INTERVIEW MIT VIKTOR VINCZE
wbh: Magst du unseren Leser*innen kurz von deiner Arbeit und deinem Leben erzählen. Wo bist du aktiv, wofür engagierst du dich und trittst du ein?
Mein Name ist Viktor Vincze, ich bin in Ostungarn, im Vierländereck zu Tschecholowakei (heute Slowakei), Sowjetunion (heute Ukraine) und Rumänien geboren. Seit 2001 lebe ich in Dresden.
Hier habe ich selbst Diskriminierungserfahrungen erlebt und beobachtet. Andere ziehen sich dann zurück und finden sich damit ab. Ich habe mich von Anfang an für ein funktionierendes Miteinander engagiert. Als Tutor des Akademischen Auslandamtes und vom Studentenwerk, als Vertrauensstudent der Evangelischen Studentengemeinde, als Referent für Ausländische Studierende an der Technischen Universität Dresden organisierte ich Veranstaltungen, Aktivitäten, Möglichkeiten des gegenseitigen Kennenlernens.
Für mich ist engagiert und aktiv zu sein selbstverständlich. In einer funktionierenden Demokratie und Gesellschaft soll jeder seinen Beitrag leiten. Seit 2009 bin ich im Vorstand vom Ausländerat Dresden e.V. und seit 2014 gewähltes Mitglied im Integrations- uns Ausländerrat der Landeshauptstadt Dresden. Von 2011 bis 2015 habe ich als Flüchtlingsbetreuer gearbeitet, schließlich war ich von 2015 bis 2019 der Persönliche Referent des Sächsischen Ausländerbeauftragten. Mein Motto ist: Gib jedem eine faire Chance!
wbh: Wie fühlt es sich an, Politik aktiv mitzugestalten?
Da ist hohe Frusttoleranz erforderlich. In einer Demokratie müssen wir ständig für Mehrheiten ringen. Diskussion und Dirkurs sind der Normalzustand. Aktiv mitgestalten fängt immer nur im Kleinen an. Diese Erfolge sind oft klein, sind diese winzigen Schritte, aber in der Gesamtsumme wichtig. Rückschläge sind häufig, Aufgeben ist aber keine Option.
wbh: Warum ist es wichtig, dass sich jede*r mit Politik beschäftigt und diese aktiv mitgestaltet und wie?
Die funktionierende Demokratie braucht mündige Bürger, die mit Verantwortung Entscheidungen treffen und das nicht nur am Wahltag mit einem Kreuz tun. Entscheide nicht nach bunten Werbeflyern, sondern informiere dich gründlich! Tritt in eine Partei ein oder gründe halt eine neue Wählergruppe. Keiner kennt deine Lebessituation, die Probleme deines Kiezs besser als du. Kein Politiker wird intensiver für deine Rechte und deine Leute eintreten als DU selbst!
wbh: Wie kann man die Themen Politik, Beschäftigung mit Demokratie und unseren Grundwerten stärker ins Bewusstsein der Öffentlichkeit bringen?
Demokratie ist wie die Luft – man merkt es nur dann, wenn es fehlt. Das macht viele Bürger träge. Die größte Gefahr für die Demokratie sind nicht zwingend die Nazis oder sonstige Extremisten, sondern die Gleichgültigkeit. Warte nicht, dass es ein anderer macht, klag nicht, dass es niemand tut, sondern pack es selbst an!
wbh: Was ist unser Erbe, was ist unsere Zukunft?
Unser Erbe ist die Verantwortung aus der Geschichte. Gegen Rassismus, Totalitarismus, Sekularität und eine besondere Verantwortung gegenüber Israel und dem jüdischen Volk. Die Kristallkugel, um die Zukunft zu kennen, habe ich nicht. Wenn wir aber jetzt, hier und heute nicht aktiv werden, kann es ziemlich düster werden. Also leg mit los!
wbh: Was wünschst du dir für ein besseres menschliches Miteinander?
Ich träume von einer Gesellschaft, wo nicht die Hautfarbe, Herkunft, sexuelle Orientierung oder Religion, sondern der Mensch zählt. Wenn wir es erreichen können, haben wir alle gewonnen.
wbh: Was bedeuten für dich Freiheit, Schutz der Menschenwürde und Gleichberechtigung?
Ich bin in einem totalitären Staat geboren und bis zur Wende aufgewachsen. Als Kind spürte ich, dass etwas nicht stimmt, egal wie umfassend und intensiv die Propagandamaschine arbeitete. Meinungsfreiheit, Pressefreiheit, Schutz der Menschenwürde sind Werte, wofür es sich zu kämpfen lohnt.
wbh: Wie wichtig sind Kunst und Kultur, Bildung, Medienkompetenz, Soziales, Jugendhäuser und psychologische Betreuung für unser Zusammenleben?
Ein großer Fehler der Politik vergangener Jahre war, dass die Akteure besonders im ländlichen Raum ausgeblutet wurden. Die Folge ist eine Generation, die schwer für unsere Demokratie zu begeistern und anfällig für populistische Argumente sind. Eine verantwortungsvolle Politik fängt schon bei der Jugendarbeit an, flankiert durch gute Kultur- und Medienarbeit. Alles andere wird später sehr teuer für die Gesellschaft.
wbh: Im Hinblick auf die Landtagswahl im Sep 2019: Was kann jede*r Bürger*in aktiv tun, um dem Rechtsruck mit demokratischen Mitteln entgegenzuwirken?
Mit Gewalt und Agression wird dieser Rechtsruck nicht gestoppt. Ganz im Gegenteil, der Kampf gegen Rechts hat ein schlechtes Image. Das Bild vom Steine werfenden und brüllenden Linken schreckt die sogenannte „Mitte der Gesellschaft“ ab. Sie ist aber notwendig als demokratische Basis. Sie müssen mitgenommen und gestärkt werden. Je mehr sie schwindet, umso stärker wird der rechte Rand.
wbh: Was sind deines Erachtens in Sachsen und Brandenburg die Gründe für den Aufstieg der AfD bei der Europa- und Kommunalwahl?
Die Antwort ist sicherlich nicht einfach, da spielen sicherlich sehr viele Faktoren eine Rolle. Frust und gefühlte Arroganz der jeweiligen Landesregierungen, die ihre Entscheidungen nicht transparent und nachvollziehbar darlegen, gepaart mit dem Unvermögen der Politiker in Brüssel und Berlin, gestärkt durch die besagte fehlende politische Bildung. Zumal der ländliche Raum allzu lange vernachlässigt wurde, Infrastruktur kaputtgespart. Diese Unzufriedenheit wird durch die Wahlen nach Potsdam und Dresden getragen.
wbh: Angenommen, die AfD zieht in Sachsen zur Landtagswahl mit den gleichen Ergebnissen wie nach der Europa- und Kommunalwahl in den Sächsischen Landtag ein, welche Auswirkungen kann das für die Gesellschaft, Politik, Kunst und Kultur, Bildung und Soziales haben?
Das wäre ein Regierungsauftrag für die AfD. Eine Koalition der Wahlverlierer mit drei oder vier Partnern, die bei der Wahl deutlich Federn gelassen haben, nur mit dem einzigen gemeinsamen Nenner, die Regierung des Wahlsiegers zu verhindern, wäre genau das „Konjunkturpaket“ und die Bühne, die die AfD braucht. Die Mitte braucht starke Wahlergebnisse.
Das Problem in Sachsen ist, dass das sogenannte „linke Lager“ immer um die gleiche Zielgruppe kämpft, die im Freistaat um die 30 – 40 % der Bürger ausmachen, die wählen gehen. In Sachsen brauchen wir eine starke, aber moderne CDU. Ich bin da beigetreten, um die Partei und damit Sachsen mitzugestalten.
wbh: Wie kann man Demokratie-Initiativen und Protagonist*innen vor Ort aktiv unterstützen und ihr Engagement stärken?
Mitmachen und mitgestalten. Davon lebt Demokratie. Punkt.
wbh: Wie kann man Nichtwähler*innen erreichen, damit sie wählen gehen?
Daran sind schon viel klügere Köpfe gescheitert. Man muss die Leute mitnehmen, die man kennt und erreichen kann. Sprich mit dem Nachbar, mit dem Verkäufer, Menschen in der Kneipe, im Geschäft und und und. Demokratie braucht Alltagshelden. Dennoch sind Politiker, die menschlich und fachlich begeistern, ebenso ein elementarer Grundstein.
wbh: Wie kann man Menschen, die sich benachteiligt und abgehängt fühlen, bspw. Menschen, die nach dem Mauerfall viel verloren haben, Angst um ihre Existenz und vor Überfremdung haben, erreichen und in die Gesellschaft zurückholen?
Nicht jeden kann man für die Demokratie zurückholen. Wir müssen es aber versuchen, soviele wie möglich für eine gelebte Demokratie zu begeistern. Gegen Bauchgefühl, individuelles Sicherheitsempfinden kommt man mit Zahlen und Statistiken leider nicht an. Parteien wie die AfD profitieren stark davon. Eins ist sicher: Angriffe auf Mandatsträger, Abgeordnetenbüros, Fahrzeuge usw. macht die rechten Parteien noch stärker. Diese Menschen erreicht man nur dann, wenn man schonungslos und tabulos auch die Fehler der Politik benennt und tragbare Konzepte für die Lösung präsentieren kann.
wbh: Warum haben deines Erachtens Menschen Angst vor „dem bösen schwarzen Mann“, vor Migrant*innen und Muslimen?
Die Frage ist, welche Erfahrungen man selber macht oder machen kann. Wenn man die „Ausländer“ nur von den Medien als messerstechende, dealende Kriminelle oder Terroristen kennt, eventuell selbst oder jemand im engen Familien- oder Freundeskreis negative Erfahrungen mit solchen Straftätern gemacht hat, dann wird schnell ein Weltbild gefestigt, wogegen sämtliche Landesprogramme gegen Rechts nicht mehr ankommen. Wir brauchen Räume der Begegnung, Anlässe positiven Kennenlernens. Es muss aber auch ein Wille und echtes Interesse der Gesellschaft da sein, sich dieser Angebote anzunehmen.
Meinst du, viele Menschen fühlen sich von Politiker*innen nicht entsprechend ihrer Meinung vertreten und abgeholt? Herrscht eine große Kluft zwischen Politiker*innen und Bürger*innen?
Ich habe im Landtag Politiker erlebt, die denken, sie wären eine andere „Gehaltsklasse“ als die Bürger. Zweitklassige Glücksritter aus dem Westen, die eine tiefe Verachtung gegenüber den „Ossis“ pflegen oder sie zumindest für unfähig und minderwertig halten und wie Elephanten im Porzellanladen hier im Land rumtrampelten.
Abgeordnete sind keine Götter oder keine kleine Könige, sondern Diener des Landes aus der Gunst der Wähler. Diese Demut muss bei jeder Entscheidung spürbar sein. Positiver Effekt ist nun, dass es viele erkannt haben. Ich wünsche mir auf jeden Fall einen neuen Politikstil, der transparent, ideologiefrei und lösungsorientiert über Parteiengrenzen hinweg im Interesse des Landes agiert.
wbh: In den sozialen Medien war zu lesen, dass man weniger auf die „Bedürfnisse“ der besorgten und Wutbürger*innen eingehen soll, sondern eher auf die unserer Jugend. Wie siehst du das?
In einer Demokratie sollen die Bedürfnisse möglichst aller Interessengruppen angemessen vertreten werden. Jedem muss ein Angebote gemacht werden, nicht nur denen, die am lautesten brüllen.
Genau diejenigen, die heute schweigen, braucht die Gesellschaft.
wbh: Wie wichtig sind Zivilgesellschaft und Zivilcourage?
Bildlich gesagt, unser Grundgesetz gibt den Rahmen vor, die Zivilgesellschaft füllt die Räume mit Leben und Courage ist der Kitt, wenn die Mauer Risse bekommt.
wbh: Wie können wir unsere Demokratie schützen und stärken?
Mit einer aktiven Gesellschaft, die unsere Werte schätzt und sie engagiert verteidigt.
wbh: Was verbindest du mit: Wir sind mehr!
Die Hoffnung auf eine funktionierende Demokratie, in der die Mehrheit für die Werte unseres Grunsgesetztes eintritt.
Als Ausländerbeiratsvorsitzender nahm ich stets an den Gegendemonstrationen zu PEGIDA teil. Wir waren vielleicht durchschnittlich um die Hundert Menschen, vor uns spazierten Tausende „Partrioten des Abendlandes“. Es war aber immer ein Gefühl da, dass wir mehr sind.
wbh: Was bedeutet für dich: Wir bleiben hier!
Dass jeder eine faire Chance bekommt, mitzugestalten.