INTERVIEW MIT TOBIAS PRÜWER

wbh: Magst du unseren Leser*innen kurz von deiner Arbeit und deinem Leben erzählen.

Ich lebe als Journalist und Buchautor in Leipzig, wohin ich einst aus Erfurt zum Studium zog. Nach meiner Jugend in den 1990ern und den dauerhaften – oft gewaltdrohenden oder -tätigen Erfahrungen mit Nazis – wollte ich eigentlich nie mehr und weiter in Ostdeustschland leben. Allein die Studienfachwahl zwang mich dazu. Seitdem genieße und verteidige ich den Leipziger Süden als kleine Insel der Glückseligen.

wbh: Wo bist du aktiv, wofür engagierst du dich und trittst du ein?

Ich versuche als Journalist den kritischen Blick auf Wichtiges oder Zu-Beanstandendes zu richten. Dabei versuche ich, immer fair vorzugehen – aber wohl wissend, dass es nie ganz wertfrei zu haben ist. Denn politische Neutralität existiert nicht, die Idee einer unpolitischen, ja: unideologischen Mitte ist selbst eine hartnäckige Ideologie.

wbh: Wie fühlt es sich an, in Sachsen Politik aktiv mitzugestalten?

Wenn es um linke, oder besser: emanzipatorische Anliegen geht, winkt hier oft gleich die Kriminalisierung.

wbh: Warum ist es wichtig, dass sich jede*r mit Politik beschäftigt und diese aktiv mitgestaltet und wie?

Weil das das Wesen von Demokratie und des Politischen ist.

wbh: Was wünschst du dir für ein besseres menschliches Miteinander?

Ein besseres menschliches Miteinander, das auch den Widerstreit und Dispute nicht scheut.

wbh: Wie wichtig sind Kunst und Kultur, Bildung, Medienkompetenz, Soziales, Jugendhäuser und psychologische Betreuung für unser Zusammenleben?

Sie sind essentiell und gerade in diesen Bereichen steht die Finanzierung in Sachsen immer wieder auf dürren und wackligen Beinen. Was auch schon viel aussagt.

wbh: Was sind deines Erachtens in Sachsen und Brandenburg die Gründe für den Sieg der AfD bei der Europa- und Kommunalwahl?

Die Gründe sind zu komplex, um alles hier differenziert und in Kürze betrachten zu können. In diesem kausalen Mosaik spielen von Gefühlen der Zurückweisung und realen Biografiebrüchen (die werden ja immer angeführt) bis hin zu geschlossenen rechten oder nazistischen Weltbildern, von historisch überliefertem Überlegenheitschauvinismus und Regionalismus, militaristischen Männerbildern viele Steinchen eine Rolle. Sicher, auch die soziale Lage darf nicht verkannt werden: Aber, nur weil man arm ist, wird man nicht Nazi. Hinzu kommt das Herunterspielen von Nazigewalt durch akzeptierende Jugendarbeit und in Sachsen durch fast 30 Jahre CDU-Regierung. Wenn der hiesige Ministerpräsident Klimaschutzpolitik mit der AfD gleichsetzt, spricht das Bände. Was der AfD-Erfolg nicht ist: ein reines Ostproblem. Der »Osten« an sich reicht aber auch nicht als Erklärung und sollte auch in solchen Aufzählungen vermieden werden, damit nicht die ewige Opferrolle wieder bedient wird.

wbh: Angenommen, die AfD zieht in Sachsen zur Landtagswahl mit den gleichen Ergebnissen wie nach der Europa- und Kommunalwahl in den Sächsischen Landtag ein, welche Auswirkungen kann das für die Gesellschaft, Politik, Kunst und Kultur, Bildung und Soziales haben?

Die Zeiten werden härter. Aber seit 2015 ist das Gefühl eh wieder: back to 90s. Man schaue sich nur rechte Straßengewalt und Hassverbrechen an. Die Fördermittel für bestimmte Projekte werden sicher schwinden. Regionen mit besonders hoher AfD-Quote werden auf Dauer wirklich abgehängt, weil dort niemand anderes hinziehen, arbeiten oder investieren will.

wbh: Wie kann man Menschen, die sich benachteiligt und abgehängt fühlen, bspw. Menschen, die nach dem Mauerfall viel verloren haben, Angst um ihre Existenz und vor Überfremdung haben, erreichen und in die Gesellschaft zurückholen?

Kann ich das? Einzelne vielleicht. Erstmal müssen wir akzeptieren, dass es so zwischen 20 bis 30 Prozent Menschen hier gibt, die kein Problem haben, menschenfeindliche Positionen zu wählen oder diese aktiv und mit Gewalt zu vertreten. Das müssen wir erst einmal einsehen und akzeptieren – nicht tolerieren. Und dann überall Widerstand zu diesen Positionen zeigen. Und wenn mal wirklich einer von denen mit sich reden lässt, wahrscheinlich am ehesten im Privaten, dann kann man das machen. Aber bitte keine Podien mehr für Nazis, Nationalisten & Co. Immerhin gibt es dahingehend ein kleines Einsehen, man schaue sich den Evangelischen Kirchentag an (dass ich das mal sagen werde …).

wbh: Warum haben deines Erachtens Menschen Angst vor „dem bösen schwarzen Mann“, vor Migrant*innen und Muslimen?

Weil die meisten (mindestens) von ihnen RassistInnen sind.

wbh: In den sozialen Medien war zu lesen, dass man weniger auf die „Bedürfnisse“ der besorgten und Wutbürger*innen eingehen soll, sondern eher auf die unserer Jugend. Wie siehst du das?

Völlig d‘accord, siehe oben.

wbh: Wie wichtig sind Zivilgesellschaft und Zivilcourage?

Davon lebt die Demokratie, die halt immer wieder verteidigt und um sie gestritten werden muss – und erweitert. Emanzipation ist ein Prozess, kein Zustand oder Stillstand.

wbh: Was verbindest du mit: Wir sind mehr!

Ich habe große Probleme mit Kollektivbegriffen – auch mit »Wir«. Wer soll da gemeint sein? Wenn das alle umfasst, die Menschenfeindlichkeit ablehnen, okay. Ich weiß nicht, ob das mehr sind; zumindest nicht in allen Regionen hier.

wbh: Was bedeutet für dich: Wir bleiben hier!

Ich weiß nicht, wie lange ich hier bleiben werde. Wenn ich denke, dass das Streiten nicht mehr lohnt, gehe ich. Ich beschäftige mich seit 30 Jahren immer wieder mit Nazis – das kann nicht der ganze Lebensinhalt sein. Da bin ich egoistisch. Und so wichtig das Streiten gegen Nazis & Co. ist, es ist auch nicht ungefährlich, im Gegenteil. Daher verstehe ich jeden, der/die nicht mehr die Rübe hinhalten will, sondern das schöne Leben woanders sucht.

Foto: Franziska Reif

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