INTERVIEW MIT MADELEINE HENFLING

wbh: Magst du unseren Leser*innen kurz von deiner Arbeit und deinem Leben erzählen.

Ich bin 1983 in Ilmenau/Thüringen geboren. Nach dem Abitur hab ich in Köln und den Niederlanden Geschichte, Afrikanistik und niederländische Sprachwissenschaft studiert. Seit 2008 lebe ich wieder in Ilmenau. Ich war in Thüringen Landesvorsitzende bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, Mitarbeiterin eines Abgeordneten, Geschäftsführerin des Landesfrauenrates in Thüringen und seit 2014 bin ich Abgeordnete im Thüringer Landtag. Ich bin verheiratet und habe drei Kinder.

wbh: Wo bist du aktiv, wofür engagierst du dich und trittst du ein?

Ich engagiere mich seit meiner Schulzeit gegen Nazis, Rassismus und gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit. In ganz unterschiedlichen Bereichen war und bin ich in den letzten Jahren aktiv. Bevor ich Abgeordnete wurde, habe ich mich vor allem beim Flüchtlingsrat Thüringen bei der Vernetzung der Thüringer Bündnisse und Initiativen gegen rechts engagiert, als Vorstandsmitglied und Sprecherin für Geflüchtete eingesetzt, Demos gegen Nazis und die AfD angemeldet und organisiert, Rassismus thematisiert und Missstände angesprochen. Ich trete ein für die Rechte aller Menschen auf ein gutes Leben, egal wo sie herkommen, wen sie lieben oder welchem Geschlecht sie sich zugehörig fühlen. Ich kämpfe für eine liberale und gerechte Gesellschaft ohne Hass und Hetze. Und das auf allen Ebenen, ich bin für die Grünen aktiv auf kommunaler Ebene, Landesebene und ich sitze im Bundesparteirat der Grünen.

wbh: Wie fühlt es sich an, Politik aktiv mitzugestalten?

Politik gestalten ist eine wirklich gute Sache. Aber du brauchst Nerven und Durchhaltevermögen, Kompromissbereitschaft und etwas, woran du glaubst, was du erreichen willst. Dann fühlt es sich meistens richtig gut an Dinge zu verändern, auch wenn es nicht immer so schnell geht, wie ich mir das wünsche. Manchmal ist es aber auch frustrierend, wenn dir wieder alle erklären, warum bestimmte Dinge nicht funktionieren und wenn die AfD in den Parlamenten und auf der Straße gegen die hetzt, die sich engagieren für eine menschliche Gesellschaft. Wir müssen viel aushalten in den letzten Jahren, da braucht es Solidarität über Parteigrenzen hinweg.

wbh: Warum ist es wichtig, dass sich jede*r mit Politik beschäftigt und diese aktiv mitgestaltet und wie?

Gesellschaft bedeutet, wir müssen aushandeln, wie wir zusammenleben wollen. Wir brauchen Regeln und es ist wichtig, dass sich möglichst viele Menschen bei der Aufstellung solcher Regeln beteiligen können. Dazu muss man sich mit Politik beschäftigen und muss mitmachen. Dazu braucht man nicht mal in einer Partei sein. Gerade auf kommunaler Ebene kann man sich auch anders engagieren. Wenn wir uns engagieren und einbringen, dann hilft das auch gegen Antidemokraten und Faschisten. Eine engagierte, aufgeklärte und aktive Zivilgesellschaft ist eines der besten Mittel gegen Nazis und Faschisten.

wbh: Wie kann man die Themen Politik, Beschäftigung mit Demokratie und unseren Grundwerten stärker ins Bewusstsein der Öffentlichkeit bringen?

Durch Selbstwirksamkeitserfahrungen und Beteiligung vor Ort. Nicht nur drüber reden, sondern machen. Den Menschen die Möglichkeit geben Demokratie tatsächlich mitzugestalten, nicht fremdbestimmt zu sein.

Was ist unser Erbe, was ist unsere Zukunft?

Theoretisch leben wir in einer der besten Demokratien auf dieser Erde. Unsere Verfassung als Erbe, das uns mahnt, was passieren kann, wenn wir uns nicht um Demokratie bemühen, uns für Menschenrechte einsetzen und uns mit denen solidarisieren, die angegriffen werden. Für die Zukunft heißt das, wir müssen das, was so theoretisch auf dem Papier steht, in der Praxis verteidigen.

wbh: Was wünschst du dir für ein besseres menschliches Miteinander?

Dass die Menschen wieder mehr zuhören, weniger nur ihre eigenen Interessen im Blick haben und mehr an andere denken. Offenheit und die Bereitschaft sich mit Fakten und Komplexität zu beschäftigen wären auch schön 😉

wbh: Was bedeuten für dich Freiheit, Schutz der Menschenwürde und Gleichberechtigung?

Freiheit heißt für mich, so leben zu können, wie ich möchte. Freiheit heißt aber auch teilhaben zu können an einer Gesellschaft, egal wer du bist. Ohne die Wahrung der Würde aller Menschen und deren Geleichberechtigung gibt es auch keine Freiheit. Alle drei zusammen sind die Grundlage für unsere Gesellschaft.

wbh: Wie wichtig sind Kunst und Kultur, Bildung, Medienkompetenz, Soziales, Jugendhäuser und psychologische Betreuung für unser Zusammenleben?

Das sind wichtige Grundlagen für eine funktionierende Demokratie. Eine aufgeklärte Gesellschaft braucht Kunst, Kultur und Bildung. Umgedreht brauchen Kunst, Kultur, Bildung eine aufgeklärte Gesellschaft, um sich entfalten zu können. Es ist kein Zufall, dass Protofaschisten wie die der AfD gegen Kultur, Kunst und Bildung vorgehen. Sie arbeiten aktiv gegen eine aufgeklärte und emanzipatorische Gesellschaft.

wbh: Wie kann man Demokratie-Initiativen und Protagonist*innen vor Ort aktiv unterstützen und ihr Engagement stärken?

Die Leute, die sich vor Ort engagieren brauchen Solidarität und Politiker*innen, die hinter ihnen stehen. Offene Ohren und offene Türen sind auch wichtig und letztendlich brauchen sie Geld.

wbh: Wie kann man Nichtwähler*innen erreichen, damit sie wählen gehen?

Wir müssen den Leuten klar machen, dass ihre Stimme ein Gewicht hat. Diejenigen die nicht wählen, erzählen mir häufig davon, dass sie keinen Unterschied zwischen den Parteien erkennen und es für sie keinen Unterschied macht, ob sie wählen oder nicht. Gerade bei den anstehenden Landtagswahlen im Osten müssen wir den Leuten klarmachen, was für ein Gewicht ihre Stimme hat.

wbh: Warum haben deines Erachtens Menschen Angst vor „dem bösen schwarzen Mann“, vor Migrant*innen und Muslimen?

Rassismus ist tief verwurzelt in Deutschland. Vorurteile und Stereotype gibt es seit Jahrhunderten in unserer Gesellschaft. Hinzukommt, dass bspw. die deutsche Kolonialzeit erst seit ein paar Jahren thematisiert und aufgearbeitet wird. Ich würde also weniger von Angst mehr von Rassismus sprechen. Parteien wie die AfD wissen genau um diese vorhandenen Rassismen und nutzen sie, um Angst zu schüren.

wbh: Meinst du, viele Menschen fühlen sich von Politiker*innen nicht entsprechend ihrer Meinung vertreten und abgeholt? Herrscht eine große Kluft zwischen Politiker*innen und Bürger*innen?

Ich finde das ist ein gegenseitiges Problem. Ja Politiker*innen müssen wieder mehr zuhören und den Leuten mehr erklären. Ich würde mir auch wünschen, dass Politiker*innen Leuten nicht nach dem Mund reden, sondern ihnen ehrlich sagen, was möglich ist und was nicht. Ich erlebe häufig, dass Menschen enttäuscht sind, weil ihnen Politiker*innen Dinge versprochen haben, die gar nicht wirklich in ihrer Macht liegen. Von Bürger*innen würde ich mir auf der anderen Seite wünschen, dass sie die Komplexität von Demokratie und Politik erkennen und sich damit auseinandersetzen.

wbh: In den sozialen Medien war zu lesen, dass man weniger auf die „Bedürfnisse“ der besorgten und Wutbürger*innen eingehen soll, sondern eher auf die unserer Jugend. Wie siehst du das?

Ja, ich denke die „Wutbürger*innen“, Rassist*innen und Hater bekommen viel zu viel Aufmerksamkeit in dieser Gesellschaft und das ist nicht einfach nur schlecht, das ist gefährlich. Schon jetzt haben es diese Menschen geschafft bspw. für verschärfte Asylgesetze zu sorgen, der Diskurs in der Öffentlichkeit ist teilweise menschenverachtend. Und das liegt daran, dass wir die „Wutbürger*innen“ viel zu häufig zu Wort kommen lassen und ihnen massiv Raum in der Öffentlichkeit einräumen.

wbh: Wie wichtig sind Zivilgesellschaft und Zivilcourage?

Ohne sie gibt es keine Demokratie! Deshalb muss es unser aller Anliegen sein Zivilgesellschaft und Zivilcourage zu stärken, gerade im Osten.

wbh: Wie können wir unsere Demokratie schützen und stärken?

Indem wir mitmachen und Demokratie und Beteiligung einfordern. Außerdem braucht es Rückgrat und einen klaren Kompass. Wir müssen uns klar gegen Menschen- und Demokratiefeinde stellen.

wbh: Was verbindest du mit: Wir sind mehr!

Die Hoffnung, dass die Mehrheit der Menschen in Deutschland klar für eine offene und menschenfreundliche Gesellschaft einsteht.

wbh: Was bedeutet für dich: Wir bleiben hier!

Ich bin im Osten geboren und aufgewachsen, ich hab im Westen studiert und bin zurückgekommen nach Thüringen. Ich will, dass diejenigen, die sich dafür entschieden haben, im Osten zu leben, auch dafür kämpfen, dass es hier keine Mehrheiten für Faschisten wie die AfD geben darf. Ich bin bereit hier zu bleiben und dafür zu kämpfen. Und ich lade alle ein mitzumachen, damit der Osten für alle Menschen lebenswert wird und bleibt!

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