INTERVIEW MIT STEPHAN CONRAD

wbh: Magst du unseren Leser*innen kurz von deiner Arbeit und deinem Leben erzählen.

Stephan Conrad, Treibhaus e.V. Döbeln

wbh: Wo bist du aktiv, wofür engagierst du dich und trittst du ein?

Ich arbeite als Jugendarbeiter im Treibhaus e.V., bin Mitglied im Vorstand des Vereins, arbeite ehrenamtlich in der AG Geschichte, einem Projekt des Treibhaus e.V., und bin Mitglied im Jugendhaus Rosswein e.V. sowie im AJZ Leisnig e.V. Außerdem engagiere ich mich in der sächsischen Landesarbeitsgemeinschaft zur Auseinandersetzung mit dem NS und betreue jedes Jahr Bildungsfahrten des Herbert Werner Bildungswerks Dresden nach Krakau und Auschwitz. Seit Mai 2019 wurde ich außerdem als parteiloser Kandidat der SPD in den Stadtrat Döbeln gewählt.

wbh: Was ist existenziell und notwendig für deine und eure Arbeit?

Zum einen ist das verfluchte Geld existenziell. Zum anderen ist aber auch die Mitwirkung von jungen und alten Menschen, von Leuten, die schon immer hier gewesen und neu hinzugekommen sind, notwendig. Mitwirkung bedeutet für mich auch zu wissen, wie man sich eine bessere Gesellschaft vorstellt. Nur zu benennen, was besser sein müsste, reicht nicht. Davon lebt ja unsere Demokratie.

wbh: Woran mangelt es?

Der Treibhaus e.V. erhält nicht nur Fördermittel, sondern hat auch einen breiten Kreis von Unterstützer*innen und Engagierten. Aber klar könnten/müssten/sollten es immer mehr sein. Im Vergleich zu anderen Städten sind wir gut aufgestellt. Aber es gibt Tendenzen über die letzten zehn Jahre, die darauf hindeuten, dass eine Mehrheit zwar darauf aufmerksam macht, was nicht gefällt, es aber gleichzeitig nicht verändert.

wbh: Im Idealzustand: Was wünschst du dir für bessere Grund- und Rahmenbedingungen für deine und eure Arbeit?

Es braucht ein Demokratieförderungsgesetz, damit Vereine wie wir von allen Fördermittelgebern institutionell gefördert werden können. Und das über viel längere Laufzeiten als im Moment. Eigenmittel für Projektträger sollten abgeschafft oder nur in Ausnahmefällen erhoben werden – insbesondere kleine Vereine haben damit erhebliche Mehrbelastungen. Solange es das nicht gibt, brauchen wir stabile Förderungen mit fünf- bis zehn-jährigen Laufzeiten und nur symbolischen Eigenanteilen. Die Probleme, die Demokratiearbeit hat, sind teilweise über Jahrzehnte gewachsen und müssen kontinuierlich bearbeitet werden. Das braucht Zeit, Geduld und Geld. 

wbh: Was sind deine Wünsche an die Politiker*innen?

Dass die Erfahrungen von Menschen aus der Praxis ernst genommen werden. Wir sind die Expert*innen vor Ort, wir arbeiten in prekären Beschäftigungsverhältnissen und sind oft Angriffen (verbal und nonverbal) von Nazis, Wutbürger*innen und AfD-Klientel ausgesetzt.

wbh: Was sind deine Wünsche an die Bürger*innen in deiner Stadt?

Dass sie teilnehmen und mitmachen, dass sie uns durch Mitgliedschaften, Lobbyarbeit, ehrenamtliches Engagement etc. unterstützen, dass sie sich in den eigenen Bekannten- und Freundeskreisen zu unserem Verein bekennen.

wbh: Wie kann man Demokratie-Initiativen und Protagonist*innen vor Ort aktiv unterstützen und ihr Engagement stärken?

Teilnehmen und Mitmachen, Mitglied werden, Lobbyarbeit leisten, sich ehrenamtlich engagieren, sich im eigenen Bekannten- und Freundeskreisen zu demokratiefördernden Verein bekennen.

wbh: Warum ist es wichtig, dass sich jede*r mit Politik beschäftigt und diese aktiv mitgestaltet und wie?

Weil Demokratie besser funktioniert, wenn man weiß, wie sie funktioniert. Dafür muss man teilhaben. Sei es in einer Partei, in Vereinen oder dem Gemeinwesen. Demokratie lebt vom Mitmachen, von Kompromissen; sie braucht vor allem Geduld und auch genügend Frustrationstoleranz.

wbh: Wie kann man die Themen Politik, Beschäftigung mit Demokratie und unseren Grundwerten stärker ins Bewusstsein der Öffentlichkeit bringen?

Jeder Raum ist politisch, sei es die Schule, das Fußballstadion, der Markt… Das bedeutet noch lange nicht, dass diese Räume parteipolitisch sind. Hier gibt es einen Unterschied, der leider viel zu oft nicht gesehen wird. Dann werfen alle die Hände hoch und rufen: „Wir müssen neutral sein! Wir müssen neutral sein!“ Wir müssen wieder lernen, uns aktiv mit demokratischen, politischen, mit gesellschaftlichen Prozessen auseinanderzusetzen.

wbh: Was ist unser Erbe, was ist unsere Zukunft? 

Unser Erbe ist die kritische Erinnerung an die deutsche Geschichte, unsere Zukunft ist unbestimmt und muss gestaltet werden .

wbh: Was wünschst du dir für ein besseres menschliches Miteinander?

Eine solidarische, vielfältige Gesellschaft.

wbh: Was bedeuten für dich Freiheit, Schutz der Menschenwürde und Gleichberechtigung?

Alles.

wbh: Wie wichtig sind Kunst und Kultur, Bildung, Medienkompetenz, Soziales, Jugendhäuser und psychologische Betreuung für unser Zusammenleben?

Wenn man nicht nur von Arbeit leben will, was man meines Erachtens nicht kann, dann sind diese Bereiche für die Entwicklung einer Gesellschaft maßgeblich.

wbh: Im Hinblick auf die Landtagswahl im Sep 2019: Was kann jede*r Bürger*in aktiv tun, um dem Rechtsruck mit demokratischen Mitteln entgegenzuwirken? 

Wir müssen Populismus und rechten Einstellungen widersprechen – konsequent und überall. Wir müssen alle wählen gehen. Und wir dürfen auch nach einem eventuellem Erfolg der AfD nicht auswandern, sondern weiter machen! 

wbh: Was sind deines Erachtens in Sachsen und Brandenburg die Gründe für den Sieg der AfD bei der Europa- und Kommunalwahl?

Das Erbe der DDR-Abschottung, die Wende und deren Nachwirkungen, der demographische Wandel, schlecht bezahlte Jobs und eine entpolitisierte Gesellschaft.

wbh: Angenommen, die AfD zieht in Sachsen zur Landtagswahl mit den gleichen Ergebnissen wie nach der Europa- und Kommunalwahl in den Sächsischen Landtag ein, welche Auswirkungen kann das für die Gesellschaft, Politik, Kunst und Kultur, Bildung und Soziales haben?

Förderprogramme wie das „Weltoffene Sachsen“ und „Integrative Maßnahmen“ könnten wegfallen; die Jugendhilfe könnte reformiert und unbequeme Sozialarbeiter entlassen werden. Damit drohen die letzten Instanzen einer toleranten Demokratieförderung wegzubrechen.

wbh: Wie kann man Nichtwähler*innen erreichen, damit sie wählen gehen?

Vielleicht mit einer Wahlplicht wie in Belgien oder Griechenland (ohne Sanktionen).

wbh: Wie kann man Menschen, die sich benachteiligt und abgehängt fühlen, bspw. Menschen, die nach dem Mauerfall viel verloren haben, Angst um ihre Existenz und vor Überfremdung haben, erreichen und in die Gesellschaft zurückholen?

Mit Geduld. Die AfD wird deren Leben auch nicht besser machen. Das versteht man wohl aber erst, wenn man es erlebt. 

wbh: Warum haben deines Erachtens Menschen Angst vor „dem bösen schwarzen Mann“, vor Migrant*innen und Muslimen?

Weil es keine bzw. kaum Erfahrungen mit dem „Anderen“ gab bzw. gibt und weil sich Unwissenheit und Hysterie in sozialen Medien reproduziert.

wbh: Meinst du, viele Menschen fühlen sich von Politiker*innen nicht entsprechend ihrer Meinung vertreten und abgeholt? Herrscht eine große Kluft zwischen Politiker*innen und Bürger*innen?

Ja, weil Politik zu kompliziert und zu verstrickt ist und sie wenig mit der Lebenswelt von jeder*m Einzelnen zu tun hat.

wbh: In den sozialen Medien war zu lesen, dass man weniger auf die „Bedürfnisse“ der besorgten und Wutbürger*innen eingehen soll, sondern eher auf die unserer Jugend. Wie siehst du das?

Es muss wohl beides passieren, aber als Jugendarbeiter stehe ich eher auf der Seite der Jugend, denn denen gehört die Zukunft. Aufgrund des demographischen Wandels stellen die Wutbürger*innen wohl grundsätzlich eine größere Zielgruppe als Wahlklientel, allerdings widerspricht es der Generationgerechtigkeit, wenn „alte“ Menschen die Zukunft der jungen Menschen mit Rückschritten behindern.

wbh: Wie wichtig sind Zivilgesellschaft und Zivilcourage?

In Ostdeutschland wichtiger denn je. Zivilgesellschaft hilft dort, wo Verwaltung und staatliche Institutionen nichts bewirken können. Die ist für eine solidarische Gesellschaft unerlässlich, sie kann neben den Medien auch eine Kontrollinstanz und ein Sensor für undemokratische Verhaltensmuster sein.

wbh: Wie können wir unsere Demokratie schützen und stärken?

Durch ein kritisches, politisches Selbstverständnis eines jeden einzelnen, frei nach Winston Churchill: „Demokratie ist die schlechteste aller Regierungsformen – abgesehen von all den anderen Formen, die von Zeit zu Zeit ausprobiert worden sind.“

wbh: Was verbindest du mit: Wir sind mehr!

Eine Parole, die leider das Gefühl vermittelt, nichts weiter tun zu müssen, weil wir ja „mehr“ sind. Es stellt sich auch die Frage einer Definition, wer „wir“ eigentlich sind. Wenn „wir“ die demokratischen Kräfte dieses Landes sind, dann wird das wohl rein rechnerisch eine korrekte Aussage sein. Aber für wie lange und was passiert, wenn es nicht mehr stimmt? Wir im Treibhaus e.V. dachten, dass nach Chemnitz oder jetzt nach den Kommunal-und Europawahlen, ganz sicher nach den Landtagswahlen der #wannwennnichtjetzt der bessere Slogan ist.

wbh: Was bedeutet für dich: Wir bleiben hier!

Mein Motto, mich in Döbeln und im Treibhaus e.V. zu engagieren, ist ganz nach der Prämisse „Das Private ist politisch. Das Politische ist privat.“ Die Entscheidung gegen ein bequemeres Leben in einer Großstadt mit allen Versuchungen, ausgehend von meiner Sozialisation in der Hardcore-Punk Szene und der DIY Einstellung. Quasi: „Döbeln nervt, also lass mal was tun!“

(Credit Foto: ZEIT online)

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