INTERVIEW MIT RON SCHÖNE

wbh: Magst du unseren Leser*innen kurz von deiner Arbeit und deinem Leben erzählen.

Ich bin Ron Schöne, Leipziger Musiker im Privatleben und Fach-und Führungskräftetrainer in einem der größten deutschen Unternehmen.

wbh: Wo bist du aktiv, wofür engagierst du dich und trittst du ein?

Meine wirklich aktive Riot-Zeit war in den 90ern und 00er Jahren. Ich habe damals sehr aktiv mit dafür gesorgt, dass dieser Nazi Worch keinen Meter in Leipzig macht. Und wir haben es geschafft. Heute habe ich mein Engagement gegen Rechts auf andere Beine gestellt. Wo sich früher meine aktive Ablehnung gegen Rechts fast ausschließlich in Demonstrationen widerspiegelte, trage ich diese heute fast jeden Tag aktiv in mein Leben und in meine Arbeit. Leider fühle ich mich dazu gezwungen, da sich Teile der Gesellschaft langsam zu Menschenfeinden entwickeln, weil sie den Rattenfängern mit ihren angeblich einfachen Lösungen auf den Leim gehen.

wbh: Wie fühlt es sich an, in Sachsen Politik aktiv mitzugestalten?

Ich würde nicht behaupten, dass ich aktiv an der Politik beteiligt bin. Mein Einsatz im Kleinen durch aktive, nicht immer gern gesehene Nutzung meiner Meinungsfreiheit ist in meinem Verständnis meine demokratische, bürgerliche Pflicht.

wbh: Warum ist es wichtig, dass sich jede*r mit Politik beschäftigt und diese aktiv mitgestaltet und wie?

Ich habe das Gefühl, dass sich die Politik in den letzten Jahrzehnten von seiner Grundlage für den Menschen da zu sein, entfernt hat. Wie man z. B. an den Reaktionen zum #rezovideo gesehen hat, ist die Politik der Gesellschaft gegenüber mittlerweile völlig entfremdet. Daher sollte Politik wieder von den Menschen gemacht werden, für die sie stehen sollte. Das klappt hier ganz gut. Viele meiner Musikerfreunde (z. B. ein großartiger Bassist, welcher später Landesvorstandssprecher der Grünen wurde… 😉 ) engagieren sich mittlerweile erfolgreich parteipolitisch und ich finde das toll.

wbh: Wie kann man die Themen Politik, Beschäftigung mit Demokratie und unseren Grundwerten stärker ins Bewusstsein der Öffentlichkeit bringen?

Eines der schönen Beispiele sehe ich hier. Gesellschaftliches Engagement aus der bürgerlichen Mitte heraus hat m. E. mehr Erfolg Gehör zu finden, als dass es diverse Antirassismusprogramme der regierenden Parteien täten. Das liegt vor Allem daran, dass z. B. Ministerpräsidenten wie Sachsens Kretschmer ziemlich rechtsoffen agieren. Wenn einem christlichen Politiker aus Angst vor Machtverlust dauerhaft das rechte Auge zuschwillt, dann kann ich auch seiner Partei keinen Glauben mehr schenken. Ich kann und werde Person nicht von Partei trennen. Daher bin ich, und hoffentlich auch andere, empfänglicher für die ehrlichere Basis-und Gesellschaftspolitik.

wbh: Was ist unser Erbe, was ist unsere Zukunft?

Unser Erbe ist der demokratische Grundkonsens, den sich die vorangegangenen Generationen hart erarbeitet haben. Unsere Zukunft ist, diesen zu halten, auszubauen und aktiv mitzugestalten. Auch wenn sich derzeit wohl viele wieder eine teildiktatorische Führung wünschen: Das wird nicht passieren. Dafür wird der gute Teil der Bevölkerung sorgen. Da bin ich mir ganz sicher.

wbh: Was wünschst du dir für ein besseres menschliches Miteinander?

Alle Vorschläge zur Regulierung des Internets und der Meinungsfreiheit gehören schon mal nicht dazu. Allerdings muss man da differenzieren. Wenn Gesagtes Menschen verletzt und dieses Gesagte nicht mehr von der Meinungsfreiheit gedeckt ist, weil es diskriminiert, beleidigt oder verleumdet, dann gehört das nach bestehenden Gesetzen geahndet. Und das passiert leider noch zu wenig. Daher gibt es auch keinen wirklichen Diskurs zwischen den politischen Lagern. Wie auch, wenn man einer kleinen Bevölkerungsgruppe einredet, sie seien das Volk, welches über alle Belange der Gesellschaft Deutungshoheit besitzt? Das kann man gerade ganz gut an Görlitz und der gelaufenen OBM-Wahl sehen. Die Enttäuschung, doch nicht die „neue“ Gesellschaft abzubilden, sieht man derzeit überall an den sog. AFD-Wählern. Da wird von Wahlbetrug gefaselt, ohne auch nur den kleinsten Gedanken daran zu verschwenden, dass es reale Demokratie ist, was dort passiert, und die Menschen eben nicht DAS „Volk“ sind.

wbh: Was bedeuten für dich Freiheit, Schutz der Menschenwürde und Gleichberechtigung?

Das sind hohe Güter für mich, die es zu halten und zu verteidigen gilt. Das tue ich täglich im Privatleben, aber fast vielleicht mehr in meinem Berufsleben. Ich habe das Glück, bei einem Arbeitgeber zu sein, der sich Antirassismus, Gleichstellung und Inklusion sogar in die moralischen Richtlinien der Konzernführung geschrieben hat. Das äußert sich in diversen eigenständigen Antirassismus-Kampagnen, die jährliche Teilnahme am World Diversity Day, Coming-Out Hilfestellungen, um nur wenige zu nennen. Ich selbst bilde mittlerweile neben Führungskräften auch Operativkräfte aus. Diese bestehen mittlerweile zu fast 20% aus Neubürgern, die bei uns einen neuen Job gefunden haben. Wir machen weder in der Bezahlung noch in der Bewertung der Arbeitsleistung einen Unterschied zu hier geborenen Mitarbeitern. Ebenfalls sind bei uns rassistische und beleidigende Äußerungen per „Code of Conduct“ abmahnfähig. Immerhin sind wir derzeit in 220 Ländern vertreten. Da ist Rassismus absolut fehl am Platz. Zum Schutz der Menschenwürde eines meiner Teilnehmer aus Syrien musste ich leider bereits einen Kollegen meines Seminars verweisen. In fünf Jahren war dies allerdings das erste und einzige Mal. Andere Situationen konnten wir durch Gespräche miteinander klären. Dafür stelle ich auch gern mal den Fachinhalt meiner Seminare hinten an.

wbh: Wie wichtig sind Kunst und Kultur, Bildung, Medienkompetenz, Soziales, Jugendhäuser und psychologische Betreuung für unser Zusammenleben?

Kunst und Kultur waren in meiner Welt immer der notwendige Gegenpart zur Tages- und Gesamtpolitik. Es hat schon einen Grund, warum die AfD durch Aussetzen der Fördergelder die kulturellen Errungenschaften in Leipzig und sonstwo eindämmen will: Die haben Angst vor der Macht von meinungsbildenden Kulturschaffenden. Und das ist auch gut so.

wbh: Im Hinblick auf die Landtagswahl im Sep 2019: Was kann jede*r Bürger*in aktiv tun, um dem Rechtsruck mit demokratischen Mitteln entgegenzuwirken?

Ich bin der Meinung, dass es nicht immer das Engagement im Großen sein muss. Auch nicht unbedingt die Teilnahme an Demonstrationen. Wenn jeder Mensch da draußen wieder anfängt, Unrecht auch als solches wahrzunehmen und sich dagegen zu stellen, dann ist schon viel getan. Nicht stillschweigend in der Tram sitzen, während die kopftuchtragende junge Mutter lautstark beleidigt wird. Gegenreden aufstellen, wenn der Mord an einem Politiker „gefeiert“ wird etc. Oder eben auch das aktive Nutzen von rechtsstaatlichen Mitteln, wenn ein freiwilliger Sprung in den Tod eines neuen Mitbürgers als einzige Alternative zu einer Abschiebung zu Begeisterungsstürmen in der LVZ-Kommentarspalte mündet. Die Entmenschlichung von Teilen der Bevölkerung macht mich unheimlich traurig, aber nicht untätig.

wbh: Was sind deines Erachtens in Sachsen und Brandenburg die Gründe für den Aufstieg der AfD bei der Europa- und Kommunalwahl?

Ich möchte jetzt nicht pauschalisiert mit „Einfachheit, Unzufriedenheit oder Unwissenheit“ antworten, denn die Gefahr kommt nicht von denen, die sich keine Gedanken machen, was sie wählen, sondern von denen, die es ganz genau wissen. Die neue Rechte ist ein elitärer Kreis, die einen Weg gefunden hat, sich einen Schafspelz so anzuziehen, dass es dem Teil der unzufriedenen Bürger nicht auffällt. Der fiese Teil von mir wünscht sich eine Läuterung auf die harte Art: Sollen sie doch spüren, was es bedeutet bis 71 zu arbeiten, kein Hartz IV oder Rente zu bekommen und stattdessen zu staatlichen, unbezahlten Zwangsdiensten verdonnert zu werden. Keine Kranken-und Rentenversicherung zu besitzen, weil man sich den Kauf einer Anleihe oder den Aufbau eines eigenen Aktienpakets zur Sicherung der gesundheitlichen Grundversorgung nicht leisten kann. Der gute Teil von mir klärt aber auf und hofft auf Einsicht des Gegenübers. Auch wenn die ewige Gegenrede zu meinen Argumenten „aber die Ausländer …“ sehr anstrengend ist.

wbh: Angenommen, die AfD zieht in Sachsen zur Landtagswahl mit den gleichen Ergebnissen wie nach der Europa- und Kommunalwahl in den Sächsischen Landtag ein, welche Auswirkungen kann das für die Gesellschaft, Politik, Kunst und Kultur, Bildung und Soziales haben?

Sollte das passieren, dann sehe ich schwarz für die kulturelle, offene Kreativlandschaft im Land.
Auch die Zivilgesellschaft wird stark zu leiden haben. Viele Freiheiten, die wir jetzt besitzen, wird es nicht mehr geben. Allein die von Rechts gewünschte und forcierte Mehrklassengesellschaft wird sich schnell bemerkbar machen. Daher bleibt zu hoffen, dass sich die CDU an ihr Versprechen hält und nicht mit der Afd koaliert. Wie man aber derzeit an kleinen Kommunen im Norden Deutschlands sehen kann, biedert sich die CDU bereits der AfD an.

wbh: Wie kann man Demokratie-Initiativen und Protagonist*innen vor Ort aktiv unterstützen und ihr Engagement stärken?

Indem man sich aktiv an der Meinungsbildung und -äußerung beteiligt. Indem man Flagge zeigt und sein eigenes Meinungsbild versucht zu multiplizieren. Wenn ich nur einen Rechtswähler durch meine Argumente wieder auf die gute Seite ziehen kann, dann ist schon etwas getan …

wbh: Wie kann man Nichtwähler*innen erreichen, damit sie wählen gehen?

Ich bin da ein Freund von Negativmotivation. Also das Darstellen von Auswirkungen des Nichtwählens. Ebenfalls bin ich ein Verfechter der flächendeckenden Briefwahl für alle. Ich vermute nämlich, dass viele aus Faulheit und nicht aus politischen Desinteresse nicht wählen gehen. Auch ich hab mich schon bei dem Gedanken erwischt, meinen Lazy Sunday genießen zu wollen und den Besuch einer stickigen Schule zu vermeiden. Seitdem bin ich Briefwähler.

wbh: Wie kann man Menschen, die sich benachteiligt und abgehängt fühlen, bspw. Menschen, die nach dem Mauerfall viel verloren haben, Angst um ihre Existenz und vor Überfremdung haben, erreichen und in die Gesellschaft zurückholen?

Meines Erachtens nach sind das gar keine realen Tatsachen, sondern gefühlte Fakten. Ich selbst war zwar erst elf Jahre alt, als die Wende kam, habe aber schon sehr aktiv die Mangelwirtschaft und die politische Indoktrination mitbekommen. Auch ich bin dem anheim gefallen und war Fahnenträger der großen Thälmannfahne meiner POS. Dass sich die heutigen Rechtswähler diese Zeit nur mit anderen Fahnen wieder herbeiwünschen, kann ich mir gar nicht vorstellen. Ich vermute, es ist eine zeitliche, romantische Verklärung der Vergangenheit. Sollte das Aufrechthalten des heutigen Wohlstandes der Gesellschaft z. B. durch fehlende, weil abgeschobene Arbeiter nicht mehr möglich sein, werden genau diese Leute auf die Barrikaden gehen.

wbh: Warum haben deines Erachtens Menschen Angst vor „dem bösen schwarzen Mann“, vor Migrant*innen und Muslimen?

Die Angst, die die Rechtswähler antreibt, ist immer noch die Angst vor dem Unbekannten. Hier in Sachsen ist der Ausländeranteil der Bevölkerung so dermaßen gering, dass es kaum Berührungspunkte gibt. Ich bewege mich in meinem Job ca. 220 Tage p.a. durch ganz Deutschland. In den Regionen Deutschlands mit hohem Ausländeranteil sind die Menschen weniger ängstlich und viel offener gegenüber Neuem. Das wünsche ich mir auch für Sachsen.

wbh: Meinst du, viele Menschen fühlen sich von Politiker*innen nicht entsprechend ihrer Meinung vertreten und abgeholt? Herrscht eine große Kluft zwischen Politiker*innen und Bürger*innen?

Aus meiner Beobachtung heraus würde ich sagen, dass sich die lautesten Rechtswähler gar nicht mit Politik im zielführenden Sinne beschäftigen. Es geht vorrangig ums Schimpfen und dem Darlegen des eigenen faschistoiden Meinungsbildes. Die Politik spielt da eine untergeordnete Rolle. Anders kann ich mir nicht erklären, dass selbst der derzeit sozial schwache Teil der Bevölkerung zu einem großen Teil AfD wählt oder wählen will. Jeder, der dieses unsägliche Wahlprogramm gelesen hat, sollte mitbekommen haben, dass die AfD keine Partei der „kleinen Leute“ ist. Ich würde die Behauptung aufstellen, dass 60% der AfD Wähler gar nicht wissen, welche Inhalte neben „keine Ausländer“ sie da wählen …

wbh: In den sozialen Medien war zu lesen, dass man weniger auf die „Bedürfnisse“ der besorgten und Wutbürger*innen eingehen soll, sondern eher auf die unserer Jugend. Wie siehst du das?

Da ich mich hartnäckig weigere, mein Alter anzuerkennen, fühle ich mich da auch noch betroffen. Immerhin habe ich auch noch ein paar Jahrzehnte Zukunft, und wenn die negativen Veränderungen weiter mit derart Geschwindigkeit voranschreiten, dann betrifft es mich unmittelbar auch. Aber mal ehrlich, die Jugend ist die Zukunft und nicht weiße, alte Männer um die 70, welche in Kleinstgruppen durch Dresden und sonstwo spazieren gehen. „Fridays for Future“ hat Zukunft im Eigennamen. Pegida nicht. Es ist klar, was mehr Beachtung verdient.

wbh: Wie wichtig sind Zivilgesellschaft und Zivilcourage?

Ich bin froh, dass wir eine starke Zivilgesellschaft sind und es ist zu beobachten, dass nach dem ersten Schock wieder vermehrt die Zivilcourage auflebt. Und dort, wo Unrecht geschieht, sollte jeder seinen Mund aufmachen. Nur mangelt es eben bei manchen noch am Mut oder an der richtigen Einschätzung, was Unrecht überhaupt ist und wo es beginnt.

wbh: Wie können wir unsere Demokratie schützen und stärken?

Die Demokratie ist immer dann gefährdet, wenn die Masse den Mund hält. Aus welchen Gründen auch immer. Demokratie lebt vom Diskurs über seinen Zweck sowie seinen Vor- und Nachteilen. Den Diskurs muss man auch manchmal ein wenig mit Nachdruck anstoßen.

wbh: Was verbindest du mit: Wir sind mehr!

Die Aussage „Wir sind mehr!“ ist das „Wir sind das Volk“ der viel breiter aufgestellten Zivilgesellschaft gegenüber den paar Prozent Rechtswählern. Außerdem sind wir mittlerweile sowieso mehr als nur ein Volk. Und das ist gut so.

wbh: Was bedeutet für dich: Wir bleiben hier!

Das bedeutet, dass Flucht vor Rechts einer Kapitulation gleichkommt. Ich hab kurz nach der Europawahl viele Stimmen gehört, die von Auswandern und Abhauen aus Sachsen sprachen. Ich finde das falsch, kann den Drang und die dahinterstehende Angst aber auch gut nachvollziehen. Ich in meinem kleinen Gallien im Leipziger Süden habe es aber auch vergleichsweise einfacher, als z. B. ein Linker im Erzgebirge. Denen ist für „Wir bleiben hier!“ hoher Respekt zu zollen.

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