicht entsprechend ihrer Meinung vertreten und abgeholt? Herrscht eine große Kluft zwischen Politikerinnen und Bürger*innen?

Ja! Leider! Das trifft sicher nicht auf alle zu, aber ein „Die da oben machen ja doch, was sie wollen“ ist eine landläufige Meinung, die sicher auch nicht ganz unberechtigt ist.

wbh: In den sozialen Medien war zu lesen, dass man weniger auf die „Bedürfnisse“ der besorgten und Wutbürger*innen eingehen soll, sondern eher auf die unserer Jugend. Wie siehst du das?

Es geht meines Erachtens immer um ein Miteinander, in dem Meinungen auch akzeptiert und diskutiert werden können. Das gilt unabhängig von Alter, Geschlecht und sozialen Bedingungen.

wbh: Was verbindest du mit: Wir sind mehr!

„Wir sind mehr“ hat den Blick auf Chemnitz gelenkt, hat gezeigt, dass Chemnitz nicht nur ein einziger „brauner Mob“ ist. Gerade dort braucht es aber Unterstützung für die Personen, die sich vor Ort nicht Rechts positionieren und damit meine ich jetzt nicht nur Aktivist*innen gegen Rechts, sondern auch Bürger*innen, die in Sachsen leben und NICHT mit Nazis auf die Straße gehen. Und ich persönlich hätte gerne auch mehr MusikerINNEN auf der Bühne gesehen.

wbh: Was bedeutet für dich: Wir bleiben hier!

Ich finde Kampagnen wie diese wichtig – Menschen zu Wort kommen zu lassen, die in Sachsen leben, macht absolut Sinn, denn das ist tatsächlich jahrelang vernachlässigt worden. Außerdem kann die Vielfalt, die so gezeigt wird, anderen ein Beispiel bieten, wie und wo man sich engagieren kann und zwar jede Person so, wie es für sie passt!

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