„DIE DEMOKRATIE IST WEIBLICH“ – INTERVIEW MIT SCHWARWEL TEIL 1

Die nächsten Tage, bis zur #ltw19, stellen wir Sebastian Krumbiegel und Schwarwel Fragen zur Entstehung des Songs und Musikvideos „Die Demokratie ist weiblich“.
Beide Künstler geben uns aus ihrer Sicht Einblick in die Produktion, über die Entstehung und wie sie sich für die Stärkung unserer Demokratie einsetzen.

Wir wünschen euch viel Spaß beim Lesen.

wbh: Wie war deine Reaktion, als Sebastian dich anrief und dich fragte, ob du sein neues Video „Die Demokratie ist weiblich“-Video produzieren, schneiden und Regie führen möchtest?

Ganz ehrlich? Ich dachte: „Ach, du Scheiße!“

Nicht, weil ich Sebastian oder den Song nicht mag, sondern, weil ich aus Erfahrung weiß, was alles an so einer Produktion für vier Minuten dranhängt und dass es ein laaanger Weg ist, wenn man so eine ambitionierte Idee wie Sebastian hat: Ganz viele Leute singen lippensynchron zu einem Lied, um sich für Demokratie stark zu machen.

Wenn man ein dickes Budget, jede Menge Zeit und ein eingespieltes Team dafür zur Verfügung hat, ist das sicher realisierbar, aber von allen drei Sachen war am Anfang nichts da. Da war nur Sebastian mit seiner Idee, vor den Landtagswahlen in Sachsen, Thüringen und Brandenburg nochmal irgendwie Palermo zu machen und den Leuten den Rücken zu stärken, um sich im Alltag und an der Wahlurne für demoratische Grundwerte und gegen Menschenfeindlichkeit, Diskriminierung, Rassismus, Hass und Hetze zu stellen.

Da ich Sebastian als langjährigem Freund jedoch kaum etwas abschlagen kann und uns als Glücklicher Montag Demokratiearbeit in jedweder Form seit Jahren am Herzen liegt, haben Sandra und ich kurz unsere Studiokapazitäten gecheckt und dann Ja gesagt, wohlwissend, dass das ein heißer Ritt werden würde.

Die Arbeit im Schneideraum war von vorneherein das geringste Problem, da wissen ich und wir, was wir tun.

Die Herausforderung für Sebastian und uns bestand darin, die Mitmacher*innen anzufragen, ihnen kurz und präzise unsere Vorstellung ihres Parts vorzuschlagen und zu vermitteln, allen Text, Musik und unseren kurzgehaltenen Drehplan zu schicken – und dann die Ergebnisse per Datentransfer einzusammeln, damit wir alles schneiden und minimal aufhübschen können …

Das Video sollte von Anfang an rauh und authentisch rüberkommen, aber ein paar Qualitätsstandarts sind natürlich Pflicht: sendefähiges HD, alle Protagonist*innen müssen für die Rezipienten gut ausgeleuchtet und sofort klar erkennbar sein, die Textsicherheit muss stimmen … das war für uns drei ein gutes Stück Arbeit, weil wir bei keinem der Einzeldrehs mit dabei bzw. vor Ort waren. Das ging alles über WhatsApp, SMS, FB-Chat, E-Mail oder Telefon und wäre ohne die so oft geschltenen Neuen Medien gar nicht möglich gewesen.

Hut ab: Sebastian hat eine große Kondition und ein gerüttelt Maß an sturer Zielstrebgkeit dabei gezeigt, mit dem Großteil der im Video Auftretenden alles selbst abzukaspern, nachdem wir uns unseren Masterplan zurechtgelegt hatten. Er hat einfach alle angequatscht und immer wieder Leute neu motiviert, bspw. unbrauchbare Videoteile neu zu senden und er hat manche halbgare, unsichere Zusage in ein sendefähiges Ergebnis verwandelt, indem er sich nicht zu schade war, die Leute nochmal anzurufen, wenn sie ihren selbstorganisierten Dreh in ihrem eigenen Stress einfach nach hinten schieben mussten. Das lief in den allerallermeisten Fällen eins zu eins, ohne aufgeblasene Managementabteilungen, Zickenalarm oder wichtigtuerische Producer – denn das war vor Beginn der Produktion meine größte Sorge, weil sowas immer sehr viel Zeit und Nerven kostet und die Laune am Machen in den Keller zieht. Auf sowas habe ich keinen Bock mehr. Und deshalb war es großartig, dass unsere Videoproduktion ohne all solchen unnötigen Musikbranchenschmus ausgekommen ist.

Darin liegt für mich persönlich auch der wahre Wert von „Die Demokratie ist weiblich“: Die Mitmacher*innen haben auch hinter der Kamera gezeigt, dass es unkompliziert, menschlich, ohne großes Divagehabe und auf Augenhöhe miteinander funktioniert. Das war quasi gelebte Demokratie und so manches Gesicht im Video ist mir durch unsere Produktion sehr viel sympathischer geworden.

„Die Demokratie ist weiblich“ auf YouTube:
https://www.youtube.com/watch?v=cNtpOfSKSg4&feature=youtu.be&app=desktop&fbclid=IwAR3UVmv8GIGUQiafn4jQFU-voPWe3ljwdsuTSL-1BXWZhLM-ceJPv1MI2e

#wirbleibenhier #ddiw #sebastiankrumbiegel #schwarwel

„DIE DEMOKRATIE IST WEIBLICH“ – INTERVIEW MIT SEBASTIAN KRUMBIEGEL TEIL 1

Die nächsten Tage, bis zur #ltw19, stellen wir Sebastian Krumbiegel und Schwarwel Fragen zur Entstehung des Songs und Musikvideos „Die Demokratie ist weiblich“.
Beide Künstler geben uns aus ihrer Sicht Einblick in die Produktion, über die Entstehung und wie sie sich für die Stärkung unserer Demokratie einsetzen.

Wir wünschen euch viel Spaß beim Lesen.

wbh: Wie, wann und zu welchem Zeitpunkt bist du auf die Idee zu deinem #ddiw-Text gekommen?

Die Grundidee hatte eigentlich mein Vater, und das ist schon ein paar Jahre her. „Junge, schreib doch mal ein Lied über die Demokratie“. Ich sagte damals, dass das ein viel zu sperriges Thema ist, um daraus einen Popsong zu machen, aber irgendwann kam dann die Idee mit dem WEIBLICH-Wortspiel. So etwas kannst du nicht erzwingen, und ich bin sowieso nicht der Typ, der Lieder am Reißbrett entwirft. Ich denke, dass Songwriting auch etwas sehr Egoistisches ist. Ich selbst muss es gut finden, muss Fan sein von dem, was ich mache. Wenn ich darauf schiele, was anderen gefallen könnte, dann besteht die Gefahr, dass es – im sprichwörtlichen Sinne – gefällig wird. Ich glaube, die Leute habe ein gutes Gespür dafür, ob du „real“ bist, ob es authentisch ist, was du machst, oder ob du in eine Rolle schlüpfst. Ich kann da natürlich nur von mir selbst sprechen – andere sollen das so machen, wie es für sie funktioniert. Ich hab mal gelesen, dass Leonard Cohen jahrelang an „Hallelujah“ rumgeschraubt hat – und das ist einer der genialsten Songs, die ich kenne. Paul McCartney hat sein „Yesterday“ geträumt und dann sofort in kürzester Zeit geschrieben. Wie gesagt, es gibt da sicher verschiedene Wahrheiten. Ich bin, um auf die Frage zurückzukommen, auf jeden Fall froh, dass ich – bewusst oder unbewusst – auf den Rat meines Vaters gehört habe. Das sollte man wohl wirklich tun, solange es geht …

wbh: Wie verlief dein eigener persönlicher innerer und künstlerischer Weg bis zu deinem fertigen Text?
Ganz konkret nur der Zeitpunkt, bis du diesen Text/deinen Song für dich zu Papier gebracht hast.

Wenn die Idee gut ist, dann geht es bei mir eigentlich immer sehr schnell, dann fließt es fast automatisch raus. Ich nehme die Ideen immer mit meinem Handy auf, deswegen weiß ich auch noch sehr genau, dass dieses Lied am 30. Oktober letzten Jahres entstand. Das lustige daran ist, dass an diesem Abend Flo, der spätere Produzent des Liedes, den ich zu diesem Zeitpunkt noch gar nicht kannte, in Ilses Erika, meinem Lieblingsclub in Leipzig, gespielt hat. Eigentlich wollte ich, da hingehen, weil wir ihn mit seiner Band zum LEIPZIG ZEIGT COURAGE-Festival einladen wollten. Dann hab ich aber doch lieber selbst Musik gemacht, und rückblickend könnte man jetzt voll esoterisch sagen: Ein Zeichen – ein Zeichen – haha … Die Grundidee, der Refrain und die erste Strophe waren plötzlich da, und dann hab ich am nächsten Tag weitergemacht und eine Woche später war es fertig. Mein Freund Bernd Begemann sagte mal: „Lieder wollen geschrieben werden, sie kommen zu dir.“ und ich glaube, da ist was wahres dran. Wenn du dich tagelang mit einer Idee rumschlägst, dann ist sie scheinbar nicht wirklich gut. Die besten Lieder entstehen – jedenfalls bei mir – in kurzer Zeit. Es ist immer wieder ein kleines Wunder, wenn dann auf einmal ein fertiges Lied da ist, und das schönste ist, wenn du selbst es am nächsten Tag immer noch gut findest – und das allerschönste, wenn du nicht der Einzige bleibst, dem es so geht 😉

„Die Demokratie ist weiblich“ auf YouTube: https://www.youtube.com/watch?v=cNtpOfSKSg4&feature=youtu.be&app=desktop&fbclid=IwAR1PExOyDVbAhsCE_onDsK55m8uP3rwTYXbRhNzceFeY0i7HCq3DEdnwwZ8

#wirbleibenhier #ddiw #sebastiankrumbiegel #schwarwel

INTERVIEW MIT JEANNETTE HAGEN

wbh: Magst du unseren Leserinnen kurz von deiner Arbeit und deinem Leben erzählen.

In einem Interview wurde ich einmal gefragt, was mich antreibt. Drei Erfahrungen sind mir eingefallen, die heute mein Handeln maßgeblich bestimmen. Zum einen die Tatsache, dass ich meinen leiblichen Vater nicht kenne. Er verweigert bis heute den Kontakt zu mir. Das hat mich viele Jahre umgetrieben. 2015 habe ich ein Buch über das Thema Vaterentbehrung veröffentlicht. Im Zuge der Recherche ist mir deutlich geworden, wie viele Menschen unter Vaterentbehrung leiden und wie sehr dieses Thema, sozusagen aus dem Untergrund heraus, unsere Gesellschaft steuert und beeinflusst. Darum engagiere ich mich für Geschlechtergerechtigkeit, denn heute werden Väter den Kindern nicht mehr durch Kriege genommen, sondern durch Trennungen. Oft haben Väter auch keinen Bezug zu ihren Kindern, weil sie sich dem Vatersein nicht gewachsen fühlen. Es mangelt an liebevollen Vatervorbildern. Dafür ein Bewusstsein zu schaffen, ist mir ein großes Anliegen. Die zweite Erfahrung, die mich geprägt hat, ist die Ausreise aus der DDR am 09.02.1989 – also genau ein halbes Jahr vor dem Mauerfall. Davor lagen zweieinhalb Jahre Wartezeit, in denen ich von meiner Mutter getrennt war und in denen ich viele der Repressalien, mit der eine Diktatur aufwartet, zu spüren bekam. Das ist der Grund, warum ich mich heute sehr aktiv für Menschenrechte und für Freiheit einsetze. Momentan besonders für Menschen, die aus ihren Ländern fliehen mussten, weil dort Krieg herrscht oder die wirtschaftlichen Verhältnisse so katastrophal sind, dass ein stabiles Leben nicht gegeben ist. Als Helferin war ich 2016/17 auf Lesbos und in Idomeni und ich habe gemeinsam mit meinem Mann einen Hilfsgütertransport nach Griechenland organisiert. Weitergeführt wird mein Engagement durch die Firmengründung von „Kunst für Demokratie gUG“ und meine Rednerauftritte. Für mich gilt das Grundgesetz und die Menschenrechtskonventionen. Jeder Mensch ist gleich und jeder Mensch hat das Recht, dorthin zu gehen, wo er sein, sich entwickeln und ein lebenswürdiges Leben aufbauen kann. Die dritte Antriebskomponente ist meine Liebe zur Natur, zur Sprache, zu den Menschen, zur Kunst – zum Leben an sich. Für mich ist dieses Leben ein Geschenk, das ich voller Demut annehme und gestalte. Es schmerzt mich zu sehen, wenn Menschen ihr Potential nicht leben können und wie sie die Erde und sich selbst zerstören. Tief im Kern sind wir alle liebende Wesen und was es braucht, um an diesen Kern zu kommen, ist ein innerer Kompass. Manche nennen ihn Würde, andere Selbstermächtigung oder Selbstverantwortung. Menschen an diesen Kern zu führen – sei es durch das, was ich sage, schreibe oder anstoße –, liegt mir sehr am Herzen. Ich bin ein Mensch, der die Vision hat, dass wir es gemeinsam schaffen, diese Erde zu einem friedlichen und liebevollen Ort für alle zu gestalten. Ganz ohne Ressourcen-Verschwendung, Umweltverschmutzung, Krieg und Ausbeutung. Das zu erreichen, dafür stehe ich jeden Morgen auf.

wbh: Wo bist du aktiv, wofür engagierst du dich und trittst du ein?

Um mich einzubringen, meinen Ideen Gestalt zu geben und Haltung zu zeigen, habe ich 2018 das Unternehmen „Kunst für Demokratie“ gegründet. Für mich ist Kunst ein wichtiges Mittel, um Botschaften zu transportieren. Sie steht für mich für Freiheit und der Grad der Kunstfreiheit sagt viel über eine Gesellschaft aus. Neben dem Unternehmen, das es aufzubauen gilt, bringe ich mich mit meinen Texten und auch in den sozialen Medien ein. Ich will die vielen Hassbotschaften nicht stehenlassen. Ich versuche zu argumentieren und mich für Demokratie und Meinungsfreiheit einzusetzen.

wbh: Wie fühlt es sich an, in Sachsen Politik aktiv mitzugestalten?

Ich lebe zwar in Berlin, bin aber in Dresden geboren und nach und wie vor eng mit der Stadt verbunden. Eigentlich wollte ich ein Programm in Dresden auf die Beine stellen, aber die Förderung gestaltet sich schwierig. Ich habe den Eindruck, dass vielen Entscheidern nicht bewusst ist, wie schmal der Grad der Demokratie ist.

wbh: Warum ist es wichtig, dass sich jeder mit Politik beschäftigt und diese aktiv mitgestaltet und wie?

Ein befreundeter Fotograf hat neulich gesagt, dass wir einfach nicht mehr unpolitisch sein können. Ich sehe das genauso. Wir stehen an einem Scheideweg. Die Entwicklungen in den USA, in Italien und Ungarn zeigen, wie schnell eine Gesellschaft kippen kann, was Hass und Hetze anrichten. Ich glaube auch, dass es uns einfach gut tut, Gestalter zu sein. Wie viele haben in den letzten Jahren über „die da oben“ gejammert, weil sie „alles entscheiden“. Dabei liegt es doch an uns mitzuentscheiden. Wir sind doch nicht auf dieser Welt, um uns von anderen den Weg bereiten zu lassen. Wir sind ausgestattet mit Kopf und Herz und können uns einbringen. Das als Geschenk und als Möglichkeit zu sehen, wäre schon mal ein Anfang. Einbringen kann man sich auf vielen Ebenen. Muss ja nicht immer die große Sache sein. Ob im Haus, in der Straße, im Bezirk, der Stadt oder überregional – es gibt Möglichkeiten ohne Ende.

wbh: Wie kann man die Themen Politik, Beschäftigung mit Demokratie und unseren Grundwerten stärker ins Bewusstsein der Öffentlichkeit bringen?

Für mich fängt das schon in der Schule an. Nicht unbedingt, indem man in Geschichte Daten paukt, sondern indem Geschichte lebendig vermittelt wird. Daneben sind die kreativen Fächer wie Kunst und Musik von großer Bedeutung, denn hier geht es auch um das Gestalten, darum, etwas zu kreieren, seiner Phantasie freien Lauf zu lassen. Dass so etwas benotet wird, ist ein Fehler, denn dadurch verlieren viele Menschen das Gespür für die eigene Kreativität und die Selbstwirksamkeit. Gleichzeitig fördert Kunst Empathie, baut Brücken und zeigt uns, was Vielfalt bedeutet. Neulich habe ich einen Satz von einem Mediziner gelesen: „Wer gemeinsam musiziert, schreibt danach keine Hassbotschaften“ im Netz. Davon bin ich überzeugt.
Wir stecken in einer ziemlich schwierigen Phase, in der sich scheinbar alles neu sortiert. Auch in der Politik, der Wirtschaft und in den Medien. Die alten Strukturen greifen nicht mehr und was kommt, weiß keiner so richtig. Da spielen Ängste eine große Rolle und sie abzubauen, wieder Zuversicht zu säen, ohne wieder das Rundumsorglospaket zu versprechen, was es einfach nicht gibt, ist eine Aufgabe.

Was ist unser Erbe, was ist unsere Zukunft?

Unser Erbe ist vielfältig. Da kommt alles zusammen und wir tun gut daran, es zu schätzen. Denn auch in der grausamen Vergangenheit liegt etwas, von dem wir lernen können – es anders, besser zu machen. Wir spüren das jetzt aktuell, wie viele Menschen „Nie wieder“ sagen und sich einsetzen. Mir macht das Mut. Mir machen auch die Fridays for Future-Demonstrationen Mut. Ich kann nicht sagen, ob wir es schaffen, den Klimawandel aufzuhalten oder unsere Demokratie stabil zu halten. Wir sehen ja, wie schnell Stimmungen kippen. Aber ich hoffe und wünsche natürlich, dass es uns gelingt, den Wandel zu gestalten. Dass wir trotz Digitalisierung und den rasanten Veränderungen und Herausforderungen mutig und Mensch bleiben. Uns darauf besinnen, dass es etwas gibt, was Algorithmen nicht können – gemeinsam etwas zu gestalten. Co-kreativ zu sein.

wbh: Was wünschst du dir für ein besseres menschliches Miteinander?

Ich wünsche mir, dass es uns wieder gelingt, einen Zugang zu unseren Gefühlen zu schaffen. Wenn ich mich frage, wie es mir geht, dann geben mein Körper und mein Gehirn mir eine Rückmeldung in Form von Gefühlen. Wir wissen eigentlich ganz genau, was wir brauchen, was uns gut tut, was moralisch rechtens ist und was nicht. Wir besitzen einen inneren Kompass, aber wir benutzen ihn zu selten oder gehen über seine Angaben hinweg. Wir würden keine Menschen auf dem Mittelmeer ertrinken lassen, wenn wir auf den Kompass hören würden. Wir würden auch keine Kriege führen. Ich wünsche mir, dass Kinder schon lernen, wie man diesen Kompass benutzt. Dann regelt sich ein besseres menschliches Miteinander von selbst. Dann sind wir weniger verführ- und manipulierbar.

wbh: Was bedeuten für dich Freiheit, Schutz der Menschenwürde und Gleichberechtigung?

Ich habe es eingangs, als ich von mir erzählt habe, ja schon geschrieben. Im Grunde sind diese Werte mein Motor. Ich möchte in einer Gesellschaft leben, die diese Werte garantiert, und da wir hier in Deutschland an diesem Punkt auch Nachbesserungsbedarf haben, setze ich mich aktiv dafür ein. Der Liedermacher Reinhard Mey singt in einem Lied: „Freiheit nutzt sich ab, wenn du sie nicht nutzt.“ So ist es. Man muss natürlich immer wieder neu verhandeln, was das eine oder andere bedeutet. Wie es definiert wird. Das ändert sich in Gesellschaften ja auch. Also: dranbleiben!

wbh: Wie wichtig sind Kunst und Kultur, Bildung, Medienkompetenz, Soziales, Jugendhäuser und psychologische Betreuung für unser Zusammenleben?

Dazu habe ich jetzt schon einiges gesagt. Für mich ist es unverständlich, dass ausgerechnet an diesen Punkten so oft der Rotstift angesetzt wird, wenn es um die Haushaltsverteilung geht. Gerade jetzt, wo auch Erwachsene an vielen Stellen unsicher sind, selbst Angst haben, ist es wichtig, Kinder und Erwachsene zu stärken. Das passiert eben nicht von selbst in einer Welt, die sich so rasant verändert. Da braucht man Leitplanken.

wbh: Im Hinblick auf die Landtagswahl im Sep 2019: Was kann jeder Bürgerin aktiv tun, um dem Rechtsruck mit demokratischen Mitteln entgegenzuwirken?

Ich glaube, dass man den größten Einfluss im engen Kreis der Verwandten und Bekannten hat. Dort bei Diskussionen nicht einzuknicken oder zu schweigen, sondern Haltung zu zeigen, ist wichtig. Das ist anstrengend, aber wirksam. Politisch zu sein, demokratische Parteien nicht nur durch die Wahl, sondern vielleicht auch durch eine Mitgliedschaft zu unterstützen, ist auch ein Weg. Undemokratische Kräfte wird es wohl immer geben. Die Frage ist, wie viele ihnen gegenüberstehen.

wbh: Was sind deines Erachtens in Sachsen und Brandenburg die Gründe für den Aufstieg der AfD bei der Europa- und Kommunalwahl?

Man liest ja immer von den „Abgehängten“. Da ist etwas dran – zumindest in den ländlichen Regionen und in einigen Kleinstädten ist viel verlorengegangen: Kulturangebote, Ärzte, Jugendeinrichtungen etc. Dazu kommt, dass es auch in der DDR Rassismus gab. Die Angst vor dem „Fremden“ und vor Veränderungen ist kein neues Phänomen. Dann die Wende, die vielen gebrochenen Biografien – da liegt einfach noch so viel Frust und Wut –, da konnte die AfD mit ihren einfachen Parolen schnell punkten. Die Menschen haben Angst vor der Zukunft, vor all dem, was heute ungewiss ist. Viele erkennen den Wert von Demokratie nicht, sondern sehen eher, dass sie das eigene Leben irgendwie einschränkt. Für sie gilt die Gleichung: Demokratie=Politik=„die da oben“= schlecht. Diese Stimmungslage nutzt die AfD geschickt aus.

wbh: Angenommen, die AfD zieht in Sachsen zur Landtagswahl mit den gleichen Ergebnissen wie nach der Europa- und Kommunalwahl in den Sächsischen Landtag ein, welche Auswirkungen kann das für die Gesellschaft, Politik, Kunst und Kultur, Bildung und Soziales haben?

Das steht ja in ihrem Programm, was dann folgt. Im Grunde wollen sie das Rad zurückdrehen und viele demokratische Errungenschaften wieder abschaffen. Für mich ist das die Horrorversion. Gleichschaltung, Einschränkung der Freiheit, Diktatur, Kultur nur das, was der AfD passt, Abschaffung der freien Kunst- und Kulturszene.

wbh: Wie kann man Demokratie-Initiativen und Protagonistinnen vor Ort aktiv unterstützen und ihr Engagement stärken?

Durch Aktionen wie diese. Durch Lieder, wie das aktuelle von Sebastian Krumbiegel. Durch Aktionen und Projekte, die den Wert von Demokratie aufzeigen und deutlich machen. Durch Gegenproteste, wenn PEGIDA oder andere undemokratische Vereinigungen marschieren. Durch „Gesicht zeigen“. Durch Haltung in den sozialen Medien. Durch Spenden und immer wieder dadurch, dass man Mut macht und zeigt, dass wir zusammenstehen.

wbh: Wie kann man Nichtwählerinnen erreichen, damit sie wählen gehen?

Vermutlich auch nur, indem man in seinem eigenen engeren Kreis mit den Menschen redet. Ich glaube nicht, dass man das durch Zeitungsartikel oder Reden „von der Kanzel“ erreicht. Wir müssen uns gegenseitig davon überzeugen, dass Demokratie und damit auch das Wahlrecht Errungenschaften sind, die nicht vom Himmel gefallen sind, sondern für die andere ihr Leben gelassen haben. Dass es ein Privileg ist, wählen zu dürfen. Ich erinnere mich gut an die Zeit in der DDR, als man obligatorisch sein Kreuzchen gemacht hat, aber im Grunde genau wusste, dass das bedeutungslos ist. Heute haben wir eine Stimme, können Richtungen bestimmen, Gesellschaften gestalten. Ich denke, dass das Argumente sind, mit denen man überzeugen kann.

wbh: Wie kann man Menschen, die sich benachteiligt und abgehängt fühlen, bspw. Menschen, die nach dem Mauerfall viel verloren haben, Angst um ihre Existenz und vor Überfremdung haben, erreichen und in die Gesellschaft zurückholen?

Das ist eine schwierige Aufgabe. Und die Aufarbeitung dieser Zeit kommt meines Erachtens zu spät. Ich glaube nicht, dass man diese Generation, die wirklich viel verloren hat, noch erreicht. Ich weiß das aus meinem eigenen Familienkreis. Da herrscht so viel Verbitterung, da ist so viel verloren – das kann man nicht zurückgeben oder mit schönen Worten kitten. Da braucht es fast den berühmten Kniefall – aber wer sollte den machen? Dazu kommt, dass so ein Prozess, also das Verzeihen und „aus der Opferrolle heraustreten“ von denen ausgehen muss, die es betrifft. Es muss der Wille da sein, neu anzufangen und die Vergangenheit hinter sich zu lassen. Leider haben sich viele im Opfermodus eingerichtet und sich damit identifiziert. Das ist keine Wertung – ich wüsste auch nicht, wie es mir ergehen würde, wenn ich in dieser Situation wäre. Ich will nur sagen, dass es dafür sicher keinen Schalter gibt, den man einfach drehen kann. Da spielen psychologische Muster mit hinein, die man eigentlich therapeutisch bearbeiten müsste. Aber wie ich schon sagte: Da muss auch der Wille vorhanden sein, sich mit diesen Tatsachen auseinanderzusetzen und den Schmerz zuzulassen, der hinter der Wut sitzt und der wirklich berechtigt ist.

wbh: Warum haben deines Erachtens Menschen Angst vor „dem bösen schwarzen Mann“, vor Migrantinnen und Muslimen?

Die Angst vor dem Fremden sitzt tief in uns. Ich habe als Kind noch das Spiel „Wer hat Angst vorm schwarzen Mann“ gespielt. Diese Angst wurde von Generation zu Generation weitergegeben. Wie bei allen Ängsten hilft Konfrontation – also die Begegnung. Je weniger die Möglichkeit vorhanden ist, sich zu begegnen, desto größer die Angst. Wir sehen das daran, dass der Fremdenhass in Gegenden, wo kaum Migrant*innen leben, deutlich ausgeprägter ist, als in Städten wie Berlin. Dazu kommt, dass die Geflüchteten den Menschen hier auch einen Spiegel vorhalten. Sie hatten den Mut, ein neues Leben zu beginnen, alles aufzugeben, sich auf den Weg zu machen. Das steht natürlich im krassen Gegensatz zu dem hier vorherrschenden Gefühl, dass man nichts ändern kann, dass sowieso alles von oben bestimmt wird, dass das Leben schon vorbei ist und die Chancen verpasst sind. Da wird der eigene Frust auf jene projiziert, die unfreiwillig das getan haben, was man vielleicht selbst immer tun wollte: aufbrechen und von vorn beginnen.

wbh: Meinst du, viele Menschen fühlen sich von Politikerinnen nicht entsprechend ihrer Meinung vertreten und abgeholt? Herrscht eine große Kluft zwischen Politikerinnen und Bürgerinnen?

Auf jeden Fall. Das ist für mich auch eine Achillesferse der Demokratie, denn in dem Moment, da ich einem anderen sozusagen die Vollmacht übertrage, mein Leben (im übertragenen Sinne) zu regeln, besteht natürlich auch sofort die Gefahr, dass ich ihn für alles verantwortlich mache, was schief läuft. Gleichzeitig kann ich mich selbst natürlich ausruhen und sagen, dass der ja dafür bezahlt wird, alles zu regeln. Darum ist es so essentiell, die Menschen in Prozesse einzubinden. Ihnen das Gefühl zu vermitteln, dass sie mitgestalten können. Wenn Gesetze „durchgepeitscht“ werden und das gegen eine breite Mehrheit in der Bevölkerung, dann hinterlässt das Frust. Da gibt es auch in Deutschland Nachbesserungsbedarf. Demokratie ist eben auch nichts, auf dem man sich ausruhen kann.

wbh: In den sozialen Medien war zu lesen, dass man weniger auf die „Bedürfnisse“ der besorgten und Wutbürgerinnen eingehen soll, sondern eher auf die unserer Jugend. Wie siehst du das?

Ja, das ist auf jeden Fall so. Besonders wenn es um Entscheidungen in Sachen Klima geht. Selbst meine Generation wird kaum noch erleben, was 2050 ist. Wir wissen aber bereits seit Jahren, dass sich die Verhältnisse auf dieser Welt bis dahin rasant ändern werden, wenn wir jetzt nicht handeln. Wir können die Zeit nicht zurückdrehen, so wie sich das einige wünschen. Ich bin jedenfalls sehr dankbar dafür, dass die Jugend wieder politischer ist, als das viele in meiner Generation sind oder waren.

wbh: Wie wichtig sind Zivilgesellschaft und Zivilcourage?

Sie sind die Basis für eine gelingende Demokratie. Ohne die Zivilgesellschaft oder Zivilcourage landen wir in der Diktatur. Sie sind das Korrektiv und der Motor gleichzeitig. Wir sehen das jetzt, wenn es um die Seenotrettung geht. Die Politik trifft Entscheidungen, die gegen Würde, Menschlichkeit, Humanität und auch gegen eigene Gesetze verstoßen. Die Zivilgesellschaft wehrt sich dagegen: mit Demonstrationen, Aktionen und privaten Seenotrettern. Sie macht auf Missstände aufmerksam und die Demokratie gibt ihnen den Rahmen dafür. Es ist immer wieder ein Austarieren der Kräfte. Das macht Demokratie manchmal langsam, aber es ist unverzichtbar.

wbh: Wie können wir unsere Demokratie schützen und stärken?

Indem wir uns immer wieder bewusst machen, wie wir leben wollen. Für mich reicht ein Blick nach China, in die Türkei oder in meine eigene DDR-Vergangenheit, um zu wissen, dass ich nie mehr in einem Land leben möchte, in dem eine Diktatur herrscht. So argumentiere ich auch, wenn es zu Gesprächen über die Situation in unserem Land kommt. Ich weiß, dass es viele Menschen gibt, denen es nichts ausmacht, von oben regiert zu werden. Die es sogar schätzen, wenn alles vorgegeben ist, man einfach sein Leben innerhalb von geregelten und festgesurrten Bahnen leben kann, ohne sich Gedanken machen zu müssen. Das ist aber eine Mentalität, die mir persönlich fremd ist, weil schon ein Schritt in eine andere Richtung bedeuten würde, dass man sich strafbar macht. Das finde ich absurd und ich werde auch nicht müde, das so zu sagen. Wer Freiheit will – und für Freiheit haben wir 1989 gekämpft –, der muss sich auch einbringen, muss sich für sie stark machen. Und ich komme immer wieder darauf zurück, dass wir das in unserem persönlichen Umfeld tun müssen. Und wer die Möglichkeit hat, den Rahmen größer zu stecken, weil er oder sie prominent ist, der sollte das tun. Ich will nicht, dass eine für mich durch und durch undemokratische Partei noch mehr Land gewinnt. Also sage ich das und unterstütze oder initiiere Projekte, die das ebenfalls nicht wollen.

Was verbindest du mit: Wir sind mehr!

Ich verbinde damit das Gefühl, von einer Idee getragen zu sein, die größer ist als ich. Die viele Menschen umfasst. Ich weiß, dass wir, also die demokratischen Kräfte, in der Mehrheit sind. Ich weiß aber auch, dass das fragil ist. Das hat die Geschichte gezeigt. Also verbinde ich mit dem Satz auch, dass wir uns dessen immer wieder vergewissern müssen – sei es durch Aktionen, Demonstrationen oder durch Kommunikation in den Sozialen Netzwerken.

wbh: Was bedeutet für dich: Wir bleiben hier!

Ich verbinde damit, dass wir den undemokratischen Kräften nicht weichen werden. Das bezieht sich nicht nur auf Brandenburg oder Sachsen, wo jetzt die Wahlen anstehen. Ich verbinde damit, dass wir nicht müde werden, die Lügen und Manipulationen aufzudecken, die von der AfD und ihren Anhängern verbreitet werden. Dass wir auch nicht müde werden, uns für Humanität, Demokratie und Freiheit einzusetzen.

INTERVIEW MIT ULRIKE GEISLER

wbh: Wo bist du aktiv, wofür engagierst du dich und trittst du ein?

Aktuell arbeite ich beim Institut B3 e.V. als Leiterin eines Modellprojektes, welches sich mit Gewaltphänomenen im urbanen Raum, speziell Leipzig, beschäftigt. Als Historikerin finde ich dabei die Wirkungsmacht von tradierten Narrativen unheimlich spannend, die ich mit diebischer Freude irritiere und hinterfrage. Ist wohl eine Art Berufskrankheit.
Mir ist bei all meinem Tun wichtig, unterschiedliche Sphären der Gesellschaft miteinander in Kontakt und in Austausch zu bringen. Dabei bin ich gemeinsam mit meinem Mann in verschiedenen Welten zu Hause, von tiefster Subkultur bis hin zu staatlichen Förderstellen. Ich liebe die Gegensätze und die Spannungen, die daraus hervorgehen können, wenn man diese Welten zusammenbringt. Aktuell organisieren wir zum Beispiel ein Festival zum DDR-Underground in Leipzig, das sich „Heldenstadt anders“ nennt.

wbh: Warum ist es wichtig, dass sich jede*r mit Politik beschäftigt und diese aktiv mitgestaltet und wie?

Ich finde, es gibt kein Patentrezept á la: Mache dies und mache das und dann herrscht Friede, Freude, Eierkuchen. Politik lebt von den Konflikten der unterschiedlichen Interessen. Gute Politik davon, dass alle Interessen gleiche Chancen haben, gehört zu werden. Und Spannungen auch mal ausgehalten und angeschaut werden.
Es ist daher sehr wichtig, dass nicht Populisten den öffentlichen Diskurs bestimmen, sondern gemäßigte Positionen genauso vertreten sind. Ansonsten übertreten wir schnell die Grenzen des Sag- und Denkbaren und unterhöhlen Stück für Stück die Regeln unseres Zusammenlebens. Daher finde ich es strategisch klug, dass wir nicht über jedes Stöckchen der Populisten springen, sondern ihnen mit Haltung begegnen. Zumal die schweigende(?) Mehrheit der sächsischen Bevölkerung Rassismus und Unwertigkeit gerade nicht vertritt. Es ist wichtig, dass diese Mehrheit laut wird, Raum einnimmt und Grenzen aufzeigt. Hier ist jeder Einzelne gefragt und wichtig. Oft entstehen daraus kreative und beeindruckende Lösungen.
Für mich persönlich heißt Aktivwerden in erster Linie, dass ich selbst vor meiner eigenen Haustür schaue: Wo kann ich – persönlich – etwas verändern? Wenn ich die Hände in den Schoß lege und dabei anderen erkläre, was sie zu tun und zu lassen haben, würde ich mich unglaubwürdig fühlen.

wbh: Was wünschst du dir für ein besseres menschliches Miteinander?

Es wäre sicher viel gewonnen, wenn wir als Bürger*innen empathisch miteinander umgehen. Die meisten Konflikte eskalieren nicht aus Bösartigkeit, sondern aus Fahrlässigkeit und Gleichgültigkeit. Ich wünsche mir hauptsächlich gegenseitigen Respekt und Toleranz für die menschlichen Unzulänglichkeiten und Ambivalenzen. Und eine klare Kante, wenn unsere demokratischen Prinzipien angegriffen und unterhöhlt werden.

wbh: Im Hinblick auf die Landtagswahl im Sep 2019: Was kann jede*r Bürger*in aktiv tun, um dem Rechtsruck mit demokratischen Mitteln entgegenzuwirken?

Ich bin mir gar nicht sicher, ob wir in der sächsischen Gesellschaft wirklich einen Rechtsruck erleben. Die Einstellung in den Köpfen, dieser typisch sächsische Konservatismus und die – Verzeiht mir den Ausdruck! – Obrigkeitshörigkeit, gibt es doch nicht erst seit fünf Jahren. Als ehemals bunthaarige Jugendliche, die vor gut zwanzig Jahren ihre Jugend in Dresden verbracht hat, weiß ich, wovon ich rede. Im öffentlichen Diskurs sind sie nur zunehmend sichtbar geworden, weil unsere Debatten sich polarisieren. Das ist ein langwieriger Prozess. PEGIDA und Co haben dazu geführt, dass die Leute heute unverhohlener sagen, was sie früher eher still dachten. Die Leute, die früher am Stammtisch vor zehn Leuten ihre Parolen grölten, fühlen sich nun sicher und vermeintlich im Oberwasser. Das lässt sie lauter schreien und sie bekommen viel Aufmerksamkeit. Und dann gibt es noch die Menschen, die diese Entwicklung für ihre Zwecke instrumentalisieren. Ich glaube, es hilft nur, wenn wir als Bürger*innen zu einer Haltung finden, mit der wir Populisten und Schreihälsen begegnen können. Wenn ich mir klar darin bin, wo meine Grenze ist, wofür ich stehe, dann haut mich auch so ein dreister Schreihals (m/w/d) nicht so schnell aus der Bahn.
Ich sehe zwei unterschiedliche Ebenen: In den politischen Debatten würde ich mir wirklich mehr Souveränität und weniger Panik von Seiten der etablierten Parteien wünschen. Es kann doch nicht sein, dass demokratische Parteien den Populisten teilweise zum Munde reden, in der Hoffnung, damit ein paar Stimmen abzugraben!
In den gesellschaftlichen Debatten wünsche ich mir mehr Visionen, mehr positiven Input: Wie wollen wir leben? In was für einer Gesellschaft wollen wir leben? An dieser Stelle können Kunst und Kultur einen wichtigen Beitrag leisten. Und ich sehe Institutionen wie beispielsweise die Kirchen in der Pflicht, ihre Stimme mutig zu erheben und ihren Einfluss gerade in konservative Kreise geltend zu machen und nötige Debatten zu führen.

wbh: Warum haben deines Erachtens Menschen Angst vor „dem bösen schwarzen Mann“, vor Migrant*innen und Muslimen?

Es gibt dazu viele Theorien und schlüssige Erklärungen. Natürlich ist es wichtig, das zu analysieren. Und noch wichtiger finde ich die Frage: Wie gehen wir damit um?

wbh: Wie können wir unsere Demokratie schützen und stärken?

Demokratie ist nicht einfach ein Staat oder ein Zustand. Demokratie ist eine facettenreiche Methode, Konflikte zu lösen und gemeinsame Regeln zu finden. Demokratie ist ein langwieriger Prozess. Demokratie müssen wir alle aktiv machen: Hinschauen, Haltung entwickeln und Konflikte aushalten und aushandeln. Für unsere Rechte eintreten und für diese auch gegebenenfalls „kämpfen“.

wbh: Was bedeutet für dich: Wir bleiben hier!

Der Slogan passt für mich gefühlt nicht so richtig, weil darin die unausgesprochene Frage steht, ob ich gehen möchte. Ich bin in Sachsen geboren. Ich lebe hier. Und ich sehe nicht ein, auch nur einen Fußbreit an Rechtspopulist*innen, Rassist*innen und Dummköpfe abzugeben. Gott sei Dank bin ich dabei nicht alleine! Ich lerne jeden Tag viele nette, große, kleine, kluge, manchmal anstrengende Menschen kennen, die sich jeder auf seine Weise dafür einsetzen, dass wir hier gut leben können.

INTERVIEW MIT HOLGER MANN

wbh: Magst du unseren Leser*innen kurz von deiner Arbeit und deinem Leben erzählen.

Ja, ich gebe da gern Einblicke und bitte nur um Verständnis, dass ich meine Familie vor zu viel Öffentlichkeit schütze.

wbh: Wo bist du aktiv, wofür engagierst du dich und trittst du ein?

Aktiv bin in als Vorsitzender der Sozialdemokrat*innen in Leipzig und derzeitig auch als Mitglied der SPD-Landtagsfraktion in Sachsen. Ich engagiere mich in mehreren Bildungs- und Bürgervereinen. Ersteres, weil ich davon überzeugt bin, dass Bildung ein Menschenrecht ist und diese für Chancengerechtigkeit unverzichtbar ist. In den Bürgervereinen Gohlis und Möckern-Wahren arbeite ich mit Menschen zusammen, die ihre Umgebung gemeinsam gestalten wollen und den Dialog suchen. Beides braucht es, damit der Leipziger Norden noch lebenswerter wird.
Weniger aktiv, aber aus tiefer Überzeugung unterstütze ich mit Mitgliedschaft und Beiträgen seit mehr als 20 Jahren u. a. die Gewerkschaft ver.di oder den Bund für Umwelt und Naturschutz.

wbh: Wie fühlt es sich an, in Sachsen Politik aktiv mitzugestalten?

Das kommt auf den Tag an und die Thematik. Nicht immer erreicht man so viel wie in den letzten vier Jahren bei Lehrer*innen, KiTas, Schulhausbau, Forschung oder Digitalem. Immer mehr Menschen haben eine latente Lust auf Anarchie und Schwarzmalerei. Ich habe aber gelernt, dass man mit der richtigen Mischung aus Entschlossenheit, Engagement und Kompromissbereitschaft viel bewegen kann, auch wenn man keine 50% hinter sich hat. Das gibt Kraft für mehr.

wbh: Warum ist es wichtig, dass sich jede*r mit Politik beschäftigt und diese aktiv mitgestaltet und wie?

Zunächst geht unser Gemeinwesen alle an und nur so kann jede*r mitgestalten. Ich höre öfter: Das entscheiden doch eh „die da oben“. Ich sage dann immer: Nur wenn ihr sie entscheiden lasst. Meist gehen genau die Menschen nicht zur Wahl, die Unterstützung des Staates am Nötigsten hätten. Dabei kann in unserer Republik jede*r über 18 wählen und gewählt werden oder auf andere Art und Weise selbst politisch aktiv werden.
Ich selbst habe mehrfach – auch schon vor dem Mandat – die Erfahrung gemacht, dass man als Einzelner Diskussionen anstoßen oder Mitstreiter*innen für neue Ideen begeistern kann.

wbh: Wie kann man die Themen Politik, Beschäftigung mit Demokratie und unseren Grundwerten stärker ins Bewusstsein der Öffentlichkeit bringen?

Dialog und Debatte, Transparenz und Verlässlichkeit sind hier die Begriffe, die mir zuerst einfallen. Zudem ist die praktische Erfahrung bei einer Entscheidung mitgewirkt, einen Kompromiss vermittelt oder ein Verwaltungshandeln verändert zu haben, unersetzlich. Demokratie muss man erleben und gestalten können, nur so werden wir sie stärken.

wbh: Was ist unser Erbe, was ist unsere Zukunft?

Puh, sehr viel. In jedem Fall eine vielfältige Kultur und eine große, wenn auch nicht immer stolze Geschichte. Zudem ein Gemeinwesen das Chancen und Möglichkeiten bietet, sich zu verwirklichen, wie es sonst nur einem kleinen Teil der Menschheit auf der Welt möglich ist.

Wie die Zukunft wird, hängt davon ab, wie wir alle unsere Freiheiten nutzen. Ich arbeite dafür, dass wir sie zum Wohle der Gemeinschaft und in fairem Ausgleich einsetzen. Andere streiten für das Recht des Stärkeren. Die Zukunft ist also offen.

wbh: Was wünschst du dir für ein besseres menschliches Miteinander?

Das viele wieder lernen, sich gegenseitig zuzuhören und nach gemeinsamen Fortschritten suchen, anstatt sich nur in Selbstgewissheit zu ergehen.

wbh: Was bedeuten für dich Freiheit, Schutz der Menschenwürde und Gleichberechtigung?

Wie schon gesagt, sehr viel. Freiheit ist Verpflichtung und Chance zugleich. Menschenwürde beginnt mit Respekt vor der oder dem Anderen, mit Austausch auf Augenhöhe und hört bei der Durchsetzung von materiellen Rechten, wie dem Recht auf Bildung, Wohnen oder soziale Sicherheit, nicht auf.

Für Gleichberechtigung streiten wir stetig, am stärksten sicher für die zwischen den Geschlechtern und wollen hier zum Beispiel die Parität im Parlament durchsetzen.

wbh: Wie wichtig sind Kunst und Kultur, Bildung, Medienkompetenz, Soziales, Jugendhäuser und psychologische Betreuung für unser Zusammenleben?

Sehr, deshalb setze ich mich seit langem für Chancengerechtigkeit ein, versuche im entsprechenden Landtagsausschuss Menschen über gute Bildungs- und breite Kulturpolitik zu unterstützen. In Jugendhäusern und -verbänden habe ich selbst ein politisches Bewusstsein entwickelt, die ersten Erfahrungen mit Sub- und Soziokultur gesammelt und die Chance bekommen mich ehrenamtlich einzubringen. Das ist bzw. sollte heute nicht anders sein.

wbh: Im Hinblick auf die Landtagswahl im Sep 2019: Was kann jede*r Bürger*in aktiv tun, um dem Rechtsruck mit demokratischen Mitteln entgegenzuwirken? 

Zunächst am 1. September eine der zahlreichen sozial-orientierten Parteien wählen, gern auch mit anderen diskutieren und dafür werben. Als Kandidat im Leipziger Norden freue ich mich über jede Wahlkampfunterstützung, das dürfte anderen in Parteien nicht anders gehen. Daneben gibt es viele kleine und mit „unteilbar“ auch eine große Initiative, die dafür wirbt. Kurz: Augen auf, Po hoch, in Wahlprogramme lesen oder den Wahl-o-mat nutzen, in jedem Fall die eigene Stimme nutzen!

wbh: Was sind deines Erachtens in Sachsen und Brandenburg die Gründe für den Aufstieg der AfD bei der Europa- und Kommunalwahl?

Die Entsolidarisierung der Gesellschaft, das Werben um die Wähler*innen der NPD und DVU, der Wunsch vieler Menschen nach Veränderung, ohne zu reflektieren, was die AfD in Regierungsverantwortung für ihr Leben selbst bedeuten würde. Zu guter Letzt auch, dass die Demokratie noch zu wenig Unterstützung hat. Damit meine ich die noch kurze Erfahrung mit Parlamentarismus, die vergleichsweise schwachen Parteien, aber auch gesellschaftspolitisch tätige Vereine und Verbände.
Zu guter Letzt natürlich auch viele gefühlte und objektive Ungerechtigkeiten, für welche die AfD geschickt Sündenböcke aufbaut.
Meiner Meinung nach auch, dass zu viel über die AfD geredet und berichtet wird. Das steht in keinem Verhältnis zu ihrer Problemlösungskompetenz und ihrem teilweise erschreckend schwachem Personalangebot.

wbh: Angenommen, die AfD zieht in Sachsen zur Landtagswahl mit den gleichen Ergebnissen wie nach der Europa- und Kommunalwahl in den Sächsischen Landtag ein, welche Auswirkungen kann das für die Gesellschaft, Politik, Kunst und Kultur, Bildung und Soziales haben?

Für die Gesellschaft eine weitere Spaltung, für „die Politik“ – oder besser: die Parteien in – noch größere Schwierigkeiten, akzeptable Kompromisse zu vermitteln. Für die Kunst und Kultur, übrigens auch die Religionen und Medien, drohende Einschränkungen ihrer Freiheiten und Kürzung der öffentlichen Finanzierung, nicht zuletzt im sozialen Bereich. Wirtschafts- und gesellschaftspolitisch befördert die angebliche Alternative neoliberale Politik.

wbh: Wie kann man Demokratie-Initiativen und Protagonist*innen vor Ort aktiv unterstützen und ihr Engagement stärken?

Im Land fördern wir diese Initiativen maßgeblich über das Weltoffene Sachsen, aber auch durch zusätzliche Mittel für die Kulturräume und eine Stärkung der politischen Bildung nicht nur in der Schule. Ich und mit mir viele Sozialdemokrat*innen zeigen Gesicht, wo immer nötig und treten Ausgrenzung und Diskriminierung entgegen.

Zu guter Letzt hat gerade Gleichstellungs- und Integrationsministerin Petra Köpping viel dafür getan, dass Menschen, die für Menschlichkeit eintreten, Unterstützung, Beratung und Anerkennung erfahren.

wbh: Wie kann man Nichtwähler*innen erreichen, damit sie wählen gehen?

Reden und werben, aber auch daran erinnern, dass sie Ihre Stimme sonst entwerten. Ich sage immer, wenn du nicht mitbestimmst, dann entscheiden andere für dich. Diese kleine Verantwortung – sich aller paar Jahre zu entscheiden – kann und will ich niemanden abnehmen.

wbh: Wie kann man Menschen, die sich benachteiligt und abgehängt fühlen, bspw. Menschen, die nach dem Mauerfall viel verloren haben, Angst um ihre Existenz und vor Überfremdung haben, erreichen und in die Gesellschaft zurückholen?

Das ist nicht einfach, da Angst ein schlechter Ratgeber ist und häufig zu irrrationalen Entscheidungen führt. Ein Beispiel: Unsicherheit kann durch mehr Solidarität und einen Ausbau der Sicherungssysteme bekämpfen.
Tatsächlich gewinnen gerade aber Neid, Konkurrenzdenken und Ausgrenzung an Zuspruch. Das ist ein sich selbst verstärkender Effekt. Dass Migrant*innen in Deutschland seit Jahrzehnten zur Stabilisierung der Sozialsysteme beitragen und mehr in die Rente einzahlen, als sie herausbekommen, geht da schnell unter.

Ich habe deshalb die Erfahrung gemacht, dass wir Menschen vor allem im persönlichen Kontakt und am konkreten Problem und seiner Lösung erreichen.

wbh: Warum haben deines Erachtens Menschen Angst vor „dem bösen schwarzen Mann“, vor Migrant*innen und Muslimen?

Ein Teil ist Urinstinkt des Menschen, den er sich über tausende von Jahren in der Evolution angeeignet hat und der tief im Unterbewusstsein schlummert. Der hält mit der rasanten Veränderung der Welt nicht Schritt. Ein anderer Grund ist die geringe interkulturelle Erfahrung. Auch die DDR war, ob ihres Misstrauens vor fremden Einflüssen, weit weniger international, als ihre Propaganda vorgab, sondern selbst im inneren sehr diskriminierend. Beispiele dafür sind die Separation der Gastarbeiter*innen aber auch der russischen Soldaten.

Was die „neue“ Angst angeht, so fußt sie nur zu kleinem Teil auf eigener Erfahrung und zu einem viel Größeren auf medialer Vermittlung. Gerade hat eine Studie nachgewiesen, dass die AfD gezielt Vorurteile vor Minderheiten schürt, indem sie selektiv Kriminalitätsdelikte nach Herkunft verbreitet. So werden (Vor-)Urteile verstärkt und leider auch häufig die Chance unbelastet Erfahrungen zu sammeln, genommen.

wbh: Meinst du, viele Menschen fühlen sich von Politiker*innen nicht entsprechend ihrer Meinung vertreten und abgeholt? Herrscht eine große Kluft zwischen Politiker*innen und Bürger*innen?

Ja, das ist leider so, aber wiederspricht häufig der Realität. Noch nie in der Geschichte, konnte man gewählten politisch Verantwortlichen so nahekommen und sie so einfach erreichen. An meinem Beispiel: In zwei Büros in Leipzig biete ich den Dialog durch öffentliche Veranstaltungen und monatliche Bürger*innensprechstunden an. Neben Post, Telefon und Email kann man mich in drei sozialen Medien direkt erreichen. Davon machen nur vergleichsweise wenige Menschen Gebrauch. Ich klopfe auch regelmäßig an Haustüren, aber häufig wird dann offenbar: Immer mehr wollen keinen Kontakt, haben ihrerseits kein Interesse oder Vorbehalte. Aber viel mehr Dialogangebote können Politiker*innen kaum machen.

Ab und an höre ich auch: „Für mich macht ihr nichts!“. Das stimmt nicht, aber Politik ist kein Pizzadienst. Wenn die Erwartung ist, dass jeder individuelle Wunsch erfüllt wird, muss das scheitern. Schon die Wünsche der über 90.000 Menschen in meinem Wahlkreis sind teils sehr konträr, ganz zu schweigen davon, dass nicht wenige davon den Gesetzen widersprechen.

wbh: In den sozialen Medien war zu lesen, dass man weniger auf die „Bedürfnisse“ der besorgten und Wutbürger*innen eingehen soll, sondern eher auf die unserer Jugend. Wie siehst du das?

Mit Etiketten tue ich mich schwer und schon von meinem Selbstverständnis will ich niemanden ausgrenzen. Richtig ist aber, dass wir Mandatsträger*innen auf Kooperation und Dialog angewiesen sind und jede*r nur begrenzte Ressourcen hat und überlegen muss, wofür man sie einsetzt.
An meinem Kühlschrank hängt der treffende Spruch: Man bekommt die Welt nicht besser gemeckert.

wbh: Wie wichtig sind Zivilgesellschaft und Zivilcourage?

Unverzichtbar. Der Staat ist nur die Summe seiner Teile und es gilt das Diktum von Böckenförde: „Der freiheitliche, säkularisierte Staat lebt von Voraussetzungen, die er selbst nicht garantieren kann“. Der beste Verfassungsschutz sind deshalb auch Bürger*innen die sich für ihren demokratischen Staat einsetzen und diesen gestalten.

wbh: Wie können wir unsere Demokratie schützen und stärken?

Mach was, warte nicht, bringe dich ein. Die Möglichkeiten sind riesig.

wbh: Was verbindest du mit: Wir sind mehr!

Ein Beispiel von gelebter Demokratie, das Werben von Kulturschaffenden für mehr Gemeinsinn auch eine notwendige Bestärkung und Selbstversicherung in unserer durch Digitalisierung zunehmend entpersonalisierten und teilweise auseinanderdriftenden Lebenswelt.

wbh: Was bedeutet für dich: Wir bleiben hier!

Ganz persönlich: Ich will die Geburtsstadt meiner drei Kinder nicht verlassen, noch dass andere Menschen Leipzig oder Sachsen verlassen, weil sie sonst physischer oder psychischer Gewalt ausgesetzt werden.
Dafür lohnt es sich zu kämpfen, jeden Tag.

Foto: Hammermännchen

INTERVIEW MIT JULIANE STREICH

wbh: Magst du unseren Leser*innen kurz von deiner Arbeit und deinem Leben erzählen.

Ich arbeite als freie Journalistin in Leipzig. Ich schreibe für diverse Zeitungen und Magazine, war zehn Jahre lang Redakteurin beim kreuzer und arbeite regelmäßig bei MDR Kultur in der Onlineredaktion. Mit dem ehemaligen Bürgermeister von Tröglitz, Markus Nierth, habe ich vor wenigen Jahren seine Geschichte in dem Buch „Brandgefährlich – warum das Schweigen der Mitte die Rechten stärkt“ geschrieben.

wbh: Wie fühlt es sich an, Politik aktiv mitzugestalten?

Bei Anti-Nazi-Demos: laut. Beim Betreuen von Flüchtlingskindern: lustig. Bei der ehrenamtlichen Arbeit bei Unicef: langsam. Bei der politischen Bildung von Schulkindern: anstrengend. Aber am Ende doch immer richtig und gut.

wbh: Was ist unser Erbe, was ist unsere Zukunft?

Unsere Zukunft wird warm. Unser Erbe ist die Klimakrise (von Wandel will ich da kaum noch sprechen). Sie wird das Leben auf der Welt massiv beeinflussen und tut es jetzt schon. In dem Zusammenhang ist es tatsächlich mal von Vorteil, in Sachsen zu leben, denn wir werden von den großen Katastrophen wohl erst einmal verschont bleiben und können vielleicht nur darüber jammern, dass wir bei 38 Grad arbeiten gehen müssen. Aber was in anderen Gegenden der Welt abgeht, dass Menschen ihre Häuser verlassen müssen, weil sie untergehen, dass andere nicht mehr genug Wasser haben, um sich und ihre Kinder zu ernähren, dass Unwetter und Naturkatastrophe gerade die Ärmsten am Härtesten treffen, viele von ihnen auch töten – das ist so schlimm, dass ich da nur noch radikales Umdenken als Lösung sehe. Klar, wir können aufhören, zu fliegen und Fleisch zu essen, und sollten das auch tun. Aber es braucht größere Lösungen, die Wirtschaft und Politiker*innen – gerade die der westlichen Welt, die zum größten Teil für die Misere verantwortlich ist – sofort umsetzen müssten. Nicht erst 2030.

wbh: Was wünschst du dir für ein besseres menschliches Miteinander?

Weniger Hass, mehr Liebe! Ist doch klar.

wbh: Wie wichtig sind Kunst und Kultur, Bildung, Medienkompetenz, Soziales, Jugendhäuser und psychologische Betreuung für unser Zusammenleben?

Sehr wichtig. Dass es in Leipzig verhältnismäßig viel Kulturangebote und engagierte Projekte gibt, finde ich besonders toll hier. Das erklärt auch, warum Leipzig nicht so ein großes Problem mit Rechtsradikalismus hat wie der Rest von Sachsen. Doch gerade in den kleine Städten und ländlichen Regionen fehlt es gerade an all dem. Deswegen sollten wir auch von hier aus versuchen, alternative und soziokulturelle Zentren wie das Dorf der Jugend in Grimma, das Treibhaus in Döbeln oder das Emil in Zittau besser zu unterstützen

wbh: Im Hinblick auf die Landtagswahl im Sep 2019: Was kann jede*r Bürger*in aktiv tun, um dem Rechtsruck mit demokratischen Mitteln entgegenzuwirken?

Wählen gehen. Demokratische und antifaschistische Projekte unterstützen – finanziell oder mit persönlichem Einsatz. Mit Menschen reden, die da anderer Meinung sind (Verwandte, Bekannte, Kolleg*innen, ehemalige Mitschüler*innen).

wbh: Was sind deines Erachtens in Sachsen und Brandenburg die Gründe für den Aufstieg der Rechtspopulisten bei der Europa- und Kommunalwahl?

In der Brandenburgischen Politik kenne ich mich nicht so gut aus. In Sachsen spielt die CDU, die seit der Wende an der Macht ist, eine Rolle. Sie hat den Rechtsextremismus seitdem immer klein geredet, rechte Überfälle als Einzelfälle deklariert und Vereine, die sich gegen Rechtsextremismus einsetzen, danach gefragt, ob sie überhaupt im demokratischen Sinne des Landes handeln. MP Kretschmer hat jetzt zumindest mal zugegeben, dass Sachsen da ein Rechtsextremismus-Problem hat. Aber er betont auch immer gleich, wie schlimm die Linken sind. Ein anderer wichtiger Grund ist fehlende politische Bildung. Und dass der Osten viel zu weiß ist. Die am lautesten von der Überfremdung, der Islamisierung und dem bösen schwarzen Mann schreien, haben ja nie jemanden mit Migrationshintergund gekannt.

wbh: Angenommen, Rechtspopulisten ziehen in Sachsen zur Landtagswahl mit den gleichen Ergebnissen wie nach der Europa- und Kommunalwahl in den Sächsischen Landtag ein, welche Auswirkungen kann das für die Gesellschaft, Politik, Kunst und Kultur, Bildung und Soziales haben?

Nur schlechte. Viele Einrichtungen werden um ihre Existenz zittern müssen, weil ihnen Fördergelder gestrichen werden sollen, das hat die AfD schon oft genug angekündigt, und einige in der CDU stimmen da ja gerne mal mit ein.

wbh: Wie kann man Demokratie-Initiativen und Protagonist*innen vor Ort aktiv unterstützen und ihr Engagement stärken?

Mit Geld – oder hingehen und mithelfen.

wbh: Warum haben deines Erachtens Menschen Angst vor „dem bösen schwarzen Mann“, vor Migrant*innen und Muslimen?

Unter anderem wegen der Medienberichterstattung – wenn ich zwei Wochen lang die Bild-Zeitung lesen würde, hätte ich auch große Angst. Und wegen Facebook, wo man sich seine Bubble voller eigener (oft falscher) Hysterie-Quellen zusammensuchen kann und in seiner Angst von all den anderen Besorgten bestätigt und angefeuert wird.

wbh: In den sozialen Medien war zu lesen, dass man weniger auf die „Bedürfnisse“ der besorgten und Wutbürger*innen eingehen soll, sondern eher auf die unserer Jugend. Wie siehst du das?

Ja, unbedingt. Auf die Bedürfnisse der besorgten Bürger wurde doch jetzt jahrelang eingegangen. Nicht nur in diversen Talkshows und Zeitungsartikeln. Auch politisch. Das meiste, was sie wollten, ist längst erreicht. Die Festung Europa hat ihre Grenzen so dicht gemacht, dass es nicht mal mehr erlaubt ist, Ertrinkende zu retten. Das muss man sich mal vorstellen. Und wenn private Seenotretter es trotzdem schaffen, einige zu retten, dann gibt es tagelange Verhandlungen darüber, welches Land 40 Leute aufnehmen kann. Es ist unfassbar. Und unfassbar traurig. Was höre ich denn, wenn ich den Wutbürgern zuhören? „Absaufen!“-Chöre.
Und wenn ich den Jungen zuhören, höre ich wissenschaftliche Argumente, warum die Welt so nicht weiter machen kann. Da werden zukunftsweisende Probleme zitiert, die das Leben so vieler Menschen bedrohen, dass die Flüchtlingszahlen der letzten Jahre ein Witz dagegen sind.

wbh: Was verbindest du mit: Wir sind mehr!

Chemnitz. Und die Hoffnung, dass alles gut werden wird, weil Campino mit Rod „Schrei nach Liebe“ gesungen hat, denn wer hätte je gedacht, dass die Hosen und die Ärzte mal zusammen ihre Lieder singen werden.

wbh: Was bedeutet für dich: Wir bleiben hier!

Für mich privat bedeutet das, dass ich nach über zehn Jahren immer noch nicht zurück nach Berlin gezogen bin, obwohl ich nur drei Monate bleiben wollte. Aber im großen und ganzen: Respekt an alle, die auf dem Land mehr oder weniger allein für Menschenrechte und gegen rechte Menschen kämpfen, beschimpft und bedroht werden und trotzdem bleiben.

INTERVIEW MIT ANGELA KLIER

wbh: Wo bist du aktiv, wofür engagierst du dich und trittst du ein?

Ich bin seit 2002 für Programme der Demokratieförderung, gegen Extremismus unterwegs. Und weil ich mich vorher schon gegen Diskriminierung und für Gleichbehandlung im Rahmen der Selbsthilfe und Behindertenhilfe eingesetzt habe, schwingen diese Themen immer mit.

wbh: Wie fühlt es sich an, Politik aktiv mitzugestalten?

Betrachte ich Politik als Regulierung der Angelegenheiten eines Gemeinwesens und verbinde damit jegliche Einflussnahme, Gestaltung und Durchsetzung von Forderungen und Zielen in privaten oder öffentlichen Bereichen, dann fühlt es sich gut an, gerade in der Gemeinwesenarbeit tätig zu sein. Betrachte ich die „große“ Politik, kann ich mitgestalten, indem ich vom Wahlrecht Gebrauch mache und mich schon mal einmische in öffentliche Diskurse. Aber ja, auch das fühlt sich gut an und ich möchte es nicht missen.

wbh: Warum ist es wichtig, dass sich jede*r mit Politik beschäftigt und diese aktiv mitgestaltet und wie?

Politisch ist der Alltag von uns allen, wir treffen täglich Entscheidungen, die Einfluss auf andere Menschen, Systeme und das Gemeinwesen haben. Ich glaube, das sich nur viele Menschen dieser Tatsache nicht bewusst sind, jedoch mit der bewussten Gestaltung ihres Alltages die Gesellschaft und damit auch Politik mitgestalten. Es ist zu kurz gedacht, Mitgestaltung und Mitbestimmung auf das Wahlrecht zu reduzieren oder auf die Beteiligung am öffentlichen Diskurs.
Was meines Erachtens fehlt, ist die Bewusstmachung der gestalterischen Möglichkeiten aller Menschen sowie ihre Würdigung.

wbh: Wie kann man die Themen Politik, Beschäftigung mit Demokratie und unseren Grundwerten stärker ins Bewusstsein der Öffentlichkeit bringen?

Es geht nur sehr niedrigschwellig. Politische Bildung ist wichtig und ihre Angebote werden zu wenig angenommen. Deshalb und darüber streite ich auch gern, muss nicht überall politische Bildung drauf stehen, wo politische Bildung drin ist. Für viele Menschen ist Politik das, was „die da oben“ machen und Politik gilt nicht als bodenständig, eher abgehoben. Wir müssen die Themen, die Bedarfe der Menschen suchen und erkennen und dann mit ihnen in Diskurse gehen, die sie abholen und angenommen werden. Mein Beispiel: Internationaler Frauentag, öffentliche Einladung zu Kaffee und Kuchen, es gibt ein Blümchen oder etwas Gebasteltes, einen Kulturbeitrag (Musik, Tanz…) und es gibt ein politisches Thema mit Gästen. Was haben wir: Würdigung der Frauen an ihrem Ehrentag, Kultur, Spaß und Gespräche und politische Bildung. Das Thema 2019 war die Kommunalwahl bzw. Frauen in politischen Ämtern haben sich den Fragen der Teilnehmer-Innen gestellt.

wbh: Was ist unser Erbe, was ist unsere Zukunft?

Ich kann das so nicht beantworten. Ich möchte nicht verantwortlich sein für Fehler aus der Vergangenheit und genauso wenig, wie ich mich an positiven Geschehnissen in der Vergangenheit beteiligen konnte. Die Zukunft will ich gern mitgestalten, dafür gilt es unsere Grundrechte zu wahren und Menschenrechte zu schützen.

wbh: Was wünschst du dir für ein besseres menschliches Miteinander?

Vielfalt anerkennen und leben. Wenn wir das realisieren, kommen wir zu einer neuen Kommunikation, ohne Hass und Vorurteile. Miteinander reden ist ein Anfang, darauf folgt Verstehen. Für mich gilt der Grundsatz, jede Meinung anzuhören, ich muss sie nicht teilen.

wbh: Was bedeuten für dich Freiheit, Schutz der Menschenwürde und Gleichberechtigung?

Wie oben bereits beschrieben, sind das für mich die Grundpfeiler unserer Gesellschaft. In den vergangenen Jahren hat sich leider gezeigt, dass Teile unsere Mehrheitsgesellschaft diese Grundrechte in Anspruch nehmen, sie jedoch weder vor den Feinden der Demokratie entsprechend schützen noch Zugewanderten zur Verfügung stellen möchten. Beim Blick auf europäische Nachbarländer erscheinen mir diese Grundrechte nicht mehr als selbstverständlich, umso mehr schützenswert.

wbh: Wie wichtig sind Kunst und Kultur, Bildung, Medienkompetenz, Soziales, Jugendhäuser und psychologische Betreuung für unser Zusammenleben?

Ich diskutiere viel mit meinen Mitmenschen über die Themen Identität und Heimat. Im Erzgebirge aufgewachsen und noch immer fest verwurzelt, sind Traditionen, Kunst und Kultur sehr wichtig. Das hat Einfluss auf meine Identität. Ich interessiere mich außerdem ganz vielfältig für Kunst und Kultur, ich nutze Medien, bin sozial gut vernetzt und bilde mich weiter.
Wenn ich das für mich in Anspruch nehme, dann ist es mir auch wichtig, dass es für alle Menschen zur Verfügung steht und erst recht für die Jugend, unsere Zukunft.

wbh: Im Hinblick auf die Landtagswahl im Sep 2019: Was kann jede*r Bürger*in aktiv tun, um dem Rechtsruck mit demokratischen Mitteln entgegenzuwirken?

Zur Wahl gehen!

wbh: Was sind deines Erachtens in Sachsen und Brandenburg die Gründe für den Aufstieg der Rechtspopulisten bei der Europa- und Kommunalwahl?

Ich habe lediglich einen Einzug der Rechtspopulisten in Wahlämter verzeichnet. Die Personen mit ihren Ideen und deren Netzwerke kannte ich vorher schon und es war eine Frage der Zeit, bis sie soweit erstarkt sind. Für Analytiker ist der Blick zurück sicher gewinnbringend und sicher haben auch einige gute Ratschläge für kommende Wahlen vergeben.

wbh: Angenommen, Rechtspopulisten ziehen in Sachsen zur Landtagswahl mit den gleichen Ergebnissen wie nach der Europa- und Kommunalwahl in den Sächsischen Landtag ein, welche Auswirkungen kann das für die Gesellschaft, Politik, Kunst und Kultur, Bildung und Soziales haben?

Ich bin mir sicher, dass es zu einer absoluten Mehrheit nicht reichen wird, weil die Wähler*innen das verhindern. Auch in Sachsen geht alle Macht vom Volke aus und das wissen auch Rechtspopulisten.

wbh: Wie kann man Demokratie-Initiativen und Protagonist*innen vor Ort aktiv unterstützen und ihr Engagement stärken?

Wir haben das Problem von zwei Seiten unter Druck zu stehen. Die Menschen, die sich gegen Rechtspopulismus und Rechtsextremismus positionieren und Haltung zeigen, werden natürlich aus der rechten Flanke befeuert. Das geht von Hass im Netz bis hin zu persönlichen Bedrohungen usw. Leider aber werden wir auch zur Zielscheibe von Medien, kommunalen Verantwortungsträgern und Mitmenschen. Bezeichnet als Linksextreme und Unruhestifter, nicht ernst genommen oder gar beschimpft, haben schon einige Aktive ihr Engagement eingestellt. Die Stellung in der Gesellschaft ist nicht nur wohlwollend. Wichtig ist, das Förderprogramme entfristet werden und die Akteur*innen nicht an bürokratischen Hürden verzweifeln. Eine niedrigschwellige und kontinuierliche Arbeit zur Stärkung demokratischer Strukturen und zur Veränderung von Einstellungen und Haltungen im Sinne unserer Wertegemeinschaft muss im Interesse aller liegen und von allen unterstützt werden. Hiervon profitiert auch die Wirtschaft, hält sich aber noch weitestgehend mit Unterstützung zurück.

wbh: Wie kann man Nichtwähler*innen erreichen, damit sie wählen gehen?

Bei ihren persönlichen Bedürfnissen abholen.

wbh: Wie kann man Menschen, die sich benachteiligt und abgehängt fühlen, bspw. Menschen, die nach dem Mauerfall viel verloren haben, Angst um ihre Existenz und vor Überfremdung haben, erreichen und in die Gesellschaft zurückholen?

Wir müssen ihnen zuhören und ihnen den Raum für Gespräche bieten. Dabei darf es keine Ausgrenzung im Voraus geben, Menschen wollen sich eingeladen fühlen. Ich habe seit Oktober 2018 eine Redezeit. Alle dürfen kommen, egal welches Problem, ob es überhaupt ein solches gibt oder sie nur reden wollen. Es braucht Zeit, dass die Menschen es annehmen und es kommt auch zu unschönen Gesprächen, aber wir reden miteinander.

wbh: Warum haben deines Erachtens Menschen Angst vor „dem bösen schwarzen Mann“, vor Migrant*innen und Muslimen?

Märchen aus Kindertagen, Medienberichte, Filme usw. Außerdem wird heutzutage Angst bewusst geschürt. Medien sind daran nicht ganz unschuldig.

wbh: Meinst du, viele Menschen fühlen sich von Politiker*innen nicht entsprechend ihrer Meinung vertreten und abgeholt? Herrscht eine große Kluft zwischen Politiker*innen und Bürger*innen?

Die Kluft ist da. „Die da oben“ gelten als abgehoben und als Alleinherrscher*innen. Unser Ministerpräsident scheint mir gerade auf einem guten Weg, er wird ihn nur nicht allein beschreiten können. Früher nannte man das wohl „volksnah“, was wohl nicht ganz stimmt, denn das Volk wählt seine Vertreter*innen aus seiner Mitte.

wbh: In den sozialen Medien war zu lesen, dass man weniger auf die „Bedürfnisse“ der besorgten und Wutbürger*innen eingehen soll, sondern eher auf die unserer Jugend. Wie siehst du das?

Die Bedürfnisse aller Bürger*innen sollten im Fokus stehen und Kompromisse sind auszuhandeln. Es finden nur noch wenige Aushandlungsprozesse statt, Entscheidungen werden von Wenigen getroffen.

wbh: Wie wichtig sind Zivilgesellschaft und Zivilcourage?

Kindern sollte Zivilcourage frühzeitig gelehrt werden. Eine starke Gemeinschaft hält auch zusammen und unterstützt die Schwachen. Grundsätze, die ich noch gelernt habe. Es gibt Begrifflichkeiten in unserem Sprachgebrauch, die sind nicht niedrigschwellig genug, sie sind nicht direkt genug und werden immer mehr vernachlässigt. Zivilgesellschaft ist ein solcher Begriff. Die Menschen identifizieren sich nicht damit. Ähnliches bemerke ich bei den Begriffen Bürgerinnen und Bürger. Unser Sprachgebrauch ist entscheidend dafür, ob wir gehört werden. Aber ja, die Gesellschaft, die Gemeinschaft, sie ist wichtig und wir alle müssen für ihren Zusammenhalt einstehen.

wbh: Wie können wir unsere Demokratie schützen und stärken?

Durch unsere eigene Haltung und Einstellung, die wir täglich und in allen Situationen vertreten.

wbh: Was verbindest du mit: Wir sind mehr!

Ich persönlich halte nichts davon. Wer ist WIR und wer sind die ANDEREN? Diese Betrachtungsweise grenzt aus.

wbh: Was bedeutet für dich: Wir bleiben hier!

Das bedeutet, Menschen haben ihre Heimat und ihre Identität gefunden und lassen sich nicht von anderen Ideen und/oder Menschen vertreiben. Sie haben feste Wurzeln und Standpunkte. Es bedeutet, wir gehen hier nicht weg und wir schützen unsere Demokratie.

INTERVIEW MIT DR. GESINE MÄRTENS

wbh: Magst du unseren Leser*innen kurz von deiner Arbeit und deinem Leben erzählen.

Ich lebe und arbeite seit 22 Jahren im Leipziger Süden, hier sind meine Töchter aufgewachsen, hier wohne ich, hier bin ich am stärksten mit der Stadt verbunden. Hier arbeite ich im Beratungszentrum für Frauen mit Menschen, die Gewalt in ihrem sozialen Nahraum erlebt haben.

wbh: Wo bist du aktiv, wofür engagierst du dich und trittst du ein?

Ich bin Frauen*politikerin und ich bin GRÜNE und mische gern überall mit, wo diese Themen gut zusamenpassen. Seit 2014 auch im Leipziger Stadtrat. Leipzig soll eine Stadt sein, in der Frauen* und Männer* jeder Herkunft gleichberechtigt miteinander leben. Wir brauchen eine Stadt, die in Kategorien der Gleichstellung denkt, spricht, plant, baut und wirtschaftet und auch feiert. Wir brauchen stereotypenfreie Rollenvorbilder für Frauen, Männer und andere und keine sexistische Werbung.

wbh: Wie fühlt es sich an, in Sachsen Politik aktiv mitzugestalten?

Ich habe das Gefühl, unsere Verantwortung wächst von Tag zu Tag. Es wird auf uns ankommen, die Spaltung unserer Gesellschaft zu verhindern. Es wird auf uns ankommen, Hass und Gewalt keinen Raum zu bieten. Und es wird auf uns ankommen unsere Freiheit zu verteidigen. Das ist ganz schön heftig und meistens macht es Spaß. Die 100ste Gegendemo gegen eine handvoll Rechte macht keinen Spaß, aber muss ja …

wbh: Warum ist es wichtig, dass sich jede*r mit Politik beschäftigt und diese aktiv mitgestaltet und wie?

Ganz einfach: Wenn wir nicht zulassen wollen, dass andere über unser Leben in diesem Land und auf der ganzen Welt bestimmen, dann müssen wir es selbst tun. Wir müssen bei dieser Selbstorganisation unserer Gesellschaft mitwirken: also Politik machen. Wer sollte es denn sonst tun?
Welche Plattform Du nutzt, ist egal. Parlamentarisch, außerparlamentarisch, in Parteien, Vereinen, Netzwerken, mit Deiner Kunst oder Deiner Wissenschaft.

wbh: Wie kann man die Themen Politik, Beschäftigung mit Demokratie und unseren Grundwerten stärker ins Bewusstsein der Öffentlichkeit bringen?

Indem wir eine Gesellschaft schaffen, in der demokratische Beteiligung bis hin zur Selbstverwaltung auf allen Ebenen funktioniert. Sonst kannst Du Dir den Mund fusselig reden …

wbh: Was ist unser Erbe, was ist unsere Zukunft?

Demokrativersagen, Demokratie

wbh: Was wünschst du dir für ein besseres menschliches Miteinander?

Akzeptanz statt Toleranz … und freie Liebe, da bin ich altmodisch.

wbh: Was bedeuten für dich Freiheit, Schutz der Menschenwürde und Gleichberechtigung?

Fast alles, und ich habe echt keine Lust mehr, über die Gültigkeit von Menschenrechten zu diskutieren. Es macht mich unfassbar wütend, dass die Menschheit sich hier im Schneckentempo bewegt.

wbh: Wie wichtig sind Kunst und Kultur, Bildung, Medienkompetenz, Soziales, Jugendhäuser und psychologische Betreuung für unser Zusammenleben?

Kunst und Kultur sind der eigentliche Mehrwert unserer Gesellschaft. Wofür leben wir sonst? Alles andere ist wichtig und unabdingbar in unserer unperfekten Welt. Zum Glück bräuchten wir es nicht. Menschen können auch ohne Bildung glücklich sein, ohne ein Bild, ein Lied, einen schönen Gedanken kaum.

wbh: Im Hinblick auf die Landtagswahl im Sep 2019: Was kann jede*r Bürger*in aktiv tun, um dem Rechtsruck mit demokratischen Mitteln entgegenzuwirken?

Eine der wirklich demokratischen Parteien wählen und alle Freunde und Nachbarn mit zur Wahl nehmen. Für alle, die das hier lesen, heißt es wohl vor allem: Oma und Opa und Tante Friedel überzeugen. Das wär schon was.

wbh: Was sind deines Erachtens in Sachsen und Brandenburg die Gründe für den Aufstieg der AfD bei der Europa- und Kommunalwahl?

Die Einfachmacher haben nicht gewonnen, wir sind zusammen mehr.

wbh: Angenommen, die AfD zieht in Sachsen zur Landtagswahl mit den gleichen Ergebnissen wie nach der Europa- und Kommunalwahl in den Sächsischen Landtag ein, welche Auswirkungen kann das für die Gesellschaft, Politik, Kunst und Kultur, Bildung und Soziales haben?

Wir werden unsere Debatten ernster führen, klarer Handeln und kleinliche Gräben zuschütten. Dann haben die Einfachmacher keine Chance.

wbh: Wie kann man Demokratie-Initiativen und Protagonist*innen vor Ort aktiv unterstützen und ihr Engagement stärken?

Hingehen, Mitmachen, Spenden, Hingehen, Mitmachen, Spenden, Hingehen, Mitmachen, Spenden, Hingehen, Mitmachen, Spenden, Hingehen, Mitmachen, Spenden, Hingehen, Mitmachen, Spenden, Hingehen, Mitmachen, Spenden, Hingehen, Mitmachen, Spenden.

wbh: Wie kann man Nichtwähler*innen erreichen, damit sie wählen gehen?

Eine bessere Politik machen. Ansonsten gilt: Wir sind auch frei in unserer Entscheidung, ob wir wählen oder nicht.

wbh: Wie kann man Menschen, die sich benachteiligt und abgehängt fühlen, bspw. Menschen, die nach dem Mauerfall viel verloren haben, Angst um ihre Existenz und vor Überfremdung haben, erreichen und in die Gesellschaft zurückholen?

Rechtspopulismus ist keine Folgeerscheinung der Wiedervereinigung, sondern eine Begleiterscheinung des Neoliberalismus. Wir brauchen eine gerechtere Weltgesellschaft. Gleiche Löhne und gleiche Renten in Ost und West wären aber trotzdem ein guter Anfang.

wbh: Warum haben deines Erachtens Menschen Angst vor „dem bösen schwarzen Mann“, vor Migrant*innen und Muslimen?

Niemand hat Angst vor seinen muslimischen Mitarbeiter*innen oder dem dunkelhäutigen Fußballprofi. Aber wir lassen uns schnell Angst vor Phantomen einreden, vor dem Ungreifbaren, Unbegreiflichen.

wbh: Meinst du, viele Menschen fühlen sich von Politiker*innen nicht entsprechend ihrer Meinung vertreten und abgeholt? Herrscht eine große Kluft zwischen Politiker*innen und Bürger*innen?

Was heißt hier fühlen? Ein Großteil der Bevölkerung hat tatsächlich heute keine politischen Repräsentanten mehr in unserem System.

wbh: In den sozialen Medien war zu lesen, dass man weniger auf die „Bedürfnisse“ der besorgten und Wutbürger*innen eingehen soll, sondern eher auf die unserer Jugend. Wie siehst du das?

Wir sollen auf die wirklichen Bedürfnisse eines jeden Menschen eingehen.

wbh: Wie wichtig sind Zivilgesellschaft und Zivilcourage?

Kann eine Generälin eigentlich auch Zivicourage habe? Es sind große Schlagworte für eigentlich einfache Dinge: freies Handeln und das freie Wort.

wbh: Wie können wir unsere Demokratie schützen und stärken?

Indem wir sie leben und jede*n anstecken.

wbh: Was verbindest du mit: Wir sind mehr!

Das gute Gefühl, mit meine Wünschen und Ansichten nicht allein zu sein.

Was bedeutet für dich: Wir bleiben hier!

Da es kein richtiges Leben im falschen gibt, den unabänderlichen Zwang, diese Gesellschaft zu verändern.

INTERVIEW MIT SEBASTIAN KRUMBIEGEL

wbh: Magst du unseren Leser*innen kurz von deiner Arbeit und deinem Leben erzählen.

Ich mache Musik, seit ich denken kann, und versuche in letzter Zeit mehr und mehr die Bühne, die ich habe, auch dafür zu nutzen, mich politisch einzumischen. Das ist manchmal gar nicht so leicht, weil es immer eine Gratwanderung ist. Einerseits bin ich irgendwann mal angetreten, um Leute zu unterhalten, andererseits habe ich mehr und mehr gemerkt, dass es nicht reicht, von lustigen Sachen zu singen und den Horizont bei Liebe, Triebe, Herz und Schmerz für beendet zu erklären. Dabei musst du aber tierisch aufpassen, dass du nicht anfängst rumzunerven, dass du nicht anfängst, zu eifern und zu missionieren. Den berühmten Prediger-Bono-Effekt versuche ich zu vermeiden. Ich fürchte, das gelingt mir nicht immer, zumal ich weiß, dass ich dazu neige, manchmal emotional übers Ziel hinaus zu schießen – vor allem, wenn ich mich wirklich über Sachen aufrege.

wbh: Wo bist du aktiv, wofür engagierst du dich und trittst du ein?

Das kann ich gar nicht so leicht in zwei Sätzen sagen. Unterm Strich geht es mir immer mehr darum, mich für Dinge gerade zu machen, die mir wichtig sind. Das hat viel damit zu tun, was mir meine Eltern mitgegeben haben, und meine Eltern, vor allem meine Mutter, haben mich immer ermuntert, mich – auch wenn das jetzt sehr salbungsvoll klingt – gegen Ungerechtigkeiten zu wehren. Sie hat mich auch immer ermuntert, Autoritäten zu hinterfragen. Oft hat sie sich in der Schule oder auch im Internat des Thomanerchores hinter mich gestellt, wenn sie das Gefühl hatte, ich werde ungerecht behandelt – das prägt natürlich, und ich fand das immer extrem cool von meiner Mutter. Natürlich ist das jetzt sehr allgemein – was die Themen betrifft, „wofür ich mich engagiere und einsetze“ (ich mag das ja nicht, bei mir selbst von Engagement zu sprechen – für mich ist das irgendwie normal und es gehört zu mir) –, als ich 1989 bei den Montagsdemos die ersten REPublikaner-Flyer mit „Arbeit zuerst für Deutsche“ in den Händen hielt, und als ich dann die Reaktionen der Leute („ist doch ganz vernünftig“) hörte, war mir sehr schnell klar, dass das nicht meins ist. All die Deutschland-Fahnen, die plötzlich wie aus dem Nichts aufgetaucht waren – das waren für mich rückblickend die ersten Vorläufer von Rostock Lichtenhagen und Hoyerswerda. Dazwischen war ich im Sommer 1990 mit Jens (Sembdner, mein Prinzen-Kollege) in Ungarn. Deutschland war gerade Fußball-Weltmeister geworden, und all die Ostdeutschen, die noch ein Jahr davor als Deutsche zweiter Klasse ohne D-Mark in Ungarn waren, kamen dann mit ihren Deutschland-Trikots an und haben einen auf dicke Hose gemacht. Das war zwar irgendwie auch verständlich, weil sie eben endlich all das machen konnten, sich endlich auch all das leisten konnten, was sich die Westdeutschen schon seit Jahren leisten konnten, aber es war eben auch so unsäglich peinlich. Wir haben uns damals als „Jugoslawen“ ausgegeben, haben eine Fantasie-Sprache gesprochen und dann mit den Ossis in einem radebrechenden Englisch – wir wollten uns mit denen nicht gemein machen, uns war das peinlich. Und – auch wenn das ein großer gedanklicher Bogen ist und ich garantiert nicht all diese Leute als Nazis bezeichnen will – jetzt komme ich auf die Frage zurück – Deutschtümelei, Nationalismus, Antisemitismus, Neonazis – dagegen versuche ich klar Stellung zu beziehen. Natürlich ist es immer besser, FÜR etwas zu stehen, und ich sage immer wieder gern: FÜR gegenseitigen Respekt, FÜR einen toleranten Umgang miteinander, aber das beinhaltet eben auch, sich klar gegen Nazis zu stellen – das ist mein Hauptinhalt, wenn wir über „Engagement“ sprechen.

wbh: Wie fühlt es sich an, in Sachsen Politik aktiv mitzugestalten?

Ich habe gar nicht das Gefühl, Politik aktiv mitzugestalten. Ich habe das Gefühl, mich einzumischen, mit unterschiedlichen Leuten zu reden, dabei einerseits zuzuhören und zu versuchen, diese zu verstehen, andererseits aber auch dagegenzuhalten, wenn ich merke, dass ich anderer Meinung bin. Ich habe das Privileg, dass sich mir viele Türen öffnen. Ich will jetzt wirklich nicht angeben, aber wenn ich um einen Gesprächstermin mit dem Chefredakteur der BILD oder dem sächsischen Ministerpräsidenten bitte, dann bekomme ich ihn meistens. Oft fragen mich Freunde, warum ich das mache, was ich mir davon verspreche, und ich kann dann nur sagen, dass es eigentlich reine Neugier ist. Ich denke natürlich auch, dass vielleicht irgendwas hängenbleibt, von dem, was ich ihnen sage, weiß aber auch, dass das genauso auch umgekehrt passieren kann. Auf der einen Seite mit Antifa-Leuten zu reden und auf der anderen mit eben solchen „mächtigen“ oder einflussreichen Leuten – das genieße ich sehr. Das Wandern zwischen den Welten – Staatskanzlei und Conne Island, ich hoffe, dass ich dadurch meinen Standpunkt (selbst-) kritisch hinterfragen kann, und ich hoffe sehr, dass ich, wenn ich mit den Mächtigen rede, nicht der „Erotik der Macht“ unterliege. Die gibt es definitiv, das ist mir klar, aber ich hoffe, dass ich mittlerweile klar genug stehe und einerseits die Empathie habe, zu verstehen, was diese Leute meinen und wollen, andererseits aber eben nicht einknicke, mich emotional kaufen lasse oder sonstwie an der Uhr drehe und mich selbst verleugne oder meinen Standpunkt verrate …

wbh: Warum ist es wichtig, dass sich jede*r mit Politik beschäftigt und diese aktiv mitgestaltet und wie?

Weil Demokratie kein Selbstläufer ist. Ich denke, das ist der größte Irrtum vieler Menschen, vor allem im Osten. Hier sind die Leute so sozialisiert worden, dass der Staat sich kümmert, dass Dir gesagt wird, wo es langgeht. Kindergarten, Schule, Lehre oder Studium, Beruf, Rente … alles war irgendwie vorbestimmt. Heute ist das anders, und heute sollten wir uns alle miteinander immer wieder daran erinnern, dass wir es selbst sind, die sich darum kümmern, in was für einer Welt wir leben.

wbh: Wie kann man die Themen Politik, Beschäftigung mit Demokratie und unseren Grundwerten stärker ins Bewusstsein der Öffentlichkeit bringen?

Ich kann da nur für mich selbst reden: Ich kann Lieder darüber schreiben, kann in Interviews immer wieder darüber reden und – wie gesagt – nicht rechthaberisch sein, sondern empathisch. Und ich versuche, nicht nur im Netz oder eben theoretisch aktiv zu sein, sondern wirklich auch da, wo es darum geht, persönlich auf der Matte zu stehen. Wenn ich höre, dass in meiner Stadt eine Nazidemo geplant ist, dann reicht es eben nicht, sich hinzustellen und zu sagen: Das finde ich aber nicht in Ordnung – dann musst du eben auch vor Ort aktiv werden und auf die Straße gehen. Das haben wir in Leipzig ganz gut etabliert. Es gibt sie wirklich, die starke Zivilgesellschaft, die im Ernstfall wirklich da ist und sich wehrt.

wbh: Was wünschst du dir für ein besseres menschliches Miteinander?

Wir sollten endlich wieder mehr miteinander reden, und zwar nicht nur in unseren eigenen Filterblasen. Wir sollten versuchen, aufeinander zuzugehen, nach Gemeinsamkeiten suchen und nicht nach Unterschieden. Wir sollten aufhören, immer recht haben zu wollen, sollten den Perspektiv-Wechsel wirklich versuchen, und das bedeutet, Empathie zu leben, und zwar ehrlich. Wir sollten das Wort „Streit“ nicht negativ sehen, sollten wieder lernen, konstruktiv zu streiten. Eine Diskussion ist doch ein Gedankenaustausch, der eigentlich einen offenen Ausgang haben sollte. Wenn ich mit der Vorgabe in eine Diskussion gehe, dass meine Meinung sowieso die einzig richtige ist und mein Gegenüber sowieso falsch liegt, dann kann ich mir das Ganze auch sparen. Also – natürlich gibt es da auch Grenzen, natürlich ist Toleranz gegenüber einem klaren Rassisten falsch, aber es gibt eben nicht nur schwarz und weiß, nicht nur links und rechts oder gut und böse. Das reale Leben ist da viel schwieriger, und wenn wir verlernen, miteinander im Gespräch zu bleiben, dann werden die Gräben immer tiefer werden.

wbh: Was bedeuten für dich Freiheit, Schutz der Menschenwürde und Gleichberechtigung?

Hmmm… Freiheit sollte niemals auf Kosten anderer stattfinden, der Schutz der Menschenwürde sollte Artikel-Eins-mäßig definitiv unverhandelbar sein, und Gleichberechtigung sollte endlich kein Lippenbekenntnis mehr sein.
Ich hab gerade ein Lied geschrieben: DIE DEMOKRATIE IST WEIBLICH – da hab ich versucht, mich diesen Themen anzunähern …

wbh: Wie wichtig sind Kunst und Kultur, Bildung, Medienkompetenz, Soziales, Jugendhäuser und psychologische Betreuung für unser Zusammenleben?

Das ist ja ein ganz schöner Rundumschlag – also thematisch… ich könnte jetzt einfach sagen: wichtig! Aber das willst du nicht hören, also:
Kunst und Kultur sind meiner Meinung nach immer noch unterschätzt. Das erste, woran immer gespart wird, ist genau das, und das ist ein Fehler. Wenn wir auf Kultur verzichten, wenn wir Kultur vernachlässigen, dann werden wir kulturlos. Kultur ist mehr als Musik, Malerei, Schauspielerei, Literatur, Bildhauerei und allgemein Kunst. Kultur ist unser Zusammenleben, Gesprächskultur, Esskultur, Schlafkultur, Freikörperkultur … Kultur ist alles – also bitte lasst uns darauf achtgeben, sie nicht zu vernachlässigen.
Bildung, Medien-Kompetenz – ja, genauso wichtig. Nicht nur, aber auch politische Bildung – wenn wir daran weiter sparen, dann werden wir die Quittung bekommen. Ich bin nicht der Meinung, dass Intelligenz der Schlüssel ist, ich glaube, dass – völlig unabhängig von Intelligenz – eine Art Anständigkeit, eine Art „good behaviour“ der Schlüssel ist. Anders gesagt: Es gibt hochintelligente Menschen, die ziemlich mies drauf sind, und es gibt eher bildungsferne Menschen, die cool und anständig sind, die Dir helfen, wenn es drauf ankommt. Und trotzdem ist Bildung wahnsinnig wichtig. In letzter Zeit denke ich oft, dass all die vielen Menschen, die populistischer Politik hinterherrennen, das nicht tun würden, wenn sie sich besser politisch gebildet hätten. Das klingt vielleicht überheblich, aber ich habe keine andere Antwort auf die Frage, warum, gerade bei uns in Sachsen, so viele Menschen nicht durchschauen, was da gerade passiert, bzw. wohin die Reise gerade zu gehen scheint. Ich fürchte, wir werden am 1. September in einem Alptraum aufwachen, und ich bin selbst von mir genervt, dass ich das so dystopisch sage … Medien-Kompetenz ist diesbezüglich auch ein wichtiger Schlüssel, denn vor allem im Netz passieren Dinge, die wir durchschauen müssen, die wir beherrschen sollten, denn wenn wir uns davon beherrschen lassen, wenn wir in unseren Blasen unter uns bleiben und uns von Verschwörungstheorien oder Fake-News blenden lassen, dann haben wir verloren.

wbh: Im Hinblick auf die Landtagswahl im Sep 2019: Was kann jede*r Bürger*in aktiv tun, um dem Rechtsruck mit demokratischen Mitteln entgegenzuwirken?

Das Kreuz an der richtigen Stelle machen – ohne Haken – haha!

wbh: Was sind deines Erachtens in Sachsen und Brandenburg die Gründe für den Aufstieg der AfD bei der Europa- und Kommunalwahl?

Wie gesagt – mangelnde politische Bildung. Aber das ist nur ein Punkt von vielen. Sicher sind auch von den etablierten Parteien, vor allem von den klassischen ehemaligen „Volksparteien“ Fehler gemacht worden. Es scheint ja immer wieder so zu sein: Wenn ein System vermeintlich sicher im Sattel sitzt, dann kommt da eine Arroganz der Macht ins Spiel (und davon können wir in Sachsen ein Lied singen!), die gefährlich ist. Dazu kommt sicher auch noch die Enttäuschung bzw. die falsche Vorstellung dessen, was die Ostdeutschen von der Wiedervereinigung erwartet haben und dann noch der unglückliche oder eben teilweise auch unfähige Umgang mit dem Osten nach der Wiedervereinigung – Treuhand, Führungskräfte im Osten, Bagatellisieren von Nazi- und anderen rassistischen Übergriffen … Es ist sicher ein sinnloses Unterfangen nach der einen Ursache dafür zu suchen – es ist alles sehr vielschichtig und dadurch differenziert zu betrachten …

wbh: Angenommen, die AfD zieht in Sachsen zur Landtagswahl mit den gleichen Ergebnissen wie nach der Europa- und Kommunalwahl in den Sächsischen Landtag ein, welche Auswirkungen kann das für die Gesellschaft, Politik, Kunst und Kultur, Bildung und Soziales haben?

Ich fürchte, dass die AfD stärker wird, als wir denken. Es wird vielen Vereinen schlecht ergehen – ich kenne so viele Vereine, die jetzt schon stöhnen, weil sie ausgegrenzt werden – ach ja – ich will gar nicht aussprechen, was ich mir alles vorstelle … Ich fürchte, es wird schlimmer als wir uns zur Zeit vorstellen können …

wbh: Wie kann man Demokratie-Initiativen und Protagonist*innen vor Ort aktiv unterstützen und ihr Engagement stärken?

Ja, ich erschrecke mich ja gerade über mich selbst, dass ich die Situation so negativ schildere. Natürlich können wir gegenhalten, natürlich können wir dafür sorgen, dass sich der Wahnsinn in Grenzen hält. Wir sollten nicht aufhören, immer wieder darüber zu reden, wir sollten auch immer wieder die unsäglichen populistischen oder eben auch rassistischen Äußerungen der Führer ansprechen und verurteilen. Wir dürfen nicht hinnehmen, dass all die Dinge, die da auf einmal wieder sagbar sind, die plötzlich wieder salonfähig geworden zu sein scheinen, den normalen Diskurs bestimmen. Wenn Gauland sagt, dass keiner einen Menschen wie Jerome Boateng als Nachbarn haben will, dann ist das Rassismus in Reinkultur. Wenn derselbe Mann sagt, dass die Nazizeit ein zu vernachlässigender „Vogelschiss der Geschichte“ ist, oder wenn Höcke vom „Denkmal der Schande im Herzen der Hauptstadt“ spricht und das Holocoust-Mahnmal meint, dann ist das Nazi-Sprech – daran dürfen wir uns nie gewöhnen.

wbh: Warum haben deines Erachtens Menschen Angst vor „dem bösen schwarzen Mann“, vor Migrant*innen und Muslimen?

Weil Trump, Johnson, Salvini, LePenn, Gauland, Höcke und sogar Seehofer und die BILD nicht aufhören, zu hetzen – es ist unsäglich und es ist vor allem so unverantwortlich …

wbh: Meinst du, viele Menschen fühlen sich von Politiker*innen nicht entsprechend ihrer Meinung vertreten und abgeholt? Herrscht eine große Kluft zwischen Politiker*innen und Bürger*innen?

Nein, das würde ich pauschal niemals so sagen. Ich bin überzeugt davon, dass es sehr viele Menschen in politischer Verantwortung gibt, die es wirklich ehrlich meinen. Manchmal stelle ich mir vor, was wir dadurch erreichen, wenn wir immer nur auf „die Politiker“ einprügeln. Irgendwann will keiner mehr den Job machen, irgendwann wollen alle lieber in die „freie Wirtschaft“ gehen und dann werden wir uns umgucken … Bitte nicht falsch verstehen – natürlich müssen wir unseren Volksvertretern auf die Finger schauen und immer wieder kritisch hinterfragen, was sie tun, weil sie es ja in unserem Auftrag tun. Aber es ist ein Fehler, „die Politiker“ als Sündenböcke hinzustellen. Wir brauchen diese Leute, genau wie wir Polizisten, Lehrer und Ärzte brauchen, wenn wir nicht im Chaos versinken wollen. Und ich bin froh über jeden Politiker und jeden Polizisten, der seinen Job verantwortungsvoll macht. Es ist so leicht, einfach gegen alles zu sein und es ist vor allem falsch. Wir leben in einem freiheitlich demokratischen Rechtsstaat und das ist erstmal der Hammer, das ist eine Errungenschaft, über die wir uns freuen sollten. Es gibt wenige Gegenden auf der Erde, die das von sich sagen können, und wir sollten uns ab und zu immer mal wieder daran erinnern, was es eigentlich bedeutet, dass wir einigermaßen frei und entspannt in Frieden leben, dass wir zu essen und zu trinken haben und ein Dach über dem Kopf, dass wir unsere Kinder in die Schule gehen lassen können, dass wir uns als Gesellschaft um Minderheiten kümmern, dass wir eine Solidargemeinschaft sein und bleiben wollen, dass eben nicht jeder seines eigen Glückes Schmied ist. Wenn wir das verinnerlichen und wenn wir wissen, dass das alles Dinge sind, die eben keine Selbstverständlichkeiten sind, dass das Errungenschaften sind, für die wir jeden Tag aufs Neue kämpfen müssen, gerade in Zeiten wie diesen, in denen es offene Bestrebungen gibt, diese demokratischen Grundwerte abzuschaffen, wenn wir das verstanden haben, dann mach ich mir nur noch halb so viele Sorgen um die Zukunft.

INTERVIEW MIT SANDRA STRAUSS

wbh: Magst du unseren Leser*innen kurz von deiner Arbeit und deinem Leben erzählen.

Ich bin Produzentin, Geschäftsführerin, Studio-, Verlags- und Vertriebsleiterin von Glücklicher Montag sowie verantwortlich für Redaktion, Presse, Promotion, Marketing und Management sowie Veranstaltungs- und Workshop-Planung.
Feministin.

wbh: Wo bist du aktiv, wofür engagierst du dich und trittst du ein?

Für Empathie, Menschlichkeit, Freiheit, Selbstbestimmung und Gleichberechtigung.

Unsere Glücklicher Montag-Attitüde ist, dass wir alles, was uns beschäftigt und bewegt, mit unserem GlüMo-Leben verbinden und Teil unserer Arbeit werden lassen. Wir haben uns vor einigen Jahren bewusst dafür entscheiden, uns insbesondere folgenden Themen und Bereichen zu widmen: Politik, Gesellschaft und gesellschaftliches Miteinander, Soziales, Kultur, Bildung und Medienkompetenz sowie Demokratie und Freiheit. Und seit einiger Zeit auch intensiver den Bereichen Leben+Sterblichkeit+Tod sowie „den sogenannten Tabuthemen“ psychische Krankheiten/Störungen/Belastungen.
Unter diesem Aspekt und mit diesen Inhalten machen wir neben Auftragsarbeiten (wie bspw. für MDR Kripo live, MDR Spur der Täter, Exakt, Fakt, Klett Schulbuch-Verlag …) eigene Trickfilme und Filme, Comics und Graphic Novels, Bücher, Karikaturen, Illustrationen, tingeln mit unseren Demokratie-Comic-Workshops übers Land, geben Live-Zeichenaktionen und sind bei Fach-Veranstaltungen und Podiumsdiskussionen vertreten.
Im vergangenen Jahr bspw. haben wir zwölf Workshops „Frei, weltoffen und demokratisch“ in zwölf Städten in Sachsen durchgeführt, in u. a. Freital, Bautzen, Hoyerswerda, Aue, Bad Schandau, Pirna, Freiberg etc. Unser Ansatz war, in die Städte im sog. sächsischen ländlichen Raum zu gehen, in denen Flüchtlingsheime brannten, um zu schauen, wie es dort um unsere Demokratie und unser gemeinsames Miteinander steht.

wbh: Wie fühlt es sich an, in Sachsen Politik aktiv mitzugestalten?

Da es existenziell, wichtig und notwendig ist, fühlt es sich gut an.
Bspw. war es uns ein inneres Bedürfnis, diese #wirbleibenhier-Interview-Reihe noch am gleichen Abend der Europa- und Kommunalwahl am 26. Mai zu konzipieren und die Woche darauf ins Leben zu rufen.

Ich bin der festen Überzeugung, dass man Politik auch mitgestalten kann, wenn man kein politisches Amt innehat und/oder in Gremien und Fachausschüssen sitzt.
Aktives politisches Selbstverständnis und Tun im Alltag, zivilgesellschaftliches Handeln und Zivilcourage sind dabei die Schlüsselworte, um auf jedweden Ebenen Politik mitzugestalten.

wbh: Warum ist es wichtig, dass sich jede*r mit Politik beschäftigt und diese aktiv mitgestaltet und wie?

Alles, was jede*r denkt, tut und wie sie/er agiert, ist politisch. Das fängt früh beim Aufstehen und Zähneputzen an. Wie ich mich ernähre, welche Klamotten ich trage und wo ich diese kaufe, welche Arbeit ich verrichte, wie ich meine Freizeit gestalte, wie ich mit meinen Mitmenschen und den Tieren umgehe, wen ich wähle, in welchen Vereinen, Initiativen ich mich engagiere, woher ich meine Informationen beziehe … Man kommt also in seinem persönlichen Alltag gar nicht daran vorbei, ein politischer Mensch zu sein. Ein wichtiger Aspekt ist meines Erachtens, sich genau dessen bewusst und achtsam zu sein. Und darüber hinaus sollte sich jede*r in ihrem/seinen möglichen Rahmen aktiv an politischen Prozessen beteiligen. Wie und in welchem Raum kann und muss jede*r für sich selbst entscheiden.

Ja, und natürlich wählen gehen, um unsere Volksvertreter*innen in die entsprechenden Ämter zu wählen. Und dabei demokratisch wählen. Wählt man AfD, NPD, Poggenburgs Partei, Die Rechte, irgendwelche Patrioten, Identitäten, Rechtsextremisten ist das auf keinen Fall ein demokratisches Wählen. Achso: Ebenso auch keine Partei und Politiker*innen wählen, die – für ihren Machterhalt und für ihre Mehrheit – krumme und krude Deals mit eben genannten Parteien eingehen möchten.

wbh: Wie kann man die Themen Politik, Beschäftigung mit Demokratie und unseren Grundwerten stärker ins Bewusstsein der Öffentlichkeit bringen?

Indem man, wie eben angemerkt, die Sensibilität für die Wichtigkeit dieser Thematiken weckt und darauf aufmerksam macht. Und damit meine ich nicht nur Politiker*innen und Parteien. Das fängt bereits in der Schule an, wenn nicht sogar schon früher. Politische Bildung muss Teil des Lehrplans sein ebenso wie in der Ausbildung. Ich finde es wichtig, wenn in der Schule über politische Themen gesprochen wird, dass sich Lehrer*innen und Schüler*innen damit auseinandersetzen und sich auch externe Fachkräfte dazuholen. Wie wir in unseren Workshops gemerkt haben, ist der Hunger nach politischer Bildung, Gesprächen und Diskussionen bei unseren Schüler*innen, Jugendlichen und jungen Erwachsenen auch vorhanden. Sie möchten sich damit beschäftigen, damit auseinandersetzen, sich Wissen und Bildung aneignen, um sich selbst ihre eigene Meinung zu bilden.
Die Demos von Jugendlichen, #fridaysforfuture zeigen das auch gerade sehr gut.
Und das müssen wir alle, auch wir Ältere, wahrnehmen und darauf eingehen.
Familiengespräche am Küchentisch sind ebenso von großer Bedeutung.

Und auch: Indem man sich schlau macht, sich aus vielen verschiedenen Quellen seine Informationen besorgt, analysiert, darüber nachdenkt … Hier sind wir gleich auch wieder beim Thema Medienkompetenz.

Und ja, auch die Politiker*innen stehen in der Pflicht, einen „einfachen“ Zugang zu Politik für mensch zu ermöglichen, transparent über ihr Tun berichten und wieder näher an die Basis, zu ihren Mitbürger*innen finden.

Auch finde ich einen „unterhaltsamen“ Zugang zu Politik, Geschichte und gesellschaftsrelevanten Themen unumgänglich, insbesondere für all diejenigen, die sich nicht tagtäglich mit Politik beschäftigen und dicke Theorie-, Lehr- und Geschichtsbücher durchforsten.

Wir als Glücklicher Montag haben uns das in unserem möglichen Rahmen zur Aufgabe gemacht.
Mit unseren Trickfilmen möchten wir locker-flockig unterhaltsam mit dem jedem/r vertrauten Medium Film und Musikvideo politische und geschichtliche Themen transportieren. Auch mit unserem neuen Buch „1989 – Lieder unserer Heimat“ haben wir diesen Ansatz verfolgt: Wir haben viele verschiedene Autor*innen und Zeitzeug*innen ins Boot geholt, die persönlich und authentisch aus ihrer Sicht auf ein bis zwei Seiten über ihre Erfahrungen mit Demokratie und Diktatur, Freiheit und Eingesperrtsein, Überwachung usw. schreiben, untermalt mit Bildern zur eigenen Meinungsbildung und zur Verwendung als Schul- und Bildungsmaterial.

In unseren Workshops erstellen unsere meist jugendlichen Teilnehmer*innen ihre eigenen Arbeiten zu den jeweiligen Themen. Dabei ist es unumgänglich, dass sie sich selbst mit dem jeweiligen Thema auseinandersetzen müssen und selbständig Denken.

wbh: Was ist unser Erbe, was ist unsere Zukunft?

Unser Erbe: ganz persönlich und individuell:
Jede*r einzelne ist natürlich ein Produkt seiner/ihrer Gene, seiner/ihrer Erziehung, seines/ihres Aufwachsens und Umfeldes. Ich bin keine Psychologin und keine Wissenschaftlerin, kann also nur nach meinem Empfinden und meinen Erfahrungen schreiben: Wir alle tragen auch die Traumata unserer Eltern, Großeltern und Generationen vor uns in uns, unabhängig davon wie bewusst oder unbewusst in den einzelnen Familien und oder beim Therapeuten darüber offen gesprochen wird. Das prägt uns, bestimmt unser Verhalten, Tun und Sein. Ohne dass ich viel und groß mit meinen beiden Opis über ihre Kriegserfahrungen sprechen konnte, haben mich ihre Kriegserlebnisse sehr tief geprägt und sie haben mir viel mit für meine Entwicklung auf den Weg gegeben, bspw. dass Nazis Nazis sind und es nur menschlich ist sowie ein Grundpfeiler unserer Demokratie, Antifaschist*in zu sein und sich für Freiheit, Demokratie und Menschlichkeit stark zu machen, dafür einzustehen.
Und dass Diktaturen auch der eigenen Individualität, der freien Selbstbestimmung und Freiheit nicht dienlich sind, sondern diese schlichtweg unterdrücken, wie auch eine eigene Meinung – der Menschlichkeit entgegenstehen.

Als Kind der DDR in den 80ern weiß ich natürlich ebenso, was es bedeutet, in einem von anderen „vorgefertigten“ System und Überwachungsstaat zu leben.

Erbe allgemein für alle:
„Wer sich nicht an die Geschichte erinnern kann, ist dazu verdammt, sie zu wiederholen“

Zukunft:
Bis vor Greta Thunberg, Fridays For Future, den Demos unserer Jugend, dem Rezo-Video etc. habe ich mich ernsthaft gefragt, wo unsere Jugendbewegung ist (ähnlich der 68er Bewegung, den Hippies, der Punk- und Musik-Bewegungen etc.) und was unsere Jugendlichen denken+wollen und wo ihr lautstarkes Aufbegehren ist, das notwendige jugendliche „rebellische Aufbäumen“ für eine positive, vorwärtsgerichtete, freiheitliche Zukunft für sie und uns alle.
Ja, sie sind unsere Zukunft.
Wir sind unsere Zukunft.
Jede*r ist für unsere aller Zukunft verantwortlich. Und das kann jede*r persönlich ganz individuell auf sein/ihr Leben herunterbrechen, ob sie/er nun Kinder hat oder nicht. Freund*innen, Familie, nahe Vertraute, Liebste, Tiere hat jede*r.

Und dabei gestaltet jede*r einzelne von uns unsere Zukunft und entscheidet durch sein/ihr Tun, was daraus wird.

Ich habe mich bspw. sehr bewusst vor zehn Jahren dafür entschieden, vegan zu leben.
Und vor ca. drei Jahren bin ich quasi reingestolpert, mich mit Gleichberechtigung von Frauen, Frauenrechten und (Achtung! Hier das böse, angsteinflößende Wort) „Feminismus“ zu beschäftigen, also mit meiner eigenen Freiheit und der von so vielen. (Randbemerkung: Feminismus ist für mensch sehr relevant, um sich seine/ihre eigene Meinung zu bilden, sich zu verorten …) Und das hat mir sehr geholfen, mich meiner Position bewusst zu werden, wie ich leben möchte, wie ich meine+unsere Zukunft gestalten möchte.

wbh: Was wünschst du dir für ein besseres menschliches Miteinander?

Aktuell weiß ich gerade nicht, ob „wünschst“ das richtige Wort ist. Derzeit geht es darum, dass wir uns auf die Grundpfeiler unseres Miteinanders einigen.
Siehe unser Grundgesetz. Da steht das ganz gut drin.
Empathie, Miteinander, Respekt, Toleranz und Akzeptanz, Gleichberechtigung, Freiheit, Demokratie …

Und dass wir lernen, unseren Geist und unsere Seele zu öffnen. Und das auch leben.
Damit schärfen wir unsere Sinne, werden uns selbst bewusst und wahr. Damit auch ruhiger, entspannter und liebevoller für uns selbst und das ist die Grundlage, dass wir all das unseren Mitmenschen geben können. Auch das kann man ganz schlicht auf sein nahes persönliches alltägliches Umfeld herunterbrechen.

wbh: Was bedeuten für dich Freiheit, Schutz der Menschenwürde und Gleichberechtigung?

Hhhmmmm …, an dieser Stelle ist es schwierig, diese Frage zu beantworten, weil ich diese Interviewfragen selbst bewusst erstellt habe 😉
Das sind drei wichtige Grundpfeiler für unser gemeinsames menschliches Miteinander und existenziell für unser Zusammenleben.
Und sie sind keine Selbstverständlichkeit, wie wir gerade alle eben feststellen dürfen. Und das waren sie auch noch nie. Wir müssen um diese Grundpfeiler kämpfen, um sie zu erhalten. Und auch wenn ich mich wiederhole: Das ist für jede*n Einzelnen selbst existenziell. Das macht ja nun unsere Gesellschaft aus, ob im Kleinen, in der Kleinfamilie, in der Groß- oder Patchworkfamilie, in unserem Arbeitsleben, unserem Alltag, in jeder Szene, jeder Gemeinschaft, in unserer Gesellschaft. Das ist immer dasselbe.

wbh: Wie wichtig sind Kunst und Kultur, Bildung, Medienkompetenz, Soziales, Jugendhäuser und psychologische Betreuung für unser Zusammenleben?

Ohne das geht es nicht.
Und wenn wir all das nicht mehr haben, geht unsere Gesellschaft emotional und in ihrer Entwicklung schlichtweg zugrunde, verroht und verrotet.
„1984“, „Die Farm der Tiere“ … Braucht es mehr Erläuterungen und Bilder?
Ursprünglich hatte ich hier beim ersten Schreiben stehen: „Und ganz ehrlich: Wir sind auf dem besten Weg dorthin.“ Doch genau dem möchte ich nicht meine Aufmerksamkeit schenken und keine Macht geben, sondern ich möchte mich darauf konzentrieren, den positiven Kräften Macht zu verleihen und dass wir uns darauf fokussieren.

Und wie auch schon in unseren anderen #wirbleibenhier-Interviews zu lesen war: In Sachsen als Beispiel wurden Gelder für Soziales, Jugend, Jugendhäuser, Kultur und Bildung rigoros gekürzt, gestrichen und diesen die Lebensgrundlage entzogen. Das Ergebnis sehen wir nach 30 Jahren CDU-Landespolitik. Sorry, #cdusachsen, dem kann ich nichts Positives abgewinnen, und wer auch immer mit daran beteiligt war.
@cdusachsen: Ebensowenig kann ich auch eurem unterirdischen „Nationalsozialismus und DDR-Sozialismus“-Vergleich kürzlich in den sozialen Medien nichts abgewinnen. Und ich bin echt froh, dass ihr dabei auch aus euren eigenen Reihen nicht nur Zustimmung erhalten habt, sondern rigorose Kritik.

Zurück zum Thema und der Frage:
Kurz nur noch angefügt ein sehr einprägsames und prägnantes Gespräch auf unserer „Ich will mehr“-Workshop-Tour durch Sachsen:
Rechtsextremisten, Nazis und Menschenfeinde, die sehr strukturiert, intelligent und gebildet vorgehen und die Strukturen kennen, sind dankbar, dass all die Jugendhäuser, sozialen und Bildungseinrichtungen nach und nach über die Jahre hinweg geschlossen wurden. Sie brauchen die Jugendlichen, die sich nach Vorbildern sehnen und Raum brauchen, nur noch von der Straße auflesen oder aus dem Park …
Das Thema Drogen spielt hier auch eine ganz wichtige Rolle.

wbh: Im Hinblick auf die Landtagswahl im Sep 2019: Was kann jede*r Bürger*in aktiv tun, um dem Rechtsruck mit demokratischen Mitteln entgegenzuwirken?

Sich ganz klar für Demokratie positionieren, sich menschenfeindlichen, rechtspopulistischen und rechtsextremen Kräften, Menschen, Parteien entgegenstellen.
Nicht die AfD und andere Rechtspopulisten und Rechtsextremisten wählen und das auch entsprechend laut kommunizieren. Das Wahlprogramm der AfD lesen und in die Welt bringen.
Menschen motivieren, die sich noch nicht so ganz für unsere und ihre Demokratie entschieden haben, sich zu pro Demokratie positionieren.
Insbesondere in den ländlichen Gebieten die Menschen aktiv unterstützen, die lonely für freiheitliche und demokratische Werte einstehen und tagtäglich in ihrem Alltag kämpfen.
Aufklärung und Bildung.

Und hier sind auch unsere Politiker*innen aktiv gefragt. Sowie auch Künstler*innen, Musiker*innen und alle Menschen, die in der Öffentlichkeit stehen, ein Vorbild sind und viele Follower*innen haben.

wbh: Was sind deines Erachtens in Sachsen und Brandenburg die Gründe für den Aufstieg der AfD bei der Europa- und Kommunalwahl?

Da mein Interview schon mehr als lang ist, möchte ich hier auf die Antworten unserer bisherigen und noch kommenden #wirbleibenhier-Interviews verweisen.

wbh: Angenommen, die AfD zieht in Sachsen zur Landtagswahl mit den gleichen Ergebnissen wie nach der Europa- und Kommunalwahl in den Sächsischen Landtag ein, welche Auswirkungen kann das für die Gesellschaft, Politik, Kunst und Kultur, Bildung und Soziales haben?

Ohne zu unken: Vielleicht ziehen sie noch mit nem besseren Wahlerfolg ein, mit nem Sieg und der Mehrheit. Was sich gerade anbahnt, jedenfalls für Sachsen.

Dann heißt es erstmal, dass sich komplett alle demokratischen Parteien in ihren Grundwerten einig sein müssen – kompromisslos – und keine, auch nur andeutungsweise Kooperation mit denen eingehen. Bei der CDU bin ich mir da grad wegen ihrem eigenen Machterhalt nicht wirklich sicher, dass sie standhaft bleibt. Ich lasse mich liebend gern von allem anderen überzeugen, sehr gern sogar.

Die letzten Monate war ich diesbezüglich voll desillusioniert und fatalistisch und hatte den 1933-Nazi-Durchmarsch und den Holocaust im Kopf.

Aktuell kämpfe ich aktiv darum, dass ich annehme, dass genügend Kräfte dem entgegenstehen.
Für Leipzig weiß ich das.
Für Bad Schandau, Bautzen, Grimma, Hoyerswerda, Görlitz, Freital, Pirna, Freiberg, Zittau, Glauchau, Chemnitz, Dresden … weiß ich das gerade nicht so genau.

Und: Es wirkt doch schon seit Jahren so, dass so „Themen“ wie Selbständigkeit, eigene Meinung, Bildung, Soziales, Kunst und Kultur, Freiheit nicht die Staatsdoktrin unterstützen, die so manche anstreben.

Kurzum: Es wäre fatal. Die AfD hat es in ihrem Wahlprogramm und in ihrem Agieren doch schon gut auf den Punkt gebracht.

wbh: Wie kann man Demokratie-Initiativen und Protagonist*innen vor Ort aktiv unterstützen und ihr Engagement stärken?

Da möchte ich ebenso sehr gern auf die Antworten in unseren bisherigen #wirbleibenhier-Interviews verweisen. Da steht quasi schon sehr viel drin, insbesondere weil wir die Aktiven und Protagonist*innen vor Ort mit befragt haben. Sie können es am besten beantworten, was sie brauchen, benötigen und wollen.

wbh: Wie kann man Nichtwähler*innen erreichen, damit sie wählen gehen?

Ihnen bewusst machen, dass wirklich jede Stimme zählt und sie für Demokratie und Politik sensibilisieren.

wbh: In den sozialen Medien war zu lesen, dass man weniger auf die „Bedürfnisse“ der besorgten und Wutbürger*innen eingehen soll, sondern eher auf die unserer Jugend. Wie siehst du das?

Yappi, Prio und Fokus auf unsere selbstbestimmte, freiheitliche und demokratische Zukunft.

wbh: Wie wichtig sind Zivilgesellschaft und Zivilcourage?

Unbedingt notwendig und existenziell für unsere Demokratie.

wbh: Wie können wir unsere Demokratie schützen und stärken?

Ich habe gerade selbst noch mal „Demokratie“ gegoogelt und bei Wikipedia geschaut.
„Demokratie (von altgriechisch ‚Herrschaft des Staatsvolkes‘; von δῆμος dēmos „Staatsvolk“ und altgriechisch κράτος krátos „Gewalt“, „Macht“, „Herrschaft“) bezeichnet heute Herrschaftsformen, politische Ordnungen oder politische Systeme, in denen Macht und Regierung vom Volk ausgehen (Volksherrschaften). Dieses wird entweder unmittelbar (direkte Demokratie) oder durch Auswahl entscheidungstragender Repräsentanten an allen Entscheidungen, die die Allgemeinheit verbindlich betreffen, (repräsentative Demokratie) beteiligt. In demokratischen Staaten und politischen Systemen geht die Regierung durch politische Wahlen aus dem Volk hervor. Typische Merkmale einer modernen Demokratie sind freie Wahlen, das Mehrheits- oder Konsensprinzip, Minderheitenschutz, die Akzeptanz einer politischen Opposition, Gewaltenteilung, Verfassungsmäßigkeit, Schutz der Grundrechte, Schutz der Bürgerrechte und Achtung der Menschenrechte. Da die Herrschaft durch die Allgemeinheit ausgeübt wird, sind Meinungs- und Pressefreiheit zur politischen Willensbildung unerlässlich.“

wbh: Was verbindest du mit: Wir sind mehr!

Vorrangig natürlich das Konzert in Chemnitz und auch die entsprechenden Reaktionen darauf. Nämlich auch die von sozialen und Jugendeinrichtungen im ländlichen Raum, die eben nicht sagen können „Wir sind tatsächlich mehr“, weil ihr Alltag ein anderer ist.
Ja, natürlich sind wir mehr, jedenfalls der Großteil unserer Gesellschaft, die friedlich, in Freiheit und Selbstbestimmung leben will. Doch stehen nicht alle genau dafür ein, lautstark und positionieren sich.

wbh: Was bedeutet für dich: Wir bleiben hier!

Ich bin in Sachsen im ländlichen Raum aufm Dorf groß geworden.
Und bin freiwillig in meinen Jugendjahren nach Leipzig gezogen, weil ich ganz tief in meinem Inneren wusste, dass Südvorstadt/Connewitz mein Lebensraum ist, ich mich entfalten und ich frei leben kann.
Beides ist meine Basis.
Ich habe nicht vor zu gehen. Das hatte ich auch noch nie. Ich bin hier verankert, bodenständig und fest.
Und mit all unseren Workshop-Ausflügen werde ich genau hier weiterhin meinen Lebensfokus und Mittelpunkt haben.