INTERVIEW MIT SEBASTIAN KRUMBIEGEL

wbh: Magst du unseren Leser*innen kurz von deiner Arbeit und deinem Leben erzählen.

Ich mache Musik, seit ich denken kann, und versuche in letzter Zeit mehr und mehr die Bühne, die ich habe, auch dafür zu nutzen, mich politisch einzumischen. Das ist manchmal gar nicht so leicht, weil es immer eine Gratwanderung ist. Einerseits bin ich irgendwann mal angetreten, um Leute zu unterhalten, andererseits habe ich mehr und mehr gemerkt, dass es nicht reicht, von lustigen Sachen zu singen und den Horizont bei Liebe, Triebe, Herz und Schmerz für beendet zu erklären. Dabei musst du aber tierisch aufpassen, dass du nicht anfängst rumzunerven, dass du nicht anfängst, zu eifern und zu missionieren. Den berühmten Prediger-Bono-Effekt versuche ich zu vermeiden. Ich fürchte, das gelingt mir nicht immer, zumal ich weiß, dass ich dazu neige, manchmal emotional übers Ziel hinaus zu schießen – vor allem, wenn ich mich wirklich über Sachen aufrege.

wbh: Wo bist du aktiv, wofür engagierst du dich und trittst du ein?

Das kann ich gar nicht so leicht in zwei Sätzen sagen. Unterm Strich geht es mir immer mehr darum, mich für Dinge gerade zu machen, die mir wichtig sind. Das hat viel damit zu tun, was mir meine Eltern mitgegeben haben, und meine Eltern, vor allem meine Mutter, haben mich immer ermuntert, mich – auch wenn das jetzt sehr salbungsvoll klingt – gegen Ungerechtigkeiten zu wehren. Sie hat mich auch immer ermuntert, Autoritäten zu hinterfragen. Oft hat sie sich in der Schule oder auch im Internat des Thomanerchores hinter mich gestellt, wenn sie das Gefühl hatte, ich werde ungerecht behandelt – das prägt natürlich, und ich fand das immer extrem cool von meiner Mutter. Natürlich ist das jetzt sehr allgemein – was die Themen betrifft, „wofür ich mich engagiere und einsetze“ (ich mag das ja nicht, bei mir selbst von Engagement zu sprechen – für mich ist das irgendwie normal und es gehört zu mir) –, als ich 1989 bei den Montagsdemos die ersten REPublikaner-Flyer mit „Arbeit zuerst für Deutsche“ in den Händen hielt, und als ich dann die Reaktionen der Leute („ist doch ganz vernünftig“) hörte, war mir sehr schnell klar, dass das nicht meins ist. All die Deutschland-Fahnen, die plötzlich wie aus dem Nichts aufgetaucht waren – das waren für mich rückblickend die ersten Vorläufer von Rostock Lichtenhagen und Hoyerswerda. Dazwischen war ich im Sommer 1990 mit Jens (Sembdner, mein Prinzen-Kollege) in Ungarn. Deutschland war gerade Fußball-Weltmeister geworden, und all die Ostdeutschen, die noch ein Jahr davor als Deutsche zweiter Klasse ohne D-Mark in Ungarn waren, kamen dann mit ihren Deutschland-Trikots an und haben einen auf dicke Hose gemacht. Das war zwar irgendwie auch verständlich, weil sie eben endlich all das machen konnten, sich endlich auch all das leisten konnten, was sich die Westdeutschen schon seit Jahren leisten konnten, aber es war eben auch so unsäglich peinlich. Wir haben uns damals als „Jugoslawen“ ausgegeben, haben eine Fantasie-Sprache gesprochen und dann mit den Ossis in einem radebrechenden Englisch – wir wollten uns mit denen nicht gemein machen, uns war das peinlich. Und – auch wenn das ein großer gedanklicher Bogen ist und ich garantiert nicht all diese Leute als Nazis bezeichnen will – jetzt komme ich auf die Frage zurück – Deutschtümelei, Nationalismus, Antisemitismus, Neonazis – dagegen versuche ich klar Stellung zu beziehen. Natürlich ist es immer besser, FÜR etwas zu stehen, und ich sage immer wieder gern: FÜR gegenseitigen Respekt, FÜR einen toleranten Umgang miteinander, aber das beinhaltet eben auch, sich klar gegen Nazis zu stellen – das ist mein Hauptinhalt, wenn wir über „Engagement“ sprechen.

wbh: Wie fühlt es sich an, in Sachsen Politik aktiv mitzugestalten?

Ich habe gar nicht das Gefühl, Politik aktiv mitzugestalten. Ich habe das Gefühl, mich einzumischen, mit unterschiedlichen Leuten zu reden, dabei einerseits zuzuhören und zu versuchen, diese zu verstehen, andererseits aber auch dagegenzuhalten, wenn ich merke, dass ich anderer Meinung bin. Ich habe das Privileg, dass sich mir viele Türen öffnen. Ich will jetzt wirklich nicht angeben, aber wenn ich um einen Gesprächstermin mit dem Chefredakteur der BILD oder dem sächsischen Ministerpräsidenten bitte, dann bekomme ich ihn meistens. Oft fragen mich Freunde, warum ich das mache, was ich mir davon verspreche, und ich kann dann nur sagen, dass es eigentlich reine Neugier ist. Ich denke natürlich auch, dass vielleicht irgendwas hängenbleibt, von dem, was ich ihnen sage, weiß aber auch, dass das genauso auch umgekehrt passieren kann. Auf der einen Seite mit Antifa-Leuten zu reden und auf der anderen mit eben solchen „mächtigen“ oder einflussreichen Leuten – das genieße ich sehr. Das Wandern zwischen den Welten – Staatskanzlei und Conne Island, ich hoffe, dass ich dadurch meinen Standpunkt (selbst-) kritisch hinterfragen kann, und ich hoffe sehr, dass ich, wenn ich mit den Mächtigen rede, nicht der „Erotik der Macht“ unterliege. Die gibt es definitiv, das ist mir klar, aber ich hoffe, dass ich mittlerweile klar genug stehe und einerseits die Empathie habe, zu verstehen, was diese Leute meinen und wollen, andererseits aber eben nicht einknicke, mich emotional kaufen lasse oder sonstwie an der Uhr drehe und mich selbst verleugne oder meinen Standpunkt verrate …

wbh: Warum ist es wichtig, dass sich jede*r mit Politik beschäftigt und diese aktiv mitgestaltet und wie?

Weil Demokratie kein Selbstläufer ist. Ich denke, das ist der größte Irrtum vieler Menschen, vor allem im Osten. Hier sind die Leute so sozialisiert worden, dass der Staat sich kümmert, dass Dir gesagt wird, wo es langgeht. Kindergarten, Schule, Lehre oder Studium, Beruf, Rente … alles war irgendwie vorbestimmt. Heute ist das anders, und heute sollten wir uns alle miteinander immer wieder daran erinnern, dass wir es selbst sind, die sich darum kümmern, in was für einer Welt wir leben.

wbh: Wie kann man die Themen Politik, Beschäftigung mit Demokratie und unseren Grundwerten stärker ins Bewusstsein der Öffentlichkeit bringen?

Ich kann da nur für mich selbst reden: Ich kann Lieder darüber schreiben, kann in Interviews immer wieder darüber reden und – wie gesagt – nicht rechthaberisch sein, sondern empathisch. Und ich versuche, nicht nur im Netz oder eben theoretisch aktiv zu sein, sondern wirklich auch da, wo es darum geht, persönlich auf der Matte zu stehen. Wenn ich höre, dass in meiner Stadt eine Nazidemo geplant ist, dann reicht es eben nicht, sich hinzustellen und zu sagen: Das finde ich aber nicht in Ordnung – dann musst du eben auch vor Ort aktiv werden und auf die Straße gehen. Das haben wir in Leipzig ganz gut etabliert. Es gibt sie wirklich, die starke Zivilgesellschaft, die im Ernstfall wirklich da ist und sich wehrt.

wbh: Was wünschst du dir für ein besseres menschliches Miteinander?

Wir sollten endlich wieder mehr miteinander reden, und zwar nicht nur in unseren eigenen Filterblasen. Wir sollten versuchen, aufeinander zuzugehen, nach Gemeinsamkeiten suchen und nicht nach Unterschieden. Wir sollten aufhören, immer recht haben zu wollen, sollten den Perspektiv-Wechsel wirklich versuchen, und das bedeutet, Empathie zu leben, und zwar ehrlich. Wir sollten das Wort „Streit“ nicht negativ sehen, sollten wieder lernen, konstruktiv zu streiten. Eine Diskussion ist doch ein Gedankenaustausch, der eigentlich einen offenen Ausgang haben sollte. Wenn ich mit der Vorgabe in eine Diskussion gehe, dass meine Meinung sowieso die einzig richtige ist und mein Gegenüber sowieso falsch liegt, dann kann ich mir das Ganze auch sparen. Also – natürlich gibt es da auch Grenzen, natürlich ist Toleranz gegenüber einem klaren Rassisten falsch, aber es gibt eben nicht nur schwarz und weiß, nicht nur links und rechts oder gut und böse. Das reale Leben ist da viel schwieriger, und wenn wir verlernen, miteinander im Gespräch zu bleiben, dann werden die Gräben immer tiefer werden.

wbh: Was bedeuten für dich Freiheit, Schutz der Menschenwürde und Gleichberechtigung?

Hmmm… Freiheit sollte niemals auf Kosten anderer stattfinden, der Schutz der Menschenwürde sollte Artikel-Eins-mäßig definitiv unverhandelbar sein, und Gleichberechtigung sollte endlich kein Lippenbekenntnis mehr sein.
Ich hab gerade ein Lied geschrieben: DIE DEMOKRATIE IST WEIBLICH – da hab ich versucht, mich diesen Themen anzunähern …

wbh: Wie wichtig sind Kunst und Kultur, Bildung, Medienkompetenz, Soziales, Jugendhäuser und psychologische Betreuung für unser Zusammenleben?

Das ist ja ein ganz schöner Rundumschlag – also thematisch… ich könnte jetzt einfach sagen: wichtig! Aber das willst du nicht hören, also:
Kunst und Kultur sind meiner Meinung nach immer noch unterschätzt. Das erste, woran immer gespart wird, ist genau das, und das ist ein Fehler. Wenn wir auf Kultur verzichten, wenn wir Kultur vernachlässigen, dann werden wir kulturlos. Kultur ist mehr als Musik, Malerei, Schauspielerei, Literatur, Bildhauerei und allgemein Kunst. Kultur ist unser Zusammenleben, Gesprächskultur, Esskultur, Schlafkultur, Freikörperkultur … Kultur ist alles – also bitte lasst uns darauf achtgeben, sie nicht zu vernachlässigen.
Bildung, Medien-Kompetenz – ja, genauso wichtig. Nicht nur, aber auch politische Bildung – wenn wir daran weiter sparen, dann werden wir die Quittung bekommen. Ich bin nicht der Meinung, dass Intelligenz der Schlüssel ist, ich glaube, dass – völlig unabhängig von Intelligenz – eine Art Anständigkeit, eine Art „good behaviour“ der Schlüssel ist. Anders gesagt: Es gibt hochintelligente Menschen, die ziemlich mies drauf sind, und es gibt eher bildungsferne Menschen, die cool und anständig sind, die Dir helfen, wenn es drauf ankommt. Und trotzdem ist Bildung wahnsinnig wichtig. In letzter Zeit denke ich oft, dass all die vielen Menschen, die populistischer Politik hinterherrennen, das nicht tun würden, wenn sie sich besser politisch gebildet hätten. Das klingt vielleicht überheblich, aber ich habe keine andere Antwort auf die Frage, warum, gerade bei uns in Sachsen, so viele Menschen nicht durchschauen, was da gerade passiert, bzw. wohin die Reise gerade zu gehen scheint. Ich fürchte, wir werden am 1. September in einem Alptraum aufwachen, und ich bin selbst von mir genervt, dass ich das so dystopisch sage … Medien-Kompetenz ist diesbezüglich auch ein wichtiger Schlüssel, denn vor allem im Netz passieren Dinge, die wir durchschauen müssen, die wir beherrschen sollten, denn wenn wir uns davon beherrschen lassen, wenn wir in unseren Blasen unter uns bleiben und uns von Verschwörungstheorien oder Fake-News blenden lassen, dann haben wir verloren.

wbh: Im Hinblick auf die Landtagswahl im Sep 2019: Was kann jede*r Bürger*in aktiv tun, um dem Rechtsruck mit demokratischen Mitteln entgegenzuwirken?

Das Kreuz an der richtigen Stelle machen – ohne Haken – haha!

wbh: Was sind deines Erachtens in Sachsen und Brandenburg die Gründe für den Aufstieg der AfD bei der Europa- und Kommunalwahl?

Wie gesagt – mangelnde politische Bildung. Aber das ist nur ein Punkt von vielen. Sicher sind auch von den etablierten Parteien, vor allem von den klassischen ehemaligen „Volksparteien“ Fehler gemacht worden. Es scheint ja immer wieder so zu sein: Wenn ein System vermeintlich sicher im Sattel sitzt, dann kommt da eine Arroganz der Macht ins Spiel (und davon können wir in Sachsen ein Lied singen!), die gefährlich ist. Dazu kommt sicher auch noch die Enttäuschung bzw. die falsche Vorstellung dessen, was die Ostdeutschen von der Wiedervereinigung erwartet haben und dann noch der unglückliche oder eben teilweise auch unfähige Umgang mit dem Osten nach der Wiedervereinigung – Treuhand, Führungskräfte im Osten, Bagatellisieren von Nazi- und anderen rassistischen Übergriffen … Es ist sicher ein sinnloses Unterfangen nach der einen Ursache dafür zu suchen – es ist alles sehr vielschichtig und dadurch differenziert zu betrachten …

wbh: Angenommen, die AfD zieht in Sachsen zur Landtagswahl mit den gleichen Ergebnissen wie nach der Europa- und Kommunalwahl in den Sächsischen Landtag ein, welche Auswirkungen kann das für die Gesellschaft, Politik, Kunst und Kultur, Bildung und Soziales haben?

Ich fürchte, dass die AfD stärker wird, als wir denken. Es wird vielen Vereinen schlecht ergehen – ich kenne so viele Vereine, die jetzt schon stöhnen, weil sie ausgegrenzt werden – ach ja – ich will gar nicht aussprechen, was ich mir alles vorstelle … Ich fürchte, es wird schlimmer als wir uns zur Zeit vorstellen können …

wbh: Wie kann man Demokratie-Initiativen und Protagonist*innen vor Ort aktiv unterstützen und ihr Engagement stärken?

Ja, ich erschrecke mich ja gerade über mich selbst, dass ich die Situation so negativ schildere. Natürlich können wir gegenhalten, natürlich können wir dafür sorgen, dass sich der Wahnsinn in Grenzen hält. Wir sollten nicht aufhören, immer wieder darüber zu reden, wir sollten auch immer wieder die unsäglichen populistischen oder eben auch rassistischen Äußerungen der Führer ansprechen und verurteilen. Wir dürfen nicht hinnehmen, dass all die Dinge, die da auf einmal wieder sagbar sind, die plötzlich wieder salonfähig geworden zu sein scheinen, den normalen Diskurs bestimmen. Wenn Gauland sagt, dass keiner einen Menschen wie Jerome Boateng als Nachbarn haben will, dann ist das Rassismus in Reinkultur. Wenn derselbe Mann sagt, dass die Nazizeit ein zu vernachlässigender „Vogelschiss der Geschichte“ ist, oder wenn Höcke vom „Denkmal der Schande im Herzen der Hauptstadt“ spricht und das Holocoust-Mahnmal meint, dann ist das Nazi-Sprech – daran dürfen wir uns nie gewöhnen.

wbh: Warum haben deines Erachtens Menschen Angst vor „dem bösen schwarzen Mann“, vor Migrant*innen und Muslimen?

Weil Trump, Johnson, Salvini, LePenn, Gauland, Höcke und sogar Seehofer und die BILD nicht aufhören, zu hetzen – es ist unsäglich und es ist vor allem so unverantwortlich …

wbh: Meinst du, viele Menschen fühlen sich von Politiker*innen nicht entsprechend ihrer Meinung vertreten und abgeholt? Herrscht eine große Kluft zwischen Politiker*innen und Bürger*innen?

Nein, das würde ich pauschal niemals so sagen. Ich bin überzeugt davon, dass es sehr viele Menschen in politischer Verantwortung gibt, die es wirklich ehrlich meinen. Manchmal stelle ich mir vor, was wir dadurch erreichen, wenn wir immer nur auf „die Politiker“ einprügeln. Irgendwann will keiner mehr den Job machen, irgendwann wollen alle lieber in die „freie Wirtschaft“ gehen und dann werden wir uns umgucken … Bitte nicht falsch verstehen – natürlich müssen wir unseren Volksvertretern auf die Finger schauen und immer wieder kritisch hinterfragen, was sie tun, weil sie es ja in unserem Auftrag tun. Aber es ist ein Fehler, „die Politiker“ als Sündenböcke hinzustellen. Wir brauchen diese Leute, genau wie wir Polizisten, Lehrer und Ärzte brauchen, wenn wir nicht im Chaos versinken wollen. Und ich bin froh über jeden Politiker und jeden Polizisten, der seinen Job verantwortungsvoll macht. Es ist so leicht, einfach gegen alles zu sein und es ist vor allem falsch. Wir leben in einem freiheitlich demokratischen Rechtsstaat und das ist erstmal der Hammer, das ist eine Errungenschaft, über die wir uns freuen sollten. Es gibt wenige Gegenden auf der Erde, die das von sich sagen können, und wir sollten uns ab und zu immer mal wieder daran erinnern, was es eigentlich bedeutet, dass wir einigermaßen frei und entspannt in Frieden leben, dass wir zu essen und zu trinken haben und ein Dach über dem Kopf, dass wir unsere Kinder in die Schule gehen lassen können, dass wir uns als Gesellschaft um Minderheiten kümmern, dass wir eine Solidargemeinschaft sein und bleiben wollen, dass eben nicht jeder seines eigen Glückes Schmied ist. Wenn wir das verinnerlichen und wenn wir wissen, dass das alles Dinge sind, die eben keine Selbstverständlichkeiten sind, dass das Errungenschaften sind, für die wir jeden Tag aufs Neue kämpfen müssen, gerade in Zeiten wie diesen, in denen es offene Bestrebungen gibt, diese demokratischen Grundwerte abzuschaffen, wenn wir das verstanden haben, dann mach ich mir nur noch halb so viele Sorgen um die Zukunft.

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