INTERVIEW MIT SALKA SCHALLENBERG

wbh: Magst du unseren Leser*innen kurz von deiner Arbeit und deinem Leben erzählen.

Mein Name ist Salka Schallenberg, ich bin 47 Jahre alt. Ich denke, ich bin ein weltoffen und kritisch denkender Mensch. Ich lese gern und bin glücklich, dass ich eine tolle Familie habe.

wbh: Wo bist du aktiv, wofür engagierst du dich und trittst du ein?

In Magdeburg arbeite ich zusammen mit Bernd seit über 18 Jahren als Journalistin für das InternetTV kulturmd, dass seit zehn Jahren zudem Lokalfernsehen ist. Als Journalistin ist es mir wichtig, die Zuschauer für Themen zu wecken und alles zu hinterfragen. Gerade in Zeiten von Fake News ist es wichtig, nach dem Pressekodex zu arbeiten.

wbh: Warum ist es wichtig, dass sich jede*r mit Politik beschäftigt und diese aktiv mitgestaltet und wie?

Wir leben in einer Demokratie und das erfordert von jedem selbst etwas zu tun, sich einzubringen. Denn Demokratie ist nicht selbstverständlich und auch nicht einfach da. Als DDR-Kind, dass ich nun mal bin, weiß ich das zu gut. Es gibt zahlreiche Möglichkeiten sich einzubringen und das ist gut. Selbst Kinder und Jugendliche können zur Sprechstunde mit einem Bürgermeister.

wbh: Wie kann man die Themen Politik, Beschäftigung mit Demokratie und unseren Grundwerten stärker ins Bewusstsein der Öffentlichkeit bringen?

Unser Sender versucht, die Zuschauer durch Reportage und Interviews für gesellschaftspolitische Themen zu interessieren, sie zum Nachdenken anzuregen. Jedes Jahr fahren wir zum Beispiel zur Leipziger Buchmesse. Hier treffen wir gut 15 Autoren zum Interview. Die Bücher habe ich mir vorher bewusst ausgewählt. In diesem Jahr traf ich zum Beispiel Christian Schüle zu seinem Buch „In der Kampfzone“, in dem er sich sehr kritisch mit unserem aktuellen Gesellschaftssystem auseinandersetzt. Oder die Autorin Bernadette Conrad zu ihrem Buch „Groß und stark werden. Kinder unterwegs ins Leben“. Hier spielt die verlorengegangene Kindheit, wie wir sie noch kannten, und die heutigen Herausforderungen an die Kinder eine große Rolle.
Die Interviews schalten wir zunächst kurz nach der Buchmesse und übers Jahr thematisch.

wbh: Was ist unser Erbe, was ist unsere Zukunft?

Unser Erbe ist ein politisches Gesellschaftssystem, dass leider aktuell krankt und in dem wieder mal Reformen und neue Denkanstöße nötig sind. Und auch die Umwelt ist über die Jahre stark in Mitleidenschaft gezogen worden. Für die Zukunft gibt es viel zu tun, ich denke es ist noch nicht zu spät. Alles sollte kritisch auf den Prüfstand gestellt werden.

wbh: Was wünschst du dir für ein besseres menschliches Miteinander?

Ich wünsche mir, dass eine Debatte offen geführt wird und auch mal eine andere Meinung akzeptiert und toleriert wird.

wbh: Was bedeuten für dich Freiheit, Schutz der Menschenwürde und Gleichberechtigung?

Freiheit ist ein großes Wort – ich als Journalistin lebe das eigentlich schon, auch wenn es von staatlicher und gesellschaftlicher Seite immer mal Einschränkungen gibt. Aber ich kann selbst entscheiden, was ich tun möchte, das ist Freiheit.
Schutz der Menschenwürde und Gleichberechtigung sind zwei wesentliche Dinge, die tagtäglich weltweit aufs Neue erkämpft werden müssen. Selbst im kleinen eigenen Umfeld gibt es Ausgrenzung. Jeder selbst kann etwas für den Schutz der Menschenwürde und Gleichberechtigung untereinander tun.

wbh: Wie wichtig sind Kunst und Kultur, Bildung, Medienkompetenz, Soziales, Jugendhäuser und psychologische Betreuung für unser Zusammenleben?

All das ergibt ein gutes Miteinander, so lernen wir respektvoll miteinander umzugehen. Ohne Kunst und Kultur, Bildung, Medienkompetenz, Soziales, Jugendhäuser wäre die Gesellschaft wohl arm und das ganze Leben eintönig. So gibt es immer mal wieder frischen Wind für neue Ideen. Es lässt uns vielleicht auch mal um die Ecke sehen. Ich denke, alles in allem ist all das eine gute Brücke, um alle in der Gesellschaft zu erreichen.

wbh: Im Hinblick auf die Landtagswahl im Sep 2019: Was kann jeder Bürger*in aktiv tun, um dem Rechtsruck mit demokratischen Mitteln entgegenzuwirken?

Leider haben wir den Rechtsruck bei uns in Sachsen-Anhalt schon sehr lange – eigentlich seit den 1990er Jahren. Besonders als unter Ministerpräsident Reinhard Höppner kein linkes Bündnis mit Petra Sitte zugelassen wurde. Und genau zu der Zeit hat sich Miteinander e. V. 1999 in Magdeburg gegründet. Dieses Bündnis hat in den letzten Jahren gezeigt, dass jeder Bürger sich aktiv für mehr Toleranz und gegen rechtes Gedankengut einsetzen kann. Sei es der aktiven Teilnahme an Workshops, Familienfesten, Gesprächen in Schulen oder auch mit Petitionen.

wbh: Was sind deines Erachtens in Sachsen und Brandenburg die Gründe für den Sieg der AfD bei der Europa- und Kommunalwahl?

Auch in Sachsen-Anhalt haben wir uns gefragt, warum zur Landtagswahl 2016 die AfD mit 24,3 % zweitstärkste Kraft wurde. Viele Kulturschaffende mit denen wir vorher sprachen, sahen die Gefahr leider nicht.
Ich denke, dass im Osten der Republik viele Bürger das Gefühl haben, dass sie missverstanden sind und sich nicht in die Politik einbringen können. Vielleicht liegt es daran, dass die Politik mit den potentiellen Wählern nicht ausreichend kommuniziert und nicht ausreichend auf ihre Bedürfnisse eingeht.
Zum anderen spielt vielleicht auch der Bruch in den Biografien durch das Ende der DDR 1990 eine Rolle. Nie richtig ankommen im neuen Deutschland, als Ossi immer die zweite Wahl. In ein anderes Gesellschaftssystem gewechselt, ohne seine Heimat zu verlassen, das war für die Meisten nicht einfach.

wbh: Angenommen, die AfD zieht in Sachsen zur Landtagswahl mit den gleichen Ergebnissen wie nach der Europa- und Kommunalwahl in den Sächsischen Landtag ein, welche Auswirkungen kann das für die Gesellschaft, Politik, Kunst und Kultur, Bildung und Soziales haben?

Zieht in Sachsen die AfD mit den gleichen Ergebnissen wie nach der Europa- und Kommunalwahl in den Sächsischen Landtag ein, hat das sicher immense Auswirkungen auf Gesellschaft, Politik, Kunst und Kultur, Bildung und Soziales.

In Sachsen-Anhalt ist die AfD mit 24,3 % als zweitstärkste Kraft 2016 in den Landtag gezogen. Seitdem hat die Partei immer wieder große Anfragen gestellt, damit Unruhe gestiftet. Das beste Beispiel ist der Verein Miteinander e. V. , der sich seit gut 20 Jahren gegen Rechtsextremismus in Sachsen-Anhalt engagiert.

Die AfD hat Ende 2017 zu diesem Verein eine Anfrage von 236 (!) Fragen an die Landesregierung gestellt. Ende April 2018 war die Anfrage beantwortet.

Wer Zeit und Muße hat, sollte sich diese Anfrage mit den Antworten ansehen: https://www.landtag.sachsen-anhalt.de/fileadmin/files/drs/wp7/drs/d2791lag.pdf

Die Antworten zeigen aber auch, dass wir momentan eine Landesregierung haben, die mit einem Bündnis aus Bündnis 90/Grüne, SPD und CDU eine gute Politik macht. Auch wenn es nicht immer einfach ist und es auch kontroverse Diskussionen im Landtag gibt, gegen die Politik der AfD ist man sich einig.

wbh: Wie kann man Demokratie-Initiativen und Protagonist*innen vor Ort aktiv unterstützen und ihr Engagement stärken?

Ein gutes Beispiel in Magdeburg ist das jährliche Fest der Begegnung. 1994 hatten wir die Himmelfahrtskrawalle, die Magdeburg als Stadt der Nazis abstempelten. Seit 1996 gibt es das Fest der Begegnung am Himmelfahrtstag, organisiert von der Polizei, den Kirchen und zahlreichen Initiativen und Vereinen.
Inzwischen ein Fest, dass über 4.000 Besucher anzieht. Demokratie-Initiativen und Protagonist*innen können sich mit Angeboten und Ständen präsentieren und vor allem mit Bürgern ins Gespräch kommen. Seit vielen Jahren ist es ein Ort der interkulturellen Begegnung.

Von daher ist es wichtig, dass Demokratie-Initiativen und Protagonist*innen vor Ort die Möglichkeit haben, sich aktiv zu entfalten und vor allem mit Bürgern ins Gespräch zu kommen.

wbh: Wie kann man Nichtwähler*innen erreichen, damit sie wählen gehen?

Eine Antwort darauf zu geben, wie man Nichtwähler*innen erreichen kann, damit sie wählen gehen, ist sehr schwierig. Wir versuchen es tagtäglich mit unserer Berichterstattung in unserem Lokalfernsehen.

wbh: Wie kann man Menschen, die sich benachteiligt und abgehängt fühlen, bspw. Menschen, die nach dem Mauerfall viel verloren haben, Angst um ihre Existenz und vor Überfremdung haben, erreichen und in die Gesellschaft zurückholen?

Ich denke, es ist ganz wichtig, dass man diesen Menschen zeigt, dass sie in der Gesellschaft gebraucht werden und eine Stimme haben. Über ehrenamtliches Engagement lässt sich das glaube ich gut lösen. In Vereinen zum Beispiel erhalten die Akteure Wertschätzung und eine wichtige Aufgabe für ihr Leben. Die Magdeburger Stadtverwaltung organisiert jährlich eine Messe zum Thema Ehrenamt, eine gute Möglichkeit um mit Vereinen ins Gespräch zu kommen.

wbh: Warum haben deines Erachtens Menschen Angst vor „dem bösen schwarzen Mann“, vor Migrant*innen und Muslimen?

Es fehlt ihnen hauptsächlich die Begegnung mit diesen Menschen und ihrer Kultur. Und es ist die Angst, dass sie etwas von ihrem hart erkämpften (kleinen) Wohlstand abgeben müssten. Vor allem wäre es wichtig, dass man bereit ist auf Migrant*innen und Muslime zuzugehen.

wbh: Meinst du, viele Menschen fühlen sich von Politikerinnen nicht entsprechend ihrer Meinung vertreten und abgeholt? Herrscht eine große Kluft zwischen Politikerinnen und Bürger*innen?

Ich denke schon, dass das so ist – die Politik ist seit Jahren in ihrem Trott und über die Zeit ist die Kommunikation mit den Bürgern verlorengegangen. Da bleibt vieles auf der Strecke.

wbh: In den sozialen Medien war zu lesen, dass man weniger auf die „Bedürfnisse“ der besorgten und Wutbürger*innen eingehen soll, sondern eher auf die unserer Jugend. Wie siehst du das?

Jeder hat wohl das Recht ernst genommen zu werden. Die Besorgten, die Wutbürger und genauso die Jugend. Zum anderen sind die Besorgten, die Wutbürger die Eltern oder Großeltern der Jugend.

Die Jugend nimmt das mit in die Zukunft, was ihnen in die Wiege gelegt wurde – das kann auch wieder Frust sein, aber genauso auch der Mut etwas zu ändern.

wbh: Wie wichtig sind Zivilgesellschaft und Zivilcourage?

Zivilgesellschaft und Zivilcourage sind ein wichtiger Teil unserer Demokratie – ohne engagierte Bürger und Bürger, die füreinander einstehen, lebt das System nicht.

wbh: Wie können wir unsere Demokratie schützen und stärken?

Indem wir jeden Tag unseren Beitrag dafür leisten, im Kleinen wie im Großen. Wir wollen Freiheit und sozialen Wohlstand, also müssen wir selbst etwas dafür tun. Das bedeutet nicht, dass wir Andere dafür ausgrenzen.

wbh: Was verbindest du mit: Wir sind mehr!

Eine wichtige Bewegung vieler Akteure, die seit der Aktion in Chemnitz immer weitergetragen werden sollte und am Leben bleiben sollte. Über die sozialen Medien ist soviel möglich und das sollte im positiven Sinne genutzt werden.

wbh: Was bedeutet für dich: Wir bleiben hier!

Ich dachte ehrlich gesagt, als ich von der Kampagne „Wir bleiben hier“ las gleich „Ist es wieder soweit?“ Vor 30 Jahren (!) gab es auch einen ähnlichen Slogan derer, die in der DDR bleiben und hier etwas verändern wollten – da waren wir junge Erwachsene und jetzt sind wir es, die etwas in unserem Land bewegen wollen und unsere Kinder, die junge Erwachsene sind.

Von daher unterstütze ich gern die Kampagne #wirbleibenhier.

Und es gibt etwas, dass mein Leben geprägt hat. Die Geschichte meiner Großeltern ist die von Flucht und Ausgrenzung – sie hatten nur wenige gemeinsame Jahre in Frieden. Meine Großmutter floh 1925 mit einem deutschen Kommunisten aus Petersburg nach Deutschland. Mein Großvater musste als Künstler erleben, wie die Nazis seine Bilder als entartet einstuften. Auch in den ersten Jahren in der DDR musste er durch die staatliche Kulturpolitik erfahren, dass er sich als Künstler nicht frei entfalten kann.

Foto: Bernd Schallenberg

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